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Patrick Viol

Kommentar: Vertrauen ist gut, Generalverdacht ist demokratischer

Warum der Vorwurf, man dürfe die Polizei nicht unter einen Generalverdacht stellen, Polizist*innen einen Bärendienst erweist.
"Der Machtmissbrauch (ist) eben nicht oder nicht nur der delinquente oder pathologische Fehler einzelner Krimineller/Verwirrter oder Rassisten, sondern er ist als Disposition sozusagen eingebettet in die polizeiliche Handlungslogik (...)". Rafael Behr: Die Einzelfälle, in: Spiegel, online seit dem 21. Juni. (Bild: Malewitsch/wiki)

"Der Machtmissbrauch (ist) eben nicht oder nicht nur der delinquente oder pathologische Fehler einzelner Krimineller/Verwirrter oder Rassisten, sondern er ist als Disposition sozusagen eingebettet in die polizeiliche Handlungslogik (...)". Rafael Behr: Die Einzelfälle, in: Spiegel, online seit dem 21. Juni. (Bild: Malewitsch/wiki)

Kennen Sie das? Ihr*e Partnerin kritisiert etwas an Ihrem Verhalten, und gerade weil der Vorwurf etwas trifft, aber zu sehr am Selbstbild kratzt, wehren Sie ihn ab? Und dann, im losgetretenen Streit, warten Sie eigentlich nur darauf, dass Ihr Gegenüber sich im Ton vergreift, damit es dann nur noch darum geht, wie man miteinander redet. Ellenlang. Um vom eigenen Fehlverhalten abzulenken und sich als das eigentliche Opfer von verletzendem Verhalten darzustellen. Ja, das kenne ich auch. Und ich denke, das geht den meisten Menschen so, wenn das Selbstbild in Gefahr gerät. Sicherlich auch manchen wichtigen Vertretern der Polizei. So kam ihnen die sich anscheinend im Ton vergreifende sogenannte „Müll“-Kolumne „All Cops are berufsunfähig“ in der von Saskia Esken angestoßenen Debatte über strukturelle Probleme und „latenten Rassismus“ bei der Polizei vielleicht gerade recht. Denn durch die Skandalisierung des Textes von Hengameh Yaghoobifarah in der taz, sie setze Polizist*innen mit Müll gleich, wurde die Debatte über Probleme und mögliche Reformen der Institution Polizei gekonnt abgebrochen. Jetzt ging es anstatt um Polizeigewalt um die Frage, was Satire darf, um Einschränkungen der Pressefreiheit und um die für die Betroffenen von Polizeigewalt wohl überflüssigste Frage der Welt: Gibt es einen Generationenstreit in der taz. Ich sag' mal so: Who cares? Nun aber, nachdem der Bundesinnenminister von der Kanzlerin beruhigt wurde und Yaghoobifarah nicht mehr anzeigen will und alle ihren Senf zur Kolumne abgegeben haben, kann man ja mal zur eigentlichen Polizei-Debatte zurückkommen.
Wo war man also stehen geblieben? Richtig. Die vermeintlichen Verteidiger*innen der Polizei warfen ihren Kritiker*innen vor, sie stellten Polizist*innen unter einen ungerechtfertigten „Generalverdacht“ und untergrüben das Vertrauen in die Polizei. Weil sie das wiederkehrende Fehlverhalten von Polizist*innen nicht als Einzelfälle sehen, sondern - wie es der ehemalige Polizist und Professor für Polizeiwissenschaften Rafael Behr seit Jahren darlegt - als Ausdruck problematischer Organisationsstrukturen und der damit verbundenen Handlungsformen der Polizei.
Ich denke - und das ging in der Debatte bisher völlig unter - es verhält sich genau anders herum. Es ist - abgesehen vom empirischen Fehlverhalten - gerade der Abschottungscharakter des Generalverdachts-Vorwurfs, der das Vertrauen in die Sicherheitskräfte untergräbt und nicht eine Kritik, die nicht die Polizist*innen persönlich angreift, sondern die Strukturen, in denen sie arbeiten müssen, aber auch problematische Charaktere anziehen.
Heißt es doch stets vonseiten der Polizeivertreter, wenn die Ausweitung ihrer Überwachungsbefugnisse auf Kritik stößt: „Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten.“ Dieser Logik nach legen die Abwehrreaktion auf den Vorstoß, die Institution Polizei unter eine zivilgesellschaftliche, kritische Lupe zu nehmen oder die Kritik am Beweislastumkehrgesetz in Berlin oder am neuen Gesetz in Bremen nahe, dass ihre Beamten durchaus etwas zu verbergen haben. Was nicht gerade das Vertrauen in sie stärkt.
Darüber hinaus drücken der Generalsverdachtsvorwurf und die Klage über einen - in Anbetracht von Umfragen - herbeigeredeten Verlust des Vertrauens in die Sicherheitskräfte ein mangelhaftes Demokratieverständnis aus. Was auch nicht gerade förderlich ist, will man Polizist*innen als fest verankert auf dem Boden der Demokratie darstellen.
Denn zur Demokratie gehört nicht einfach nur das blinde Vertrauen in die Institutionen des demokratischen Staates, sondern konstitutionell ebenso das Misstrauen und der Generalverdacht, dass Menschen in staatlichen Machtpositionen bei der Ausübung des Gewaltmonopols Machtmissbrauch betreiben können. Gerade in Bezug auf die Arbeit der Polizei, als das Gewaltvollzugsorgan der Exekutive, ist ein Misstrauen, dass hier stets alles in den Grenzen des Erlaubten läuft, demokratisch geboten. Die Demokratie zeichnet eine öffentliche Kontrolle von Menschen in staatlichen Institutionen aus. Wer dagegen Sturm läuft, diskreditiert sich als Verteidiger der Demokratie.
So täten Polizist*innen gut daran, allein für ihre tägliche Arbeit auf der Straße, sich nicht von Leuten verteidigen zu lassen, die Nachhilfe in Demokratie benötigen. Stattdessen sollten sie offen die Probleme in ihrer Institution zur Debatte zu stellen. Das könnte sie selbst vom Druck der Unfehlbarkeit entlasten und Vertrauen schaffen. Sowieso. Vertrauen kriegt man in der Demokratie nicht einfach geschenkt, nur weil man eine staatliche Autorität ist. Sondern man verdient es sich, indem man sich ihm in seinem Handeln als würdig erweist.
(überarbeitete Version 27. Juni)


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