Seitenlogo
Ralf G. Poppe

Erneuerbare Energien endlich ausbauen: Interview mit Dr. Julia Verlinden.

Landkreis. Dr. Julia Verlinden, Mitglied des Bundestages und  energiepolitische Sprecherin vom Bündnis 90/Die Grünen im Interview über eine klimaverträgliche Energiewende.
Dr. Julia Verlinden unterstützt das Mentoring-Programm Frau. Macht. Politik.  Foto: S. König

Dr. Julia Verlinden unterstützt das Mentoring-Programm Frau. Macht. Politik. Foto: S. König

Bild: www.fotografin.info

ANZEIGER: Sie sind nun in der zweiten Legislaturperiode im Bundestag. Was sind ihre Erfahrungen in der immer noch von der „Männerwelt“ dominierten Politik?
 
Verlinden: Der Frauenanteil ist im aktuellen Bundestag noch geringer als zuvor, insofern ist es nicht ganz abwegig von einer „Männerwelt“ zu sprechen - leider. Bei Bündnis 90/Die Grünen wird seit langem mit Erfolg praktiziert, was wir auch politisch fordern: Die Hälfte der Macht den Frauen. Deswegen gilt bei uns die Frauenquote. Und auch die Männer, mit denen ich bei den Grünen zusammenarbeite, sind davon überzeugt.
 
ANZEIGER: Derzeit läuft das aktuelle Mentoring-Programm des Landes Niedersachsen Frau.Macht.Politik. Haben Sie eigene Berührungspunkte mit diesem Programm?
 
Verlinden: Ich hatte vor zwei Wochen eine Gruppe von fast 50 Frauen aus den Landkreisen Stade, Cuxhaven und Harburg in Berlin zu Gast, die an dem Programm teilnehmen. Ich finde das Programm ist eine sehr gute Möglichkeit, um in die Kommunalpolitik hinein zu schnuppern und sich mit den Abläufen vertraut zu machen und war von der Motivation der Frauen ganz begeistert. Meine Erfahrungen gebe ich z.B. in meiner Funktion als Mentorin bei der grünnahen Heinrich-Böll-Stiftung weiter.
 
ANZEIGER: Mit dem Stromeinspeisungsgesetzes vor 20 Jahren gelang der Einstieg in die Erneuerbaren Energien. Nun fallen jedoch die ersten Anlagen aus der Förderung. Welche Folgen hat dies für die besagten Anlagen in Hinblick auf die Einspeisung und welche Nachfolgeregelungen sollten aus ihrer Sicht für diese Anlagen geschaffen werden? Auch im Landkreis Rotenburg stehen einige dieser Anlagen, die zum Teil bereits vor dem EEG aufgestellt worden waren, und nun um den Weiterbetrieb kämpfen.
 
Verlinden: Wir brauchen jetzt jede Anlage, die sauberen Strom produziert. Das gilt umso mehr, als die Bundesregierung den Neubau von Wind- und Solaranlagen in den letzten Jahren immer weiter ausgebremst hat. Wir Grüne setzen uns deshalb für einfache und unbürokratische Anschlussregelungen für ältere Anlagen ein, die sicherstellen, dass der produzierte Strom ins Netz eingespeist und entsprechend vergütet werden kann. Aber auch das Repowering von älteren meist leistungsschwächeren Windenergieanlagen sollte jetzt erleichtert werden, z.B. durch vereinfachte Genehmigungsverfahren.
 
ANZEIGER: Im Bundesrat befindet sich das Kohleausstiegsgesetz. Welche Position vertreten Sie zur Inbetriebnahme des neuen Kohlekraftwerkes Datteln 4?
 
Verlinden: Die Bundesregierung hat über ein Jahr gebraucht, um nach Abschluss der Kohlekommission einen Gesetzentwurf zum Kohleausstieg vorzulegen. Und dieser Vorschlag bleibt dann auch noch weit hinter dem Kompromiss der Kommission zurück. Außerdem will die Regierung mit Datteln sogar ein neues Kohlekraftwerk ans Netz nehmen. Das ist völlig indiskutabel.
 
ANZEIGER: Wo sehen Sie Ansätze zu Lösungswegen?
 
Verlinden: Deutschland muss jetzt so schnell wie möglich auf eine klimaverträgliche Energieversorgung umsteigen. Das funktioniert, wenn die Regierung endlich auf Energieeinsparung und Energieeffizienz setzt und den Ausbau der Erneuerbaren Energien massiv beschleunigt.
 
ANZEIGER: Das Atomkraftwerk Stade befindet sich in unmittelbarer Nähe zu Bremervörde. Die Altlasten werden sicher noch die nächsten Generationen beschäftigen. Gibt es neue Erkenntnisse zum Abbau besagter Altlasten?
 
Verlinden: Mit jedem Tag, den Atomkraftwerke laufen, wächst auch der atomare Müllberg. Nicht nur angesichts der ungelösten Entsorgungsfrage ist es nach wie vor entscheidend, dass Deutschland seine AKW so schnell wie möglich abschaltet: Auch den Ausbau und die Nutzung der Erneuerbaren Energien blockieren die großen, unflexiblen AKW: beispielsweise verstopfen diese mit ihrer Produktion die Stromnetze auch in windigen Zeiten.
 
ANZEIGER:Wie stellen Sie sich die Entsorgung des Atommülls vor?
 
Verlinden: Wir müssen in einem transparenten und gründlichen Verfahren einen Standort finden, an dem der strahlende Müll so sicher wie möglich gelagert werden kann. Dafür brauchen wir gute Beteiligungsprozesse und ein Geologiedatengesetz, das maximale Datentransparenz garantiert.
 
ANZEIGER: Die beiden mit Wasserstoff betriebenen Züge, die seit 2018 im Regionalverkehr zwischen Bremervörde, Cuxhaven und Bremerhaven verkehren, sind weltweit die ersten ihrer Art. Seit Beginn der Testphase ruhen auf ihnen große Hoffnungen, denn die emissionsfreien Fahrzeuge sollen künftig die auf nicht elektrifizierten Bahnstrecken eingesetzten Dieselzüge ersetzen. Wie bewerten Sie diese Züge?
 Verlinden: Ich finde das Projekt spannend und die Züge scheinen auch in der Praxis zu überzeugen. Dass die Landesnahverkehrsgesellschaft kürzlich angekündigt hat, weitere Wasserstoffzüge zu beschaffen, ergibt dann Sinn, wenn die betroffenen Strecken nicht zeitnah elektrifiziert werden können. Es ist aber auch wichtig, darauf zu achten, wie der Wasserstoff produziert wird. Einen Klimanutzen hat Wasserstoff nur, wenn er aus erneuerbarem Strom erzeugt wurde. Das heißt, wir brauchen mehr Sonnen- und Windenergie. Eine Wasserstoffstrategie, die von Kohlestrom abhängig wäre, wäre ein klimapolitischer Maximalschaden.“


UNTERNEHMEN DER REGION