Patrick Viol

Wer hält es wie mit der Kernenergie?

Auch wenn an diesem Wochenende die letzten Atomkraftwerke abgeschaltet werden, geraten die Ampelkoalitionäre erneut in Streit über das Thema Atomkraft.

Das Ende qualmender Atomkraftwerke ist erreicht. Am 15. April werden die letzten drei AKW in Deutschland abgeschaltet. Die FDP verkraftet das nicht so gut.

Das Ende qualmender Atomkraftwerke ist erreicht. Am 15. April werden die letzten drei AKW in Deutschland abgeschaltet. Die FDP verkraftet das nicht so gut.

Eigentlich ist der Atomausstieg und der Rückbau der Atomkraftwerke beschlossene Sache. An diesem Wochenende spätestens werden gemäß Atomgesetz die drei jüngsten Reaktoren Emsland, Neckarwestheim 2 und Isar 2 abgeschaltet. Diesbezüglich hatte es vor dem Hintergrund der Energiekrise im Oktober letzten Jahres Streit in der Ampel gegeben. Die FDP wollte sie weiterlaufen lassen, die aus der Anti-AKW Bewegung entstandenen Grünen haben sich dagegen gesperrt. Der Streit nahm solche Ausmaße an, dass der Kanzler ein Machtwort sprechen musste, um ihn zu beenden. Nach gerade mal knapp einem Jahr Ampelregierung. Der Schaden, den dieses Mittel der Ampel zufügte, war nicht gerade klein.

Und nun geht der Streit trotz klarer Gesetzeslage in die zweite Runde, weil die FDP will, dass die Atomkraftwerke nicht sofort zurückgebaut, sondern auf Reserve gehalten werden. FDP Chef Christian Lindner bedauert: „Mir wäre lieber, wir hätten weiter die Reserve von drei klimaneutralen, bestehenden Kernkraftwerken.“

 

Reserve wäre rechtswidrig

 

Die AKW in Reserve zu halten wäre aber rechtswidrig, wie Bundesumweltministerin Steffi Lemke gegen ihren Koalitionspartner betont. Zudem brächte es einige Schwierigkeiten mit sich, auf Reserve gehaltene AKW wieder hochzufahren: Es bräuchte neue Betriebsgenehmigungen, neue Brennstäbe müssten bestellt und das Atomgesetz geändert werden, so Lemke weiter.

Bundeswirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck verweist darüber hinaus darauf, dass die Energieversorgung gesichert sei, die Begründung der FDP für eine AKW-Reserve also gegenstandslos ist.- An diesem Satz wird er spätestens im nächsten Winter gemessen werden.

Auch Scholz halte unverrückbar am finalen Ausstieg fest: „Der Atomausstieg zum 15.4., also zu diesem Samstag, ist beschlossene Sache. Und das hat der Kanzler immer wieder so betont“, sagte die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Hoffmann.

Das sehen auch die Betreiber so: „EnBW diskutiert nicht über Atomausstieg, sondern hält am Masterplan für den Rückbau fest“, sagte der Chef der EnBW-Kernkraftsparte, Jörg Michels.

Ebenso klingt es seitens der Betreiber des Kernkraftwerks Emsland in Lingen. „Der Ausstieg aus der Kernenergie ist eine politische Entscheidung. Entsprechend der gesetzlichen Regelungen werden wir das Kernkraftwerk Emsland am 15.4. vom Netz nehmen“, sagte ein Sprecher des Essener Energiekonzerns RWE.

 

Unterstützung von der Union und der IHK

 

Von wem die FDP Rückenwind bekommt, das ist die CDU und die Deutsche Industriehandelskammer. Der Ausstieg aus der Atomkraft trotz Energiekrise sei ein „schwarzer Tag für den Klimaschutz in Deutschland“, sagt z. B. Jens Spahn, stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag. Und er wettert gegen Habeck in der Sendung „Frühstart“ der Sender RTL und ntv am Dienstag, der Minister lasse „lieber Kohlekraftwerke laufen - den Klimakiller schlechthin, CO2-Drecksschleudern - als klimaneutrale Kernkraftwerke“.

Die IHK warnt vor Versorgungsengpässen und steigenden Energiepreisen: „Trotz gesunkener Gaspreise bleiben die Energiekosten für die meisten Betriebe in Deutschland hoch“, sagte DIHK-Präsident Peter Adrian der „Rheinischen Post“. Darin sehe er einen Standortnachteil für deutsche Unternehmen. Man müsse alles dafür tun, „das Angebot an Energie auszuweiten und es keinesfalls weiter einzuschränken.“

 

Die Kernenergie in Europa

 

Auf Seiten derjenigen, die die AKW auf Reserve halten wollen, scheint die Atomenergie trotz Atommüll und Blackout-Gefahr eine verlässliche, sichere und klimaneutrale Energie darzustellen. Eine Erzählung, welcher der Umweltverband NABU widerspricht: Atommüll und Endlosrisiken blieben.

Die unterschiedlichen Haltungen zur Kernenergie spiegeln sich auch in der Diskussion über die Taxonomie der Europäischen Union wider, worin festgelegt wird, welche wirtschaftlichen Aktivitäten in der EU als nachhaltige Investitionen gewertet werden. Dass die Kernenergie voraussichtlich dazugehören wird, ruft ein geteiltes Echo hervor.

In Europa lag der Anteil der Kernenergie an der Stromproduktion im Jahr 2019 bei ca. 23 Prozent der Gesamtstromerzeugung. Insgesamt sind in Europa 173 Reaktoren in Betrieb, das Durchschnittsalter beträgt 34,5 Jahre. 16 Reaktoren werden zurzeit gebaut, 120 befinden sich im Rückbau. Vorreiter beim Einsatz von Atomenergie in Europa ist Frankreich, wo der Anteil bei 67,1 Prozent liegt. Das Durchschnittsalter der Reaktoren beträgt 35,1 Jahre.

 

Neue Ära des Risikos

 

Im Vergleich dazu sind in den Vereinigten Staaten 93 Reaktoren am Netz - mehr als in jedem anderen Land der Welt. Sie stellen aber 19,7 Prozent des Stroms zur Verfügung. Das durchschnittliche Alter beträgt 41,2 Jahre. „Dieser Wert wird in den nächsten Jahren wohl noch steigen: Laufzeitverlängerungen eines Großteils der Reaktoren von 40 auf 60 Jahre sind bereits beschlossen, eine weitere Verlängerung auf 80 Jahre ist für 6 Reaktorblöcke bereits genehmigt, über 100 Jahre Laufzeit wird zumindest laut nachgedacht“, so die Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GSR).

In China beträgt der Anteil der Kernenergie am Gesamtstrommix bei 4,9 Prozent. Dafür sind 54 Reaktoren mit einem Durchschnittsalter von gerade einmal 8,7 Jahren verantwortlich. Drei neue Reaktoren wurden 2021 Jahr in Betrieb genommen.

Weltweit relativieren sich die Zahlen. Hier liegt der Anteil seit ca. 10 Jahren bei 11 Prozent. 1996 lag er noch bei 17 Prozent. Der Trend geht international also in Richtung Ausstieg. Zurzeit (Stand:2022) sind weltweit 439 Kernreaktoren mit einem Durchschnittsalter von 31 Jahren in Betrieb, 52 Blöcke werden aktuell gebaut, 199 wurden stillgelegt bzw. werden gegenwärtig rückgebaut.

Aber: Aufgrund des hohen Durchschnittsalters der Kernreaktoren auf der Welt sprechen Expertinnen von Greenpeace gar von einer „neuen Ära des Risikos“.


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