„Legalisierung ist richtig und sinnvoll“
Im Zuge der Cannabis-Legalisierung werden auch Forderungen nach mehr Präventionsarbeit laut. Welche Rolle die Substanz in der Arbeit der Suchtberatung des Diakonischen Werks in Osterholz-Scharmbeck spielt, verrät Suchtpräventionsfachkraft und Diplom-Pädagogin Magdalena Windey im Interview.
Anzeiger: Frau Windey, wie häufig spielt das Thema Cannabis - auch im Vergleich zu anderen Suchtmitteln - in der Beratung eine Rolle?
Windey: Bei der Beantwortung dieser Frage muss man klar zwischen KlientInnen der Suchtberatung und meinen KlientInnen, denen der Suchtprävention unterscheiden. In der klassischen Suchtberatungsstelle liegt der Anteil der Ratsuchenden zum Thema Cannabis bei 20 bis 25 Prozent. Die hauptsächlich zu beratende Substanz ist Alkohol mit ca. 90 Prozent und ca. 10 Prozent der Menschen suchen Rat im Bezug auf Kokain, andere synthetische Drogen und/oder Medien.
In der Suchtprävention, die vornehmlich von Jugendlichen oder jungen Menschen ohne manifestierte Sucht aufgesucht wird, liegt der Anteil wesentlich höher. Hier geht es in ca. 80-90 Prozent aller Fälle um Cannabis. Ca. 10 Prozent der KlientInnen suchen Rat zum Thema Alkohol. Ein geringerer Anteil der Jugendlichen beschäftigt sich mit synthetischen Drogen und ca. 5 Prozent suchen Beratung zum Thema Medien.
Cannabis wird häufig als Einstiegsdroge bezeichnet. Können Sie diese Einschätzung bestätigen oder eher nicht?
Zunächst einmal: Cannabis ist nicht die Einstiegsdroge, nach deren Konsum automatisch ein Substanz-Hopping passiert, an dessen Ende der Heroinkonsum steht.
Richtig ist: Oft - aber weniger oft, als vermutet - gibt es dort, wo Cannabis gekauft werden kann, auch andere illegale Drogen zu kaufen. Das kann zu dem Ausprobieren anderer Substanzen führen. In diesem Fall kann es auch schonmal zu einem Zugang zu Amphetaminen oder anderen synthetischen Drogen kommen.
Generell ist hierbei aber zu sagen: Jemand, der eine Affinität zum „Kiffen“ hat, steigt nicht um, weil ihm „kiffen“ nicht mehr ausreicht. So jemand konsumiert Cannabis, weil ihm der Rausch gefällt, weil er eine beruhigende Wirkung haben möchte. Derjenige wird nicht auf Amphetamine, deren Wirkspektrum das Gegenteil darstellt, „umsteigen“.
Es gibt einen äußerst geringen Teil von Jugendlichen, die möglicherweise zuerst Cannabis konsumiert haben, in deren Leben vielleicht furchtbar traumatische Dinge passiert sind und die irgendwie Kontakt zur Heroinszene bekommen haben. In diesen seltenen Fällen kann auch ein Substanzwechsel vorkommen. Aber die Heroinszene ist sehr klein und sehr abgegrenzt, zu dieser Szene bekommt ein „normaler“ Jugendlicher eigentlich keinen Kontakt. Cannabis ist hier also nicht die Ursache für den Wechsel auf Heroin, sondern die traumatischen Umstände können zum Konsum von Heroin geführt haben.
Wie bewerten Sie die neuen Pläne der Bundesregierung? Halten Sie eine Legalisierung für sinnvoll oder gefährlich?
Wir in der Fachstelle Sucht und Suchtprävention haben uns sehr intensiv mit dem Thema befasst und sind uns auch sehr einig: Die Legalisierung ist aus unserer Sicht richtig und sinnvoll. Allerdings ist unserer Meinung nach eine andere Reihenfolge der Einführung zielführend.
Absolut angebracht ist aus unserer Sicht die Entkriminalisierung der Konsumenten, die als erwachsene Menschen eine Substanz konsumieren, die in ihrer biochemischen Schädlichkeit mit Alkohol vergleichbar ist.
Absolut sinnvoll ist, darüber hinaus schwerpunktmäßig dafür zu sorgen, dass der Gesundheitsschutz der Bevölkerung gefördert wird.
Es gibt Konsumenten von Cannabis. Sie werden weiter konsumieren. Aber der Schwarzmarkt, der häufig aus Gründen der Gewinnmarge stark verunreinigtes Cannabis vertreibt, soll ausgedünnt und zurückgedrängt werden. Die kontrollierte Abgabe an erwachsene Menschen unter klar geregelten gesetzlichen Bedingungen bietet die Chance, bei den erwachsenen Konsumenten den Gesundheitsschutz zu erhöhen, indem ihnen ermöglicht wird, „sauberes“ Cannabis zu konsumieren.
Wo gibt es aus ihrer Sicht beim Eckpunktepapier noch Handlungsbedarf?
Kritisch sehen wir die Tatsache, dass im Eckpunktepapier der Bundesregierung bisher keine Erhöhung der Personalstruktur in Aussicht gestellt wurde. Fraglich ist somit, wie dem erhöhten Bildungsauftrag, dem mit Sicherheit steigenden Aufklärungsbedarf an Schulen und für junge Menschen und auch möglicherweise dem steigenden Beratungsbedarf erwachsener Konsumenten nachgekommen werden kann. Aus unserer Sicht muss zuerst an der Bildungsschraube gedreht werden. Zumindest die Weichenstellung für eine Sicherung des Bildungsauftrages, sowohl in der allgemeinen Personalsicherstellung, als auch in Form der Aus – und Weiterbildung geeigneter Fachkräfte, müsste gegeben sein. Und dies sollte dem erweiterten Zugang zu einem weiteren Genussmittel vorangestellt werden.
Wäre die Beratungs- und Präventionssituation an den Schulen und in Jugendfreizeiteinrichtungen zufriedenstellender abgedeckt, hätten wir als Mitarbeitende der Fachstelle Sucht und Suchtprävention ein deutlich entspannteres Gefühl dazu.
Lesen Sie hier die Titelstory zum Thema Cannabis-Legalisierung.