Krise im Kopf
Lockdown, Kontaktbeschränkungen und immer wieder neue und teils widersprüchliche Aussagen vonseiten der Politik - vieles, was mit Corona zusammenhängt, beunruhigt, ängstigt und ärgert viele Menschen.
Insbesondere im Hinblick auf das bevorstehende Weihnachtsfest, das zwar nun doch mit bis zu zehn Verwandten und deren Partnern stattfinden darf (nicht mitgezählt werden dabei Kinder unter 14 Jahren), sind viele verunsichert. Soll man die Lockerung ausnutzen oder riskiert man damit im Zweifel den Tod der Großeltern, wie von Kanzlerin Angela Merkel angedeutet?
„Corona ist wie ein Brennglas“
Wer nicht weiß, mit wem er über seine Sorgen sprechen soll, kann sich 24 Stunden am Tag und an 365 Tagen im Jahr anonym an die Telefonseelsorge wenden. Diakon Daniel Tietjen, Leiter der Telefonseelsorge im Elbe-Weser-Raum, sagt ganz klar: „Corona hat vor allem Auswirkungen auf Menschen, die schon vorher einsam, ängstlich oder psychisch labil waren und verstärkt diese Probleme wie ein Brennglas.“
Um rund 20 Prozent seien die Telefonkapazitäten deshalb im ersten Lockdown und auch jetzt im Zweiten erhöht und auch genutzt worden, so Tietjen. Viele Anrufer*innen hätten Angst vor Einsamkeit, existenzielle Sorgen und kämen schlecht mit der unklaren und unvorhersehbaren, schlecht planbaren Situation zurecht. Vielen fehle unter anderem auch der Austausch in Selbsthilfegruppen. Insbesondere viele jüngere Menschen, die sich Sorgen um die Zukunft machen, würden zudem derzeit lange auf ein Gespräch mit einem Psychologen warten, weil es einfach keine freien Plätze gebe, sagt der Diakon.
100 ehrenamtliche Telefonseelsorger*innen
Die rund 100 im Rahmen einer zweijährigen Ausbildung qualifizierten ehrenamtlich tätigen Telefonseelsorger*innen aus dem Elbe-Weser-Raum hätten in diesem Jahr bereits mehr als 9.500 Telefonate sowie mehr als 2.000 Gespräche per Chat geführt. Im Vorjahreszeitraum seien es knapp 9.000 Telefonate und 1.100 Chats gewesen.
„Wir versuchen nicht nur zuzuhören, sondern wollen den Anrufer*innen auch bei der Entwicklung eines passenden Weges helfen“, sagt Tietjen. Oft gehe es aber auch einfach darum, da zu sein, zu trösten und zu entlasten.
Tipps für die Coronazeit
Und welchen Tipp hat er ganz konkret für die Coronazeit? „Möglichst nur einmal am Tag über die aktuelle Lage informieren, sich mal was Gutes gönnen und sich auf die Dinge konzentrieren, die möglich sind, zum Beispiel mit Freunden spazieren gehen oder telefonieren, anstatt den Kontakt ganz abbrechen zu lassen“, sagt Tietjen.
Zusätzliche Hotline über die Feiertage
Angela Grimm, Direktorin des Zentrums für Seelsorge und Beratung der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannover, weist darauf hin, dass in Zusammenarbeit mit der NDR Media GmbH in Hamburg von Sonntag, 13. Dezember, bis einschließlich Neujahr eine zusätzliche Seelsorge-Hotline geschaltet wird. Zwischen 14 und 20 Uhr sind insgesamt 54 Pastor*innen und Diakon*innen aus den evangelisch-lutherischen, der reformierten und der katholischen Kirche in Niedersachsen am Telefon im Einsatz. Auch eine Psychotherapeutin gehört zum Team.
Nehmen Depressionen zu?
Doch führt die Pandemie neben dem gesteigerten Bedarf an seelsorgerischen Gesprächen auch dazu, dass mehr Menschen unter Depressionen oder psychischen Störungen leiden? Eine jetzt vom Robert-Koch-Institut vorgelegte Studie zur „Gesundheitlichen Lage der Bevölkerung zu Beginn der COVID-19-Pandemie“ bestätigt diese These zunächst nicht.
„Es zeigten sich keine Veränderungen in der depressiven Symptomatik in der Zeit einschneidender Eindämmungsmaßnahmen und nach deren Lockerung“ heißt es dort unter anderem.
Unterschiede zwischen Bevölkerungsgruppen
Es sei aber zu beachten, dass die mit der COVID-19-Pandemie einhergehenden Herausforderungen und Belastungen für einzelne Bevölkerungsgruppen sehr unterschiedlich gewesen seien. Zukünftige Forschung sollte daher untersuchen, ob sich in bestimmten Bevölkerungsgruppen, zum Beispiel bei Menschen mit geringem Einkommen, Arbeitslosen, Alleinerziehenden, älteren Menschen oder bei Personen mit chronischen Erkrankungen, spezifische Entwicklungen festzustellen seien, die hier nicht im Fokus standen.
International gebe es durchaus Hinweise darauf, dass bei höheren Inzidenzraten von COVID-19 und gravierenderen Maßnahmen höhere psychische Belastungen auftreten können, die dann auch zu einem Anstieg von psychischen Störungen führen könnten, heißt es weiter in der Studie.
Nummern der Telefonseelsorge
Die Telefonseelsorge ist 24 Stunden am Tag und 365 Tage im Jahr unter den kostenfreien Telefonnummern 0800/1110111 (evangelisch) und 0800/1110222 (katholisch) sowie 116123 erreichbar, außerdem im Internet per Webmail und Chat über die zentrale Website der deutschen Telefonseelsorge unter www.telefonseelsorge.de.
Die zusätzlich geschaltete Hotline über die Feiertage mit Pastor*innen und Diakon*innen ist vom 13. Dezember bis 1. Januar 2021 von 14 bis 20 Uhr unter der Telefonnummer 0800/1112017 erreichbar.