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Radfahrer:innen fühlen sich nicht sicher

Bremervörde/Osterholz-Scharmbeck (jm). Der ADFC Niedersachsen macht sich für einen flächendeckenden Ausbau von Radwegen im ganzen Bundesland stark. Der ANZEIGER hat nachgefragt, wo die Radfahrer:innen in Bremervörde und Osterholz-Scharmbeck Handlungsbedarf sehen.
Unsere Region hat viele schöne Fahrradstrecken zu bieten. In der Innenstadt gestaltet sich das Rad-Erlebnis oft weniger angenehm.Foto: AdobeStock/edb3_16

Unsere Region hat viele schöne Fahrradstrecken zu bieten. In der Innenstadt gestaltet sich das Rad-Erlebnis oft weniger angenehm.Foto: AdobeStock/edb3_16

Der Landesverband des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) hat gemeinsam mit Fridays For Future, dem Verkehrsclub Deutschland, dem NABU und dem BUND am vergangenen Freitag ein Forderungspapier an Verkehrsminister Dr. Bernd Althusmann übergeben. Auf einem Parcours konnten die Politiker:innen, die am Vormittag auf dem Weg zur Sitzung des Ausschusses für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Digitalisierung waren, außerdem den Unterschied zwischen guten und schlechten Radwegen am eigenen Leib erfahren.
Klimaschutz geht nicht ohne Mobilitätswende, waren sich die Akteur:innen in Hannover einig und forderten mehr Tempo beim Radnetzausbau, landesweit einheitliche Standards für Radwege und Tempolimits für den Autoverkehr, wo kein separater Radweg ist.
 
Gesamtnote „ausreichend“
 
Ein Bild von den Sorgen und Nöten der Osterholz-Scharmbecker:innen, die täglich mit dem Fahrrad in der Stadt unterwegs sind, zeichnet der sogenannte Fahrradklimatest des ADFC, der alle zwei Jahre durchgeführt wird. Die Ergebnisse der letzten Umfrage, an der 120 Bürger:innen teilnahmen, wurden in diesem Frühjahr veröffentlicht. Während die Erreichbarkeit des Stadtzentrums (Schulnote 2,7) und die Möglichkeit, mit dem Rad zügig voranzukommen (2,8) im Schnitt als „gut“ bewertet wurden, hapert es beim Sicherheitsgefühl (4,4), der Breite der Radwege (4,9), dem „Fahren im Mischverkehr mit Kfz“ (4,7) und der Akzeptanz von Radfahrer:innen als Verkehrsteilnehmer:innen (4,0). Dabei gaben die Befragten an, dass ihnen das Sicherheitsgefühl und die Akzeptanz als Verkehrsteilnehmer:innen besonders wichtig seien. In der Gesamtbewertung kommt Osterholz-Scharmbeck auf eine Note von 4,1.
Klaus Plump, stellvertretender Vorsitzender des ADFC Osterholz, bestätigt den Eindruck aus der Umfrage: „Die Sicherheit ist nicht gegeben.“ Die Autofahrer:innen im Stadtgebiet seien schon „ordentlich unterwegs“, wie Plump es formuliert. Gemeint ist: schnell und mit zu wenig Abstand beim Überholen. An zu vielen Stellen gebe es nicht-nutzungspflichtige Radwege und Tempo 50 für den Autoverkehr, Radwege an Eingangsstraßen endeten ohne Querungshilfen. „Da steht man dann einfach vor dem Schild ‚Fußweg‘“, berichtet Plump. Man könne durchaus gut Radfahren in Osterholz-Scharmbeck sagt Plump, einige Ecken seien jedoch eine „Katastrophe“.
 
Radwegekonzept ist in Planung
 
Die Stadtverwaltung hat sich auf den Weg gemacht, Abhilfe zu schaffen. Derzeit wird ein Verkehrsentwicklungsplan, der ein Radwegekonzept enthält, erarbeitet. „Der soll am 25. Januar 2022 im Ausschuss für Planung und Stadtentwicklung vorgestellt werden und dann im März vom Rat beschlossen werden“, erklärt Frank Wiesner. Kurzfristige Maßnahmen seien aber auch schon vorher möglich, sagt der Fachbereichsleiter Stadtplanung und Bauen und verweist etwa auf das Tempolimit in der Bahnhofstraße, das auf einem engen Abschnitt jüngst auf 30 km/h gesenkt wurde.
Im April hat der Verwaltungsausschuss die Entwürfe des Verkehrsentwicklungsplans und des Radverkehrskonzeptes beschlossen (der Entwurf kann auf der Homepage der Stadt eingesehen werden). Zur gleichen Zeit fand eine Bürgerbeteiligung statt. Auch der ADFC arbeitet am Radwegekonzept mit. Durch Corona sei der kontinuierliche Austausch mit der Stadt zeitweise zum Erliegen gekommen, berichtet Klaus Plump. Man habe sich jetzt jedoch darauf verständigt, in Zukunft wieder alle drei Monate ein Treffen abzuhalten - auch mit der Kreisverwaltung.
 
Keine Umfragedaten in Bremervörde
 
In Bremervörde sucht man Daten aus dem Stimmungsbarometer des ADFC vergeblich. Der Verband veröffentlicht Ergebnisse erst ab 50 Teilnehmer:innen, mit einem besonderen Hinweis auf geringe statistische Belastbarkeit und ohne detaillierte Auswertung ab 30. Diese Zahl wurde in der Ostestadt in keiner der Umfragen seit 2012 erreicht.
Gespräche mit Radfahrer:innen vor Ort offenbaren ähnliche Probleme wie in Osterholz-Scharmbeck. „Bremervörde ist keine sichere Fahrradstadt, vor allem für Kinder und Jugendliche“, sagt Martin Hill vom ADFC Bremervörde. Er kommt schnell auf die Neue Straße zu sprechen, wo Radfahrer:innen sich die Fahrbahn mit dem Autoverkehr teilen müssen. Hier brauche es dringend einen eigenen Fahrradweg, der parallel zur Straße verläuft.
Die Neue Straße nennt auch Petra Fischer als Gefahrenschwerpunkt. „Die Autofahrer nutzen jede Chance zum Überholen mit geringem Abstand“, sagt die Ratsfrau, die für die Bunte Liste im Ortsrat sitzt und selbst ausschließlich mit dem Fahrrad in Bremervörde unterwegs ist. Selbst die Polizei drücke hier mittlerweile ein Auge zu, wenn Radfahrer:innen auf den Gehweg ausweichen. Das wiederum führe aber zu neuen Konflikten mit Fußgänger:innen.
 
Eine Stadt für Autofahrer:innen?
 
Allgemein seien die Schutzstreifen und Radwege zu eng, bemängelt Martin Hill. Stadtverwaltung und Politik hätten das Problem nicht erkannt. „Es wäre dringend notwendig, dass mehrere Politiker mal eine Testfahrt mit einem Lastenrad oder Kinderanhänger in der Stadt machen“, sagt Hill. Dafür seien die Radwege in Bremervörde schlicht unzureichend - Zusteller:innen der Post wüssten das nur zu gut. Hill kritisiert aber auch das Verhalten einiger Fahrradfahrer:innen: „Da sind teilweise Gruppen mit E-Bikes in Formation unterwegs, die klingeln sogar Rollstuhlfahrer aus dem Weg.“
Ist Bremervörde eine Stadt für Autofahrer:innen? Zumindest besuchen überdurchschnittlich viele Menschen die Ostestadt mit dem Pkw oder Motorrad. Das geht aus der zuletzt 2018 durchgeführten Studie „Vitale Innenstädte“ hervor. 66 Prozent der an einem Wochenende befragten Personen waren mit dem Auto angereist - in anderen teilnehmenden Orten mit vergleichbarer Größe waren es im Schnitt 53 Prozent. Öffentliche Verkehrsmittel hatten einen Anteil von 2 Prozent (Ortsgrößenschnitt 10 Prozent), das Fahrrad 14 Prozent (Ortsgrößenschnitt 13 Prozent).
„Bei den Parkplätzen ist Bremervörde Spitzenreiter unter den gleichgroßen Städten. Das ist sehr bezeichnend“, sagt auch Ratsfrau Petra Fischer. Sie hofft, dass die neue Verwaltungsspitze Veränderungen anstößt. „Wir haben ja einen neuen Bürgermeister. Da weht frischer Wind im Rathaus.“


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