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Mit Licht gegen die Schatten der Krise

Landkreis Osterholz (jm/akl). In Osterholz-Scharmbeck und Worpswede wurde am vergangenen Dienstag den Opfern der Reichspogromnacht im Jahr 1938 gedacht.

Die Stadt Osterholz-Scharmbeck hatte zu einer Gedenkveranstaltung am Platz der jüdischen Synagoge eingeladen. Wo heute das Mahnmal von Wolfgang Strauß aus dem Jahr 2006 steht, wurde 1865 eine Synagoge errichtet - die insgesamt dritte und letzte im damals noch eingeständigen Ort Scharmbeck. „Auch hier in Osterholz-Scharmbeck verrichtete die SS ihr Werk. Die Familien Cohen, Davidsohn und Löwenstein, um nur einige wenige zu nennen, waren die Opfer - ihre Wohnungen und Häuser wurden zerstört, ihr Eigentum vernichtet, die Männer verschleppt, Frauen und Kinder verhöhnt und verspottet und die Synagoge - als Mittelpunkt des geistigen und religiösen Lebens der jüdischen Gemeinde von höchster Bedeutung - wurde angesteckt“, berichtete der stellvertretende Bürgermeister Klaus Sass in seiner Rede zu den Ereignissen am 9. November 1938. Der damalige Brandmeister der Ortschaft hatte sich dem Befehl der Polizei widersetzt und noch versucht, die Synagoge zu retten - wofür er kurze Zeit später seines Amtes enthoben wurde. Das beschädigte Gebäude wurde 1939 durch die Stadtverwaltung unter Anwendung der „Verordnung über den Einsatz jüdischen Vermögens“ gekauft und umgebaut, 2004 wurde es abgerissen.
 
Erinnerung soll nicht verblassen
 
„Lassen Sie uns gemeinsam dafür eintreten, dass die Erinnerung an diese Zeit nicht verblasst, dass die Namen der Opfer genannt werden und das stetig an das Schicksal dieser Menschen erinnert wird“, rief Sass die Bürger:innen der Kreisstadt auf. Er freue sich, dass es in diesem Jahr gelungen ist, 16 Stolpersteine im Stadtgebiet verlegen zu lassen. An der Stadthalle, in der Bördestraße, in der Sandbergstraße, in der Poststraße und in der Bahnhofstraße erinnern die Gedenktafeln an die Opfer des Naziregimes aus Osterholz-Scharmbeck. Für das Gedenken in den kommenden Jahren regte Sass an, tagsüber Führungen für junge Menschen zu den Stolpersteinen zu organisieren. Dafür wolle er sich im Rathaus einsetzen, so der stellvertretende Bürgermeister.
Die meisten der 23 Juden und Jüdinnen, die während der Pogrome verschleppt und misshandelt worden - und nicht unmittelbar an den Folgen starben -, fanden später einen gewaltsamen Tod, viele wurden im Vernichtungslager Treblinka in Polen ermordet. Ihre Namen verlasen in diesem Jahr die neuen SPD-Stadtratsmitglieder Kristin Lindemann und Frederik Burdorf. Im Anschluss rief die Partei gemeinsam mit den Jusos, dem DGB und der AWO zu einer Lichterkette in der Bahnhofstraße auf. Die Aktion fand 2017 auf Initiative der Jusos im Landkreis zum ersten Mal statt und schließt sich seitdem jedes Jahr der Gedenkveranstaltung der Stadt an.
 
Gedenken auf dem Rosa-Abraham-Platz
 
In Worpswede trafen sich rund 150 Teilnehmer:innen auf dem Rosa-Abraham-Platz, um sich an die entrechteten, deportierten und ermordeten Jüdinnen und Juden zu erinnern. Eingeladen zu dieser Veranstaltung hatte die Initiative „Nie wieder - Erinnern für die Zukunft - Gemeinsam gegen Rechts!“. Gestaltet wurde der Abend mit Lesungen kurzer Texte, Gedichte und Vorträge der Mitglieder der Initiative wie Hans-Herrmann Hubert, Bernd Moldenhauer, Katharina Hanstein-Moldenhauer und Ian Bild. In ihrer Begrüßungsrede gedachte Dr. Almut Helvogt der Opfer des Nationalsozialismus in der Region und schlug einen Bogen in die Gegenwart, in der sich, aktueller denn je, antisemitische Vorfälle häufen. „In einer Zeit, in der erneut eine rechtsradikale Partei mit 10 Prozent der Stimmen in den Bundestag eingezogen ist (in Worpswede waren es immerhin 5 Prozent), sind wir alle aufgefordert, Stellung zu beziehen.“
 
„Wir müssen widersprechen“
 
Doch in ihrer Ansprache stellte Helvogt auch die Frage, ob solche Gedenkveranstaltungen wie in Worpswede oder Osterholz überhaupt noch zeitgemäß seien? Denn an ihnen werde durchaus Kritik geübt. Zum einen von der „Schlussstrich“-Fraktion, die sich gern von der Vergangenheit und der Schuld ihrer Vorfahren lösen möchte. Nicht zuletzt, um den lebenden Jüdinnen und Juden vorwerfen zu können, sie instrumentalisierten den Holocaust für ihre Zwecke oder - so die Konsequenz dieses Vorwurfs - Israel, der jüdische Staat, gehe mit den Palästinensern heute so schlimm um wie der NS-Staat damals mit den Juden.
Andere monierten, dass sich Gedenkveranstaltungen häufig in Ritualen erschöpften, statt Impulse zu setzen, gegen den Antisemitismus zu kämpfen. Während Helvogt die erste Kritik als „israelbezogenen Antisemitismus“ kritisierte, griff sie die zweite auf: „Um unser Gedenken also nicht formelhaft werden zu lassen, sind wir alle aufgefordert, uns mit lebendigem jüdischem Leben in Deutschland zu beschäftigen. Und wir müssen alle dem allgegenwärtigen, täglichen Antisemitismus widersprechen“.
Pastor Jörn Contag sprach im Anschluss darüber wie der Nationalsozialismus anfänglich jüdische Mitbürger:innen in den Zwiespalt versetzte, das Land, das sie ihre Heimat nannten - auch Worpswede - zu verlassen. Exemplarisch für die Schicksale dieser Zeit beschrieb er anhand der Vita der Namensgeberin des Veranstaltungsortes, Rosa Abraham, die grausigen Verbrechen der Nazis und wies darauf hin, dass Hitler kein Unglücksfall war, sondern vom Volk gewählt wurde und sich die NSDAP 1933 auch in Worpswede durchsetzte. Bei der Reichstagswahl am 5. März des Jahres erhielt die Partei in Worpswede fast 55 Prozent der Stimmen, etwa 10 Prozent mehr als im Durchschnitt.
 
Rosa Abraham blieb allein in Worpswede
 
Für Rosa Abraham, die im Herbst 1942 im Vernichtungslager Treblinka ermordet wurde, bedeutete die Machtübernahme durch die NSDAP Ausgrenzung, Schikane, Entrechtung Gewalt und Tod. Abraham gehörte zu denen, die sich an die Hoffnung klammerten, dass der Spuk bald vorbei gehen würde. Ihre Kinder waren längst emigriert. Als sie ihnen folgen will, war es bereits zu spät.
Ohne Angehörige lebte die gut situierte Frau allein in ihrem Haus in einer großen, gut ausgestatteten Wohnung. Binnen kürzester Zeit verlor sie ihr ganzes Hab und Gut. Gemäß der „Verordnung über den Einsatz jüdischen Vermögens“ musste sie Schmuck und Kunstgegenstände, darunter Bilder von Karl Krummacher und Otto Modersohn, zu Spottpreisen bei der Pfandleihe abliefern, Möbel, Hausrat und wertvolles Geschirr zu Minimalpreisen verkaufen.
1941 lebte Abraham mit drei gepackten Koffern in einem fast leeren Zimmer. Wie allen Juden im Deutschen Reich war es ihr in diesen Zeiten verboten, ein Hotel, ein Restaurant oder Café zu betreten. Sie durfte keine Haustiere halten, keinen Friseur aufsuchen und nur mit Genehmigung Bus oder Bahn fahren. Der damalige Bürgermeister Bartke sorgte dafür, dass Ihr Haus und Grund nur unter Wert verkauft wurden. Die Gemeinde plante bereits mit dem Haus. Von dem Verkaufserlös floss ein Teil als „Judenabgabe“ an die Finanzkasse nach Osterholz. Ausgeplündert und von vielen Worpsweder:innen im Stich gelassen folgte die Deportation.
 
Krisenzeiten sind gefährlich
 
„Wir müssen über die Vergangenheit reden, um sie nicht zu wiederholen“, so Pastor Contag und wies darauf hin, dass es damals eine Krise gewesen sei, die den Nationalsozialismus ermöglichte und wir auch heute in Krisenzeiten leben. Und was geschehen ist, kann wieder geschehen. Er nannte das Wohlstandsgefälle unserer Zeit, die Klimakrise und Corona als Nährboden für Angst, Verschwörungserzählungen und Schuldzuweisungen. Das alles ebnete auch „den Weg in antisemitische und rassistische Weltbilder.“
Dieser Drohung möchte der Theologe zum einen „unsere Kraft“ entgegengesetzt sehen: Die Kraft, „notwendigem Streit nicht aus dem Wege zu gehen, deutlich zu sagen, wo Menschen ausgegrenzt und rechtlos bleiben und wo die Wahrheit verdreht wird.“ Und zum anderen „unsere Liebe, allen Menschen mit Respekt zu begegnen.“


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