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Tom Boyer

Herdenschutztag - Der Wolf bleibt ein kontroverses Thema

Axstedt. Beim Infotag „Schutz von Weidetieren vor dem Wolf“ informierten sich Nutztierhalter:innen über den Herdenschutz. Die Debatte um den richtigen Umgang mit Wölfen in Niedersachsen dauert an.
Zum Herdenschutztag kamen in Axstedt Nutztierhalter:innen, Förster:innen und Vertreter:innen der Politik zusammen. Foto: tobo

Zum Herdenschutztag kamen in Axstedt Nutztierhalter:innen, Förster:innen und Vertreter:innen der Politik zusammen. Foto: tobo

Nach 150 Jahren kehrte der Wolf Anfang der 2000er Jahre in kleinen Beständen nach Deutschland zurück. Nach einer anfänglichen Etablierung in der sächsischen und brandenburgischen Oberlausitz verbreitete er sich sukzessive in vielen weiteren Teilen Deutschlands. Allein Niedersachsen hat 2022 bereits einen Bestand von mehr als 1200 Wölfen. Der Wolf wird einerseits als Gefahr wahrgenommen - beispielhaft für eine negative Konnotation sind das Märchen Rotkäppchen oder die Figur des Werwolfs -, gilt aber auch als ein Symbol für eine intakte Natur.
 
Strenge Rechtsvorschriften
 
Der Wolf ist sowohl über das internationale und das europäische, als auch über das deutsche Recht streng geschützt. Deutschland hat sich dazu verpflichtet, die Gegebenheiten für die Herausbildung eines lebensfähigen Bestandes zu gewährleisten. Bei Verstößen gegen den strengen Schutz von Wölfen sind Freiheitsstrafen von bis zu fünf Jahren und Geldstrafen als Folge möglich.
Im Rahmen des Infotages „Schutz von Weidetieren vor dem Wolf“ (Herdenschutztag) für Weidetierhalterinnen und Weidetierhalter wurden in Axstedt Praxisbeispiele für wolfsabweisenden Herdenschutz vorgestellt. Dieser kommt bei Rindern, Schafen und Pferden zutragen. Neben der Vorstellung von mobilen und ortsfesten Zäunen und der Präsentation von Freischneidetechniken für die Instandhaltung der Zäune hatten die Landwirtinnen die Möglichkeit zum Austausch über die aktuelle Situation. Dazu waren unter anderem Förster:innen und Vertreter:innen des Umweltministeriums vor Ort.
 
„Wir werden allein gelassen“
 
Jüngst hatten Landwirte in Schwanewede oder Garlstedt Verluste von Nutztieren zu beklagen, nachdem diese von Wölfen gerissen wurden. „Wir haben das Gefühl, das uns über die Wolfsbestände nicht die Wahrheit gesagt wird. Der Wolf wird hier auf uns gehetzt und wir werden allein gelassen.“ Mit solchen und ähnlichen Aussagen drückten die Betroffenen auf der Veranstaltung gegenüber politischen Vertreterinnen ihren Frust aus. Ein weiterer Besucher fügte hinzu: „Unsere müssen wir wegen der Wölfe abends zurück in den Stall bringen, das kostet enorm viel Zeit.“ Ein weiterer Landwirt redete sich dermaßen in Rage, dass er das ausbleibende Handeln der Politik mit dem Dritten Reich verglich.
Viele der Landwirtinnen wünschen sich eine Anpassung der Gesetze und eine Obergrenze an Wölfen, weil sie sich um ihre Nutztiere und damit um ihre Existenz sorgen. Sie würden Wölfe bei Sichtungen häufig nicht mehr melden, sagten einigeTeilnehmer:innen. Der Prozess sei aufwendig und die Politik habe bisher noch nicht mit helfenden Maßnahmen reagiert. Dies erschwert natürlich wiederum zukünftige und angemessene Handlungsmöglichkeiten für die Politik zugunsten der Landwirte. „Ob die Politik einem gefällt oder nicht, sie können nur handeln, wenn Statistiken vorhanden sind“, konkludiert ein weiterer Besucher.
 
„Das ist nicht zu schaffen!“
 
Im Augenblick bekommen Landwirtinnen für gerissene Nutztiere lediglich Entschädigungen, also Billigkeiten, wenn sie Zäune verbaut haben, die den Herdenschutzmaßnahmen gerecht werden. Außerdem müssten die Tiere nachweislich von einem Wolf gerissen worden sein, so ein anwesender Förster. Diese stellen die Schnittstelle zwischen Bürokratie und Landwirtschaft dar, indem sie die Risse aufnehmen und die Daten weitergeben.
Aktuell werden die Herdenschutzzäune in Niedersachsen zwar gefördert, dennoch werden die Landwirte mit Mehrkosten für die Maschinerie und für die Instandhaltung des Zaunes belastet. Mehrere Hektar den Vorgaben entsprechend einzuzäunen und zu kontrollieren ist darüber hinaus ein erheblicher Arbeitsaufwand. Hinzu kommt die Kulturlandschaft Moor als erschwerender Faktor, sagt ein Landwirt: „Wie soll ich im Moorboden mehrere Kilometer dieses Zaunes errichten und diesen dann auch noch Instandhalten? Das ist nicht schaffbar!“ Das gilt besonders für Kleinbetriebe und solche, die Landwirtschaft einschließlich Nutztiere als Hobby betreiben und halten. Sie können sich anders als große Betriebe auf den Erhalt bestimmter Arten konzentrieren. Die Kosten und der Mehraufwand werden angesichts der Maßnahmen für viele dieser Weidenhalter nunmehr untragbar werden.
 
CDU fordert effektives Wolfsmanagement
 
Die CDU positioniert sich in der Wolfsfrage tendenziell auf der Seite der Landwirtinnen. „Wir müssen endlich einen Perspektivwechsel wagen und aufzeigen, dass ein vernünftiges Miteinander von Menschen und Wolf ein vernünftiges Management benötigt“, meint etwa Dr. Frank Schmädeke. „Nur damit können wir eine Koexistenz von Wölfen und Menschen in der Kulturlandschaft Niedersachsens erreichen. Dafür brauchen wir schnell eine Bestandsuntergrenze und eine Überarbeitung des Monitorings nach französischem Vorbild in Deutschland“, so der CDU-Politiker.
Dr. Denis Ugurcu (ebenfalls CDU) die äußert sich in einer anderen Mitteilung wie folgt: „Jetzt müssen auf Bundesebene die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass wir in Niedersachsen schnell eine Wolfsobergrenze einführen können! Ganz konkret müssen wir bereits den jetzigen Bestand reduzieren. Die Probleme durch die Wolfsrisse im Südkreis des Landkreises Cuxhaven zeigen beispielsweise wie dramatisch die Situation ist“.
Ein weiteres häufiges Argument für Abschüsse von Wölfen ist die von ihnen ausgehende Gefahr für den Menschen. Die nach 20 Jahren wiederholte „NINA-Studie“ des NABU kann hier aber Entwarnung geben: Von 2002 bis 2020 gab es in Europa und Nordamerika insgesamt zwei tödliche und 12 nicht tödliche Angriffe von Wölfen auf Menschen. Weltweit kam es zu 489 Angriffen, wovon 26 tödlichen endeten, 78 Prozent davon gingen von an Tollwut erkrankten Tieren aus.
 
NABU kritisiert Populationsstudie
 
In einer Pressemitteilung des NABU Niedersachsen wird auf die „Populationsstudie Wolf“ eingegangen, die von der CDU als Grundlage für eine Abschussquote genutzt wird. Nach Dr. Holger Buschmann (NABU-Landesvorsitzender in Niedersachsen) sei die Studie „entgegen den Aussagen von Olaf Lies keine Grundlage für politisches Handeln“. Die Modellrechnungen basierten auf exponentiellem Wachstum, in Wirklichkeit sei das Wachstum aktuell deutlich geringer. Vier von 23 Szenarien ergeben laut der Studie eine Ausrottung bis 2030. Rechne man mit realisitischeren Wachstumszahlen, führten viele weitere ebenfalls zum Aussterben des Wolfs. Darüber hinaus gebe es keine empirische bewiesene Korrelation zwischen verringerten Nutztierrissen und geringerem Wolfsbestand. Im Gegenteil: Die Nutztierrisszahlen könnten bei Einführung einer Abschussquote wegen Zerstörung von Rudelstrukturen sogar steigen. So sei es in Frankreich gewesen, nachdem die Abschussquote von 19 Prozent eingeführt wurde. In Deutschland gehe die Zahl der Nutztierrisse aktuell zurück, obwohl der Wolfbestand wachse. bschüsse seien nur dann sinnvoll, wenn sie Einzeltiere beträfen, die gelernt haben die Herdenschutzmaßnahmen zu überwinden, meint Holger Buschmann.
 
Konsequenter Herdenschutz statt Bestandsgrenzen
 
Ober- und Untergrenzen des Bestandes hält der NABU nicht für den richtigen Umgang mit dem Problem. „Die einzige dauerhafte Lösung zum Schutz von Nutztieren und des nach EU- sowie Bundesrecht streng geschützten Wolfes kann nur in der Umsetzung konsequenter und fachgerechter Herdenschutzmaßnahmen bestehen“, so Buschmann. Der NABU kommt nach einer Forsa-Umfrage zu der Erkenntnis, dass 69 Prozent der Bewohner Niedersachsens den Wolf in der Region begrüßen. Statt Ober- und Untergrenzen seien anderweitig gedachte Maßnahmen sinnvoll: „Parolen gegen den Wolf helfen nicht weiter, sondern nur praktische Unterstützung der Weidetierhaltungen vor Ort. Die Weidetierhalter fühlen sich in diesem Punkt zu Recht allein gelassen und werden sich noch mehr allein gelassen fühlen, wenn Bestandsregulierungen umgesetzt werden, sie aber weiterhin mit ihrem Problem kämpfen müssen“, sagt Buschmann.


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