Patrick Viol

Projektionsfläche Israel

Interview mit dem Jungen Forum der Deutsch-Israelischen Gesellschaft über Protestcamps, schlechte Berichterstattung, Antisemitismus und Zionismus.

Das Junge Forum hat mit der DIG am 14. Mai, an Israels 76. Geburtstag, zur Kundgebung am Bremer Rathausplatz aufgerufen.

Das Junge Forum hat mit der DIG am 14. Mai, an Israels 76. Geburtstag, zur Kundgebung am Bremer Rathausplatz aufgerufen.

Bild: Jufo

Die Protestcamps gegen Israels Krieg gegen die Hamas an Universitäten sind Dauerthema in den Medien. Patrick Viol hat mit dem Jungen Forum der Deutsch-Israelischen Gesellschaft über sie, aber auch über schlechte Berichterstattung und Zionismus gesprochen.

 

Das Junge Forum setzt sich unter anderem ein für ein aufgeklärtes und der Realität entsprechendes Bild von Israel in der deutschen Öffentlichkeit ein. Wie bewertet ihr die bisherige Berichterstattung über Israels Krieg gegen die Hamas?

 

Wir haben leider beobachten können, dass zum einen teilweise unsorgsam mit Quellen und Zahlen umgegangen wird und zum anderen eine objektive Berichterstattung unter belehrenden Kommentaren verschwindet. Neben der Berichterstattung sehen wir aber auch insbesondere das Problem, dass Informationen sehr selektiv durch Social Media konsumiert werden. Dort wird vor allem über eine emotionale und dramatische Bildsprache eine Schuld Israels suggeriert, die in Kommentarspalten meist noch durch krasse Aussagen versucht wird zu überbieten. Der Schrecken vom 7.10. und die Geiseln kommen dort überhaupt nicht mehr vor oder die Verbrechen der Hamas werden geleugnet .

 

Wie schätzt ihr das Bild ein, dass die Pro-Palästina-Protestierenden von Israel haben?

 

Ein verzerrtes Bild über Israel ist zunächst ein weit verbreitetes gesellschaftliches Problem. Bei vielen Pro-Palästina-Protestierenden kommt jedoch hinzu, dass Israel wie üblich nicht in seiner Vielschichtigkeit und Geschichte wahrgenommen wird, sondern tatsächlich zum Bild wird: zu einem Symbol für Unterdrückung und Krieg. Von einem antisemitischen Bild müssen wir dann sprechen, wenn Israel das Existenzrecht abgesprochen oder an das Land ein anderer Maßstab angelegt oder gar dämonisiert wird. Auch fließen oft antisemitische Elemente in Vorwürfe gegen Israel ein, wie z.B. das der Ritualmordlegende.

Wir beobachten leider auch hier, dass bei vielen der Protest-Camps die Taten des 7.10 in den Hintergrund treten. Forderungen wie „Free Gaza from German Guilt“ deuten bereits an, dass es einigen der Protestierenden um etwas völlig anderes zu gehen scheint.

 

Um was?

 

Wir haben es mit Protestierenden zu tun, die vermutlich sich selbst nur die besten Absichten unterstellen. Leider machen viele der Protestierenden den Eindruck, dass sie sich erst seit dem letzten Oktober für den arabisch-israelischen Konflikt und die Region interessieren und hier viel Halbwissen auf Naivität trifft. Diese Mischung macht leider besonders anfällig für antisemitische Erklärungen. Bei diesen Erklärungen scheint es eben nicht mehr um das Leid von Palästinensern zu gehen, sondern um sämtliche Probleme der modernen Gesellschaft. Der Krieg zwischen Israel und der Hamas liefert hier eine Projektionsfläche auf der Israel zum Inbegriff aller Zumutungen der Moderne oder des “Westens” wird, während man Palästina zum letzten authentischen Ort des Widerstands verklärt.

 

Was für Gruppen sind das, die die Proteste an Unis organisieren?

 

Oftmals neu gegründete Gruppen aus postkolonialen Zusammenhängen, die sich aus einem Umfeld mit aktivistischem Hintergrund rekrutieren. Vereinzelt ist jedoch auch Uni-Personal dabei und es mischen sich auch externe Akteure unter die Camps.

Es gibt aber auch eine lange Tradition von israelfeindlichen oder mit Palästinensern solidarischen Gruppen und Initiativen, die seit dem 7. Oktober besonders aktiv sind, teilweise auch in Hochschulgruppen und dem Asta.

Leider scheint es den Beteiligten egal zu sein, wer sich bei den Protesten versammelt oder es herrscht komplette Unwissenheit, weil man ja scheinbar ein gemeinsames Ziel, besser gesagt, einen gemeinsamen Feind hat. Eindeutig antisemitische Gruppen und Personen werden selten bis gar nicht ausgegrenzt. Auch in islamistischen Kreisen bekannte Influencer scheinen nicht ausgeschlossen zu werden.

 

Wie erklärt Ihr euch, dass junge Menschen, die sonst für Kultursensibilität und Diversität eintreten, sich über die Gewalt gegenüber Jüdinnen und Juden am 7. Oktober ausschweigen und die Hamas als Freiheitskämpfer verteidigen?

 

Man muss sich hier ansehen, welche Ideen und Welterklärungen gerade auch an den Universitäten großen Anklang finden. In einigen Spielarten postkolonialer, antirassistischer oder feministischer Theorien gibt es nicht nur eine Leerstelle was die Analyse von Antisemitismus angeht, sondern eine sehr simplifizierende Deutung von Gesellschaft, in der es entweder Unterdrücker oder Unterdrückte gibt. Ein solches manichäisches Weltbild lässt keine Ambivalenzen zu und ist natürlich völlig ungeeignet, tatsächliche Macht oder Herrschaftsverhältnisse zu benennen. Zu welchen absurden Schlussfolgerungen man damit hingegen kommen kann, sieht man gegenwärtig, wenn beispielsweise der Terror der Hamas nicht als Tat, sondern als bloße Reiz-Reaktion auf vermeintliche Unterdrückung gewertet wird. Gleichzeitig werden durch die immer wiederkehrende Gleichsetzungen wie “Zionist = Nazi” Entmenschlichung vorangetrieben und Empathie und Mitgefühl für israelische Opfer verhindert.

Wie ernst es manche mit ihrem Feminismus und Forderungen nach Diversität meinen, kann man seit dem 7.10 stark anzweifeln. Ein großes Problem ist hier aber auch, dass sich die Protestierenden oft auf die in den Universitäten gelehrten Inhalten berufen können, diese nur radikaler auslegen und praktisch einfordern.

 

Wie reagierten jüdische Studierende auf das Protest-Camp in der Glashalle der Bremer Uni? Fühlen Sie sich bedroht?

 

Wir möchten hier auf das Statement “SIE WERDEN UNS DAS RECHT AUF BILDUNG NICHT NEHMEN” des Verbands Jüdischer Studenten Nord (VJSNord) verweisen. Der VJSNord betont, dass die Camps eine „Gefahr“ für jüdische Studierende sind. Sie verursachen eine psychische Belastung und drängen jüdische Studierende in die Anonymität. Der Verband warnt vor möglichen Eskalationen rund um dieses und ähnliche Camps und fordert obendrein Universitäten dazu auf, solche Camps aufzulösen. Es wird darauf hingewiesen, dass es bei anderen ähnlichen Camps (bspw. in den USA oder auch in Berlin) zu Drohungen, Ausgrenzungen bis hin zu physischen Auseinandersetzungen gekommen ist. Erinnert sei hier an einen jüdischen Studenten aus Berlin, der von einem Kommilitonen brutal angegriffen wurde.

 

Von den Protestierenden an den Unis bundesweit wird auf den Vorwurf des Antisemitismus meist mit dem Verweis auf Jüdinnen und Juden in den eigenen Reihen reagiert und dass es antisemitisch sei, Antizionismus als antisemitisch zu bezeichnen. Was haltet Ihr von der Reaktion?

 

Solche Reaktionen zeugen von völligem Unverständnis und Desinteresse darüber, was Antisemitismus ist. Dass kein Blatt zwischen Antizionismus, also einer Ideologie, die Juden einen selbstbestimmten Staat verbieten will und Israel in Gänze ablehnt, und Antisemitismus passt, sollte eigentlich bekannt sein. Es handelt sich ja schlicht um eine der vielen Facetten von antisemitischen Denkmustern, ähnlich dem israelbezogenem Antisemitismus. Dennoch flüchten sich viele hinter solchen Argumentativen Ablenkungen. Reaktionen wie diese ziehen sich ja gerne auf den sogenannten Sprechort zurück. Die eigene Biografie oder Herkunft bewahrt jedoch nicht davor, dass man selbst menschenfeindlichen Ideologien sowie Vorurteilen und Ressentiments anheimfällt.

 

Heute ist der 14. Mai und der 76. Geburtstag Israels. Der jüdische Staat ist das Resultat der zionistischen Bewegung. Die Protestierenden setzen „Zionist“ mit „Faschist“ oder „Nazi“ gleich. Zudem sei der Zionismus ein „rassistisches Kolonialprojekt“. Wie bewertet Ihr diese Haltung gegenüber dem Zionismus?

 

Wenn man sich schon auf diese Terminologie einlässt, sollte man Israel eher als ein anti-koloniales Projekt betrachten, als Antwort auf Jahrhunderte von Ausgrenzung, Verfolgung, Ausbeutung, Enteignung und letztendlich Vernichtungswahn, in den Antisemitismus mündet.

Generell sind solche Aussagen, Israel sei wie die Nazis, einfach grundfalsch und eine perfide Bedeutungsverschiebung, die an George Orwells „Neusprech“ erinnert. Es ist traurig zu beobachten, dass solche offensichtlichen Lügen, wie die des Genozids in Gaza, in der Öffentlichkeit verhaften, wenn sie nur oft genug, hier im Zusammenhang mit Israel und seinem Abwehrkampf gegen die Hamas, geäußert werden.

Da auch viele international bekannte Autorinnen und Autoren, wie bspw Judith Butler, auf diese die Realität verzerrenden Beschreibungen zurückgreifen, erhalten diese Behauptungen scheinbar zusätzliches Gewicht, auch weil viel zu selten widersprochen wurde und wird. Das macht diese Aussagen natürlich nicht weniger falsch, nur weil sie in Universitäten besprochen werden.

Der US-Politologe Mitchell Cohen hat diesen Zustand kürzlich in der Wochenzeitung Jungle World sehr treffend beschrieben. Vorgefertigte Kategorien werden ohne Unterscheidung und ohne Kenntnis der lokalen Begebenheiten auf spezifische Fälle und Situationen angewendet. Begriffe wie ‚Imperialismus‘, ‚Kolonialismus‘, ‚Apartheid‘, ‚Widerstand‘ und so weiter werden auf alles und jeden angewendet, ohne sich damit zu beschäftigen. Ein Interesse daran, was tatsächlich vor sich geht und ob solche Begriffe, und die damit einhergehenden Implikationen, überhaupt passen, fehlt vollkommen.

 

Vielen Dank.

 

 

Das Junge Forum der DIG ist ein Zusammenschluss junger jüdischer und nicht-jüdischer Menschen, der im Raum Bremen/Unterweser aktiv ist und vor allem Veranstaltungen zu Israel und Nahost organisiert.

 


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