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Lena Stehr

Maskenpflicht und die verdrängte Angst vor der zweiten Welle

Landkreis. Einerseits haben - weltweit - die Corona-Neuinfektionen ein Rekordhoch erreicht. Andrerseits verhalten sich nicht wenige Menschen so, als ob die Pandemie bereits überstanden wäre. Das birgt die Gefahr einer zweiten Welle. So es ist gerade jetzt wichtig, die anfängliche Panik nicht von Rücksichtslosigkeit ablösen zu lassen.
 

Bild: Lena Stehr

Volle Fußgängerzonen und Strände, gut gefüllte Restaurants und Cafés. Menschen treffen sich zum Feiern von Geburtstagen, Konfirmationen und Hochzeiten oder zum Fußball gucken und kommen sich überall wieder deutlich näher, als noch am Beginn der Corona-Pandemie und des bundesweiten Lockdowns Mitte März. Viele, die sich noch vor drei Monaten in den eigenen vier Wänden nahezu verbarrikadiert hatten, sitzen nun wieder Schulter an Schulter mit Freund*innen und Bekannten beisammen, umarmen sich und vergessen beim Einkaufen oder beim Plausch mit dem Nachbarn, dass immer noch die Abstandsregeln gelten.
 
Maskenpflicht bleibt bestehen
 
Viele Masken hängen im Gesicht ihrer Träger*innen auf halb acht. Noch gerade so leicht über dem Mund. Dabei ist das ordentliche Tragen von Alltagsmasken in Bussen und Bahnen sowie in Geschäften weiter Pflicht. Darauf verständigten sich am vergangenen Montag die 16 Gesundheitsminister*innen der Länder. Es dürfe nicht der falsche Eindruck entstehen, die Pandemie wäre vorbei, hieß es zur Begründung.
Angestoßen worden war die Diskussion um die mögliche Aufhebung der Maskenpflicht von Mecklenburg-Vorpommerns Wirtschaftsminister Harry Glawe (CDU). Auch Niedersachsens Wirtschaftsminister Bernd Althusmann (CDU) hatte eine Lockerung favorisiert, seine Forderung dann aber relativiert.
Überall dort, wo im öffentlichen Leben der Mindestabstand nicht gewährleistet werden kann, seien Masken ein wichtiges und unverzichtbares Mittel, um die Infektionszahlen niedrig zu halten, so Regierungssprecher Steffen Seibert.
 
Auch die Landräte halten Masken für wichtig
 
Und auch die Landräte Bernd Lütjen (Osterholz-Scharmbeck) und Hermann Luttmann (Rotenburg) halten eine frühzeitige Aufhebung der Maskenpflicht für falsch. Hermann Luttmann meint: „Natürlich stört die Maske manchmal, aber solange es keinen Impfstoff und kein wirksames Medikament gibt, können wir andere Menschen damit schützen und werden auch selber geschützt.“
Laut Landrat Lütjen bleibe die konsequente Einhaltung des Mindestabstandes voneinander zwar die wichtigste Maßnahme zur Vorbeugung einer Infektion mit dem Coronavirus. Die Maske sei aber eine sinnvolle Ergänzung, wenn der Mindestabstand nicht mit Sicherheit dauerhaft eingehalten werden könne. Lütjen merkt allerdings an, dass „vertretbare Möglichkeiten einer partiellen Aufhebung der Pflicht (beispielsweise im Einzelhandel) bei einer stabil niedrigen Infektionslage neu bewertet werden könnten.“
 
Hemmen Masken die Kauflaune?
 
Ob die vom Handelsverband beklagte „gehemmte Kauflaune“ tatsächlich der Maskenpflicht geschuldet ist oder doch eher mit den finanziellen Einbußen einhergeht, die viele Bürger*innen durch die Krise verkraften müssen, lässt sich schwer ermessen.
Sabrina Kosch, Geschäftsführerin des Modehauses Schlüter empfindet die Maske zwar schon als ein „Hindernis“ und beobachtet, dass die Gespräche im Geschäft erheblich kürzer ausfallen als sonst. Dennoch seien alle nach dem fünfwöchigen Lockdown sehr froh, mit dieser Auflage wieder öffnen zu können. Man sollte sich freuen, dass die Ansteckungen in der Region so gering seien, so die Einzelhändlerin. Die Maskenpflicht leiste wahrscheinlich einen Beitrag dazu. Aufgefallen sei ihr noch, dass die Männer sich beim Einkauf mit Maske meist ein wenig schwerer tun als die Frauen.
 
Die Angst und das Präventionsparadox
 
Doch warum wird überhaupt über die Maskenpflicht diskutiert? Mögliche Erklärungen liefern die Angstforschung und das sogenannte Präventionsparadox. Weil zum Beispiel Deutschland bislang im weltweiten Vergleich mit nur knapp 199.000 bestätigten Fällen weit besser durch die Pandemie gekommen ist als andere Länder, zweifeln viele Menschen an der Wirksamkeit des Lockdowns oder der Maskenpflicht, weil es keine Belege dafür gibt, dass eben diese Maßnahmen der Grund für die stabile Lage sind. Frei nach dem Motto: Es war doch gar nichts los.
Die Angst, die noch vor drei Monaten die meisten von uns beherrschte und dazu brachte, alle Maßnahmen gewissenhaft einzuhalten, verflüchtigt sich. Angstforscher wie Borwin Bandelow von der Universität Göttingen erklären das Phänomen so: Kurz nach einem schweren Ereignis wie einer Naturkatastrophe, einem Terroranschlag oder einem Virusausbruch herrsche Panik. Die Angst, selbst Opfer zu werden, sei dann sehr hoch. Nach einigen Wochen beruhige sich die Lage aber wieder und die Menschen würden sorgloser.
Das liege daran, dass sich im menschlichen Gehirn ein Vernunftssystem, das das rationale Denken steuere, und ein Angstsystem gegenüberstünden. Letzteres dominiere am Anfang einer als gefährlich eingestuften Situation. Dabei könne es zu Überreaktionen - zum Beispiel zu Hamsterkäufen - kommen, weil das Gehirn in einen Überlebensmodus schalte. Diese Phase sei aber inzwischen vorbei. Doch während die meisten Menschen jetzt den richtigen Mittelweg zwischen Panik und Übermut gefunden hätten, würden auch viele die latente Gefahr einer möglichen zweiten Welle verdrängen, seien risikobereiter und verschlössen ihre Augen vor der Realität.
 
Globale Neuinfektionen auf Rekordniveau
 
Und die sieht derzeit so aus: Die Zahl der globalen Neuinfektionen ist mit 212.326 in der vergangenen Woche nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO auf ein Rekordhoch gestiegen. Die Zahl der weltweit bestätigten Covid-19-Infektionen liegt derzeit bei mehr als zwölf Millionen. Mehr als eine halbe Million Menschen, die mit Covid-19 infiziert waren, sind gestorben.
In den USA, Brasilien, Indien und Russland überschlagen sich die Zahlen und steigen teilweise explosionsartig an. Und auch in Österreich, der Schweiz, Luxemburg, Paraguay, Griechenland, Australien, Serbien, Japan und Israel haben sich zuletzt wieder mehr Menschen mit dem Virus infiziert, nachdem zuvor vielerorts Auflagen gelockert worden waren.
Sogar in Neuseeland, das sich bis vor Kurzem noch damit rühmte, coronafrei zu sein, gibt es wieder neue Fälle. Zwei Frauen und ein Mann, die aus dem Ausland einreisten, brachten das Virus zurück. Diese und viele weitere Beispiele unterstreichen die Warnung der WHO, dass die Pandemie nichts von ihrer Dynamik eingebüßt habe und keineswegs überstanden sei. Und ob im Herbst in Deutschland tatsächlich eine heftige zweite Welle kommt oder ob es bei kontrollierbaren lokalen Ausbrüchen bleibt, liegt nun an jedem Einzelnen von uns. Dazu muss man nur öfter die eigene Wahrnehmung mit der Realität abgleichen.
 


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