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Patrick Viol

Kommentar: Panik ist der Verbündete autoritärer Bedürfnisse

In seinem Kommentar kritisiert Patrick Viol, dass eine grüne RAF heraufbeschwörende CDUler sich ebenso von Panik leiten lassen wie die Letzte Generation.

Eine "Klima-RAF"?  - Teile der Union scheinen in den Untergrund des moralischen Mindestniveaus unserer Gesellschaft abgewandert zu sein.

Eine "Klima-RAF"? - Teile der Union scheinen in den Untergrund des moralischen Mindestniveaus unserer Gesellschaft abgewandert zu sein.

Bild: Bild: J. Schueler

„Hallo Justizminister! Hallo Innenministerin! Sperrt diese Klima-Kriminellen einfach weg!“ - Diese jedes Verständnis demokratischer Gewaltenteilung vermissen lassende, dafür aber umso unverhohlener sein autoritäres Strafbedürfnis ausdrückende Äußerung hat am vergangenen Freitag der ehemalige Verkehrschaosminister Andreas Scheuer auf twitter rausgehauen. Anlass dazu gegeben haben die aktuellen Lieblingsfeinde der mittlerweile im Untergrund des moralischen Mindestniveaus unserer Gesellschaft kämpfenden Union: die Aktivisten der Letzten Generation. Diesmal hatten sie sich auf dem Rollfeld des bereits von sich aus regelmäßig im Chaos versinkenden Flughafens Berlin Brandenburg festgeklebt.

Scheuer sieht ebenso wie sein Kollege Alexander Dobrindt und die AfD in der Letzten Generation die Gefahr einer terroristischen„Klima-RAF“ heraufziehen, die es mit abschreckenden Knaststrafen zu bannen gelte. Dafür hat der selbst ernannte konservative Revolutionär Dobrindt mit Parteichef Merz sogar einen Antrag zur Verschärfung des Strafrechts in den Bundestag eingebracht. Der wurde zwar nicht angenommen, denn die bestehenden Straftatbestände sind vollkommen ausreichend. Er offenbarte aber, dass die Union - ebenso wie die Letzte Generation - Zwecke kennt, die für sie demokratisch und rechtsstaatlich fragwürdige Mittel rechtfertigen.

Denn die in dem Antrag geforderten härteren Strafen für „Straßenblockierer“ dienen nicht nur einer populistischen Profilierung rechts der Mitte. Wer Verhältnismäßigkeit suspendieren will und die Verschärfung von Strafen gegen politisch motivierte Einzeltäter fordert, um andere abzuschrecken, verlangt nach der Möglichkeit, zur Verteidigung der Ordnung Exempel zu statuieren. Das zu tun ist aber ein Merkmal autoritärer Regime. Und während man im Bundestag noch vor autoritären Bedürfnissen warnt, finden sie im christlich-sozialen Bayern bereits ihre Befriedigung. Hier sitzen 33 Klimaaktivisten in Präventivhaft. Sie werden also faktisch wie Terroristen behandelt, da Präventivhaft zur Terrorabwehr geschaffen worden ist. So setzt die Union in Bayern Stauverursacherinnen und Glasscheibenbeschmierer mit antiimperalistischen, rechtsradikalen sowie islamistischen Mördern gleich und relativiert wirklichen Terror und verhöhnt dessen Opfer. Denn, auch wenn die Aktionen der Letzten Generation Straftaten darstellen und Straßenblockaden wie jede angemeldete Demonstration dazu führen können, dass Rettungsfahrzeuge im Stau stehen - um Terror handelt es sich hier nicht.

Die Letzte Generation verbreitet unter der Zivilgesellschaft weder Angst und Schrecken noch ist sie extremistisch. Im Gegenteil: Sie steht - im Gegensatz zur RAF - voll und ganz auf dem Boden kapitalistischer Produktionsverhältnisse und Staatlichkeit. Sie ist nicht staatsfeindlich, sondern wie die Union staatsfetischistisch: Den die Klimaziele konterkarierenden unlösbaren Zusammenhang von Staat und Kapital ignorierend, verlangt sie nicht mehr, als dass deren Verwaltungspersonal tut, was es versprochen hat. Das bestätigt auch der Verfassungsschutzpräsident. Was hingegen keiner kritisiert: Dass die naiven Krisenlösungsvorstellungen der Letzten Generation - gerade weil sie die herrschaftliche Verfasstheit der Verhältnisse nicht hinterfragt - in der Praxis auf ein durchrationalisiertes Klassensystem planetarischen Maßstabs, auf totale Herrschaft wie in Aldous Huxleys Brave New World hinausliefen.

Da Scheuer und Dobrindt hiervon aber ebenso keinen Begriff haben, bleibt die Frage: Woher stammt ihr irrationales Strafbedürfnis? Eine Erklärung wäre: Die freigesetzte Angst unter den von der herrschenden Ordnung in Panik versetzen Klimaaktivisten scheint Scheuers und Dobrindts verdrängte Angst vor der Ordnung unbemerkt anzustacheln. Damit wird sie ein stückweit der Finsternis ihres Unbewussten entrissen. Aber: Wie bei sich mit ihrem autoritären Vater aus Angst vor ihm mit ihm identifizierenden Söhnen bildet bei den Unionspolitikern die Verdrängung der Angst vor der Gewalt der Verhältnisse den Boden ihrer totalen Identifikation mit ihr. Und ihrer Identität. Weshalb sie sich vom Eindringen der Angst ins Bewusstsein absolut bedroht fühlen: Sie droht die Identifikation aufzulösen, was Panik schürt. Und im diese zu bändigen, müssen sie ihre Identifikation mit der strafenden Instanz neu befeuern, indem sie jene mit eigens erdachten Strafen ruhigzustellen versuchen, von denen die Bedrohung für die Identifikation ausgeht.

Was abschließend zeigt: Egal ob christlich-sozial oder linksökologisch - Panik stachelt stets nur das Bedürfnis nach autoritärer Herrschaft an.


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