Valentin - Ein Comic über Zwangsarbeit und Mitläufertum im Nationalsozialismus
Raymond Portefaix hat als junger Mann die Hölle durchlebt - als KZ-Häftling in Bremen-Nord, wo er am riesigen U-Boot-Bunker mitschuften musste. Der Erwachsenen-Comic „Valentin“ zeichnet seine Geschichte nun auf eindringliche Art nach. Dabei wird sie der Karriere des Nazi-Fotografen gegenübergestellt, der die Baustelle dokumentiert hat.
System Zwangsarbeit
Das Bau-Projekt „Valentin“ stand bereits dafür, dass sich der Zweite Weltkrieg gegen seinen Verursacher, das Deutsche Reich, gewandt hatte: Während Bombardements der Rüstungsindustrie zusetzten, sollten in Farge-Rekum unter meterdicken Betondecken Unterseeboote wie am Fließband vom Stapel laufen, um dem Krieg im Atlantik noch die Wende zu geben. Doch der Kriegsverlauf war schneller und aus „Valentin“ ist eine Bunkerruine gigantischen Ausmaßes geworden.
Dass der Bunkerbau nur durch Zwangsarbeit bewerkstelligt werden konnte und Tausende Kriegsgefangene und KZ-Insassen dafür ihr Leben lassen mussten, daran konnte oder wollte sich lange Zeit kaum jemand erinnern. Erst seit 2015 befindet sich im U-Bootbunker „Valentin“ eine Gedenkstätte.
Nun erinnert auch der schwarz-weiß gehaltene Comic-Band „Valentin“ des Bremer Zeichners Jens Genehr an das Leid derjenigen, die zur Arbeit an der Bunkerwerft gezwungen wurden. Und an Täter, die aus Opportunismus oder Überzeugung handelten.
Der Häftling und der Mitläufer
Im Zentrum stehen zwei Männer, deren Wege sich ohne Krieg und Zwangsarbeit vermutlich nie gekreuzt hätten: Einerseits der junge Franzose Raymond, den die Wehrmacht im Juni 1944 im Rahmen einer Aktion gegen die Résistance verschleppt. Anderseits der Polizist und Fotograf Johann S., der das Bauvorhaben für das Oberkommando der Marine mit Foto- und Filmkamera festhält. Er wird als überzeugter Mitläufer skizziert, der zwar darauf hofft, aber nicht mehr fest davon überzeugt ist, dass die deutsche Kriegsniederlage noch abzuwenden ist. Dass auf der von ihm fotografierten Baustelle Tausende Lagerhäftlinge eingesetzt und geschunden werden, bewegt ihn nur, wenn sie seine Fotomotive stören. Nur bei Raymonds Ankunft aus Neuengamme begegnen sich beide Hauptfiguren, kurz, ohne ein Wort zu wechseln.
Historisch gestützte Fiktion
Der 1990 geborene Autor Genehr, der sich selbst am Denkort Valentin engagiert und dort Rundgänge führt, stützt seinen Comic auf historische Dokumente. Seine Protagonisten hat es tatsächlich gegeben. Während von Raymond Portefaix schriftliche Erinnerungen überliefert sind, gibt es von Johann Seubert nur dessen Bilder und eine dünne Entnazifizierungsakte. Genehr ist sich der Schwierigkeiten bewusst, die damit verbunden sind, wenn man reale Personen in einer Erzählung verarbeitet. Das macht der Comic-Strip deutlich, der „Valentin“ als Vorwort vorangestellt ist. Darin tritt der Autor selbst auf und lässt den Leser an einem Selbstgespräch über historisch gestützte Fiktion teilhaben: „Sie ist nicht wahr und nicht außerhalb der Wahrheit.“
Auch wenn Raymond die Torturen am Ende knapp überleben wird, zeigt seine Geschichte, was das NS-Schlagwort „Vernichtung durch Arbeit“ für den Einzelnen bedeutete. Die Misshandlungen, die Erschöpfung nehmen immer weiter zu. Im Dezember 1944 arbeiten Häftlinge mit nackten Füßen auf verschneitem Beton, Raymond wiegt nur noch 36 Kilo. Was folgt, ist einer der eindrücklichsten, aber auch drastischsten Abschnitte der Geschichte: Raymond muss sich der schweren Arbeit entziehen, um zu überleben, also infiziert er sich selbst mit der Ruhr und einer eitrigen Entzündung.
Erinnerung eines vergessenen Aspekts
Die Schwarz-Weiß-Bilder, mit denen Jens Genehr seine Geschichte erzählt, sind in einem einfachen Stil gehalten, der auf cartoonhafte Überzeichnungen und weitgehend auf erklärende Text-Boxen verzichtet. Das hat den Effekt, dass die handelnden Personen nicht immer leicht auszumachen sind. Was möglicherweise gewünscht ist, geht es doch um ein System der Entmenschlichung. Allerdings führt diese Erzählweise dazu, dass man sich viele Zusammenhänge selber erschließen muss. Im Erzählstrang über Fotograf Johann sind hingegen viele Informationen in die Dialoge zwischen SS- und Wehrmachtsleuten eingeflochten, weshalb sie so manchmal etwas gestellt oder wie Aussagen aus der Jetztzeit wirken. Gleichwohl fesselt und bewegt die in „Valentin“ erzählte Geschichte über einen gerne vergessenen Aspekt des Nationalsozialismus: Dass seine Bunker Produkte von Zwangsarbeit sind.
„Valentin“ von Jens Genehr. Der Autor ist 30 Jahre alt und lebt seit 2010 in Bremen, studierte Psychologie und freie Kunst. „Valentin“ erschien im Bremer Verlag Golden Press.
Lokal bestellen
Wer es nun kaum erwarten kann, diese mitreißende Graphic Novel in seinen Händen zu halten, die einzelnen Comic-Strips zu erkunden und die bewegende Geschichte von Jens Genehr zu lesen, kann sie bei seinem Lieblingsbuchladen um die Ecke bestellen. Denn die lokalen Buchhändler*innen in den Landkreisen Osterholz und Rotenburg arbeiten nach wie vor daran, ihre Kundschaft mit dem besten Lesestoff zu versorgen. Mit dem Kauf von „Valentin“ erfährt man nicht nur auf ganz besondere Weise etwas über das entmenschlichende Vernichtungssystem der Nationalsozialisten in Bremen, sondern man unterstützt zugleich die Buchhändler*innen vor Ort und den kleinen neugegründeten Golden Press Verlag in Bremen.
In Bremervörde hält z. B. die Buchhandlung Morgenstern die Stellung. Auf ihrer Homepage oder per Telefon unter 047612416 lässt sich „Valentin“ ganz einfach bestellen. Die Bremervörder Buchhändler liefern in näherer Umgebung sogar aus, umweltfreundlich mit ihrem Elektroauto.
In Osterholz-Scharmbeck nimmt die Schatulle und in Worpswede die Buchhandlung Netzel die gewünschte Bestellung auf. Auch hier über Mail, die Homepage oder telefonisch. Unter der Nummer 047921202 bekommt man in Worpswede seinen „Valentin“ und in Osterholz unter der Nummer 047918585. Auch die Buchhändlerinnen der Schatulle fahren die Bestellungen teilweise selber aus, mit dem Fahrrad. - Alles tolle Gründe, jetzt zum Telefon zu greifen und vielleicht sogar die seine erste Graphic Novel zu bestellen. Immerhin ist nächste Woche auch bereits Ostern.