Tabu-Thema Alkoholsucht
Bremervörde. Gemeinsam mit einem ebenfalls ehemaligen Erkrankten sowie mit Birgit Flemming, Leiterin der Fachstelle Sucht und Suchtprävention im Landkreis Rotenburg (Wümme), Allgemeinmediziner Dr. Marc Hanefeld, dem ärztlichen Direktor Dr. Darius Tabatabai und dem Moderator Boris Thomas stellte sich Sandra Fricke dem schwierigen Thema in der Öffentlichkeit. „Dies Thema darf nicht totgeschwiegen werden, sondern sollte unter dem Teppich hervorgeholt werden“, formulierte sie ihre Motivation.
Alkohol gehörte schon früh dazu
Fricke ist in einer gut bürgerlichen Familie mit dem Wissen aufgewachsen, irgendwann für den Familienbetrieb verantwortlich zu sein. Wie es auf dem Dorf so üblich ist, machte sie bereits früh auf Schützen- und Dorffesten Erfahrung mit Alkohol. Der Alkohol war zudem hin und wieder Helfer bei Liebeskummer oder Stress, bis er dann immer präsenter und normaler wurde. Die jetzt 51-jährige erkannte irgendwann ihr Problem, suchte und fand Hilfe. Acht Jahre war die Bremervörderin dann abstinent, bevor sie einen Rückfall erlitt. Mithilfe ihres Hausarztes, bei dem sie Unterstützung gesucht hatte, machte sie eine Entgiftung. Ihr damaliger Chef – Boris Thomas – bemerkte damals, dass etwas nicht stimmte und suchte das Gespräch mit der Erkrankten, was ihr auch heute noch unheimlich viel bedeutet, denn Akzeptanz und Offenheit seien wichtig, so Fricke.
„Das erste Gehalt wird versoffen“
Der 24-jährige Timo imponierte dem Publikum mit seiner Offenheit, mit der er über seine sechsjährige Drogenkarriere sprach. In der Schule kam er mit Gras und Joints in Kontakt, testete sich aus und merkte nicht, dass er bereits nach kurzer Zeit immer mehr brauchte. Dazu kamen dann Alkohol und Ecstasy. Warum er in diese Schiene rutschte, konnte der junge Mann nicht genau sagen. Waren es die Vorbilder in den Rapper-Videos bei denen immer alle Leute gut drauf waren, die Verfügbarkeit der Drogen oder die Möglichkeit der Entspannung und Entschleunigung?
Timo war jedenfalls schnell abhängig und schaffte den ersten Entzug kurz vor Ende seiner Ausbildung, belohnte sich aber mit einem Joint für die bestandene Prüfung. Als er dann sein erstes Gehalt nach bestandener Ausbildung erhielt, hätten alle gesagt: „das erste Gehalt wird versoffen“ – somit wurde es in Alkohol und Drogen umgesetzt. Glücklicherweise suchte er sich schnell Hilfe und ist nun seit einigen Monaten frei von Drogen. Für Timo ist aber klar, wenn er Drogen sieht, geht er aus der Situation raus, denn selbst über den Anblick würde die Lust sofort aufkommen und er könne für nichts garantieren. Viel Sport zu treiben helfe ihm dabei, gesund zu bleiben.
Birgit Flemming informierte darüber, dass die Fachstelle Sucht und Suchtprävention offene Sprechstunden anbietet, bei der jede/r ohne Termin erscheinen könne. Telefonische Terminvereinbarungen für Angehörige und Betroffene seien aber auch jederzeit möglich. Das Angebot ist generell kostenlos.
Die Scham ist groß
Die Motivation für eine Beratung sei unterschiedlich und individuell. Wie Dr. Hanefeld erklärte, geben die meisten Betroffenen eine Konsumstörung nicht zu, erst wenn das Problem durch Blut- oder Leberwerte sichtbar und greifbar werde. Die Scham, ein Problem vor dem Arzt oder den Praxismitarbeitenden zuzugeben, sei bei vielen Betroffenen sehr groß – dabei sei die ärztliche Schweigepflicht natürlich auch hier bindend.
Dr. Darius Tabatabai weiß aus vielen Studien, dass sich das Bild der Erkrankten in den letzten Jahren gewandelt hat und viele neue Formen der Konsumstörungen auftreten. Oftmals sei ein Mix aus Drogen und Alkohol aber auch die verstärkte Einnahme von (Schmerz-)Medikamenten das Problem.
Alle Beteiligten der Podiumsdiskussion waren sich darin einig, dass Aufklärung, besonders in Schulen, noch stärker angeboten werden müsste. Alkohol und Vor allem der Drogenkonsum in jungen Jahren sorge für immer mehr Erkrankungen und hätte oft irreparable Folgen.
„Weggucken ist ganz schlecht, aber reden hilft“, sagte Flemming. Auch Angehörige hätten einen sehr großen Leidensdruck, meist sogar mehr als der Erkrankte. Wichtig sei, Betroffene in die Eigenverantwortung zu bringen – aber niemanden fallen zu lassen.
Die inzwischen als Yogalehrerin und Coach arbeitende Fricke wünscht sich ein generelles Werbeverbot für Alkohol, höhere Preise und frühere Aufklärung. Auf andere zugehen, wertschätzend und respektvoll, Hilfe anbietend und erfragend aber auch auf die Angehörigen und die Kinder achten, waren Wünsche aus dem Podium.
Fachstellen Sucht und Suchtprävention im Landkreis Rotenburg (Wümme):
Rotenburg, Große Str. 28-30, Offene Sprechstunde: Dienstag 14 bis 17 Uhr
Bremervörde, Bahnhofstr. 15, Offene Sprechstunde: Mittwoch 14 bis 17 Uhr
Zeven, City Passage, Poststr. 12, Offene Sprechstunde: Montag 14 bis 17 Uhr
Visselhövede, Bahnhofstr. 31, Offene Sprechstunde: Mittwoch 15 bis 17 Uhr
Kontakt: Mo, Mi, Do, Fr. 9 bis 13 Uhr sowie Di. 13 bis 17 Uhr unter der Telefonnummer 04261/9628041 oder per E-Mail: suchtberatung-rotenburg@therapiehilfe.de