Ilka Christin Weiß

Gastkommentar: Ein falscher Weg

Der Wegfall der Lohnersatzzahlungen für Ungeimpfte trifft mal wieder die ganz unten. Das führt die Gesellschaft letztlich weiter weg von ihrem liberalen Kern, kommentiert Ilka Christin Weiß.

Um es gleich vorwegzunehmen: Ich bin nicht nur Impfbefürworter:in, ich bin auch Krankenschwester. Und dennoch bin ich gegen den am Mittwoch beschlossenen Wegfall der Lohnersatzleistung für freiwillig Ungeimpfte. Unsere Gesellschaft war bislang stets solidarisch mit Menschen mit gesundheitlichem Risikoverhalten. Und das sollte sie auch bleiben. Diese Solidarität ist nicht nur Kennzeichen einer liberalen und wohlstandsgesättigten Gesellschaft. Sie wird auch deshalb praktiziert, weil letztlich allen klar ist, dass gesundheitliches Risikoverhalten seinerseits gesellschaftliche Ursachen hat, für die die Einzelnen jeweils wenig können. So werden die Kosten für Unfälle durch Motorradfahren, für Krankheiten, die durch Sex, Rauchen, Alkohol und Drogen, durch Luftverschmutzung, zu hohen Fleischkonsum, durch Übergewicht und mangelnde Bewegung und vieles andere mehr entstehen, übernommen. Dazu gehört neben der Entgeltfortzahlung das Krankengeld, die Kosten für die Krankenbehandlung, Kosten für Rehaaufenthalte und Wiedereingliederungsmaßnahmen. Entsprechend sollten auch die Kosten für Ungeimpfte übernommen werden, wenn sie als enge Kontaktperson in Quarantäne müssen.
Beibehalten sollte diese Solidarität auch deshalb, weil deren Aufkündigung mal wieder die ganz unten trifft: die ärmeren und kränkeren Bevölkerungsschichten. Die politisch Verantwortlichen sollten vielleicht einmal den 2020 erschienenen nationalen Gesundheitskompetenzbericht studieren. 50% aller in Deutschland lebenden Menschen haben demnach eine inadäquate oder problematische Gesundheitskompetenz. Es besteht nachweislich ein enger „Zusammenhang zwischen sozialer Benachteiligung und einer niedrigen Gesundheitskompetenz“. Die Ursachen liegen in einem geringen Bildungsgrat, einem niedrigen sozialen Status, Migrationshintergrund, hohem Lebensalter und chronischen Erkrankungen. Dem gegenüber haben nur 17% der Bevölkerung eine ausreichende oder exzellente Gesundheitskompetenz.
Zudem ist seit Jahrzehnten bekannt, dass die meisten, aber vor allem arme Menschen in unserem Land ihren Impfstatus vernachlässigen und auch ihre Kinder nicht mehr impfen lassen. Dagegen unternommen hat man in den letzten Jahren politisch nichts - gesundheitliche Aufklärung Fehlanzeige. Und nun werden diese Menschen dafür abgestraft. Für die eh schon Degradierten findet man keine Argumente mehr, sondern man verschafft ihnen stattdessen politisch zusätzliche soziale Not, um sie zur Impfung zu bewegen.
Landen werden sie so aber bei den einfachen Parolen von Querdenkern und Impfgegnern. So leistet man der Verbreitung von Verschwörungstheorien weiter Vorschub und gefährdet - wie es der Mord in Idar-Oberstein zeigt - Menschenleben. Das ist der falsche Weg. Auf ihm verirrt sich unsere Gesellschaft und entfernt sich von ihrem liberalen, demokratischen Kern.
 Ilka Christin Weiß ist examinierte Krankenschwester und aktiv im Netzwerk Trans*NET OHZ.


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