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Lena Stehr

Frauen sind in Führungspositionen noch immer unterrepräsentiert

Landkreis. An den Spitzen börsennotierter Unternehmen dominiert männliche Monokultur: Thomas rekrutiert Thomas und der wiederum einen Thomas, der ihm sehr ähnlich ist.
Seltenes Bild auch in unserer Region: Eine Frau, die ein großes Wirtschaftsunternehmen anführt. Foto: Adobestock

Seltenes Bild auch in unserer Region: Eine Frau, die ein großes Wirtschaftsunternehmen anführt. Foto: Adobestock

Landkreis. Je größer ein Unternehmen, desto unwahrscheinlicher, dass eine Frau es leitet. Vor allem in Niedersachsen, wie eine Studie der Zeppelin Universität Friedrichshafen dargelegt hat. Der ANZEIGER hat sich in seinem Verbreitungsgebiet nach weiblichen Führungskräften umgeschaut. Gefunden hat er eine - und viele Kritikerinnen des Status quo.
Kind oder Karriere? Vor diese Entscheidung werden Frauen trotz aller Bemühungen um Gleichstellung auch im Jahr 2020 offensichtlich noch immer gestellt. Und weil die meisten nicht die Chance auf Nachwuchs verpassen wollen, verzichten sie wohl mehr oder weniger bewusst darauf, beruflich ihr volles Potenzial auszuschöpfen. Doch dass frau sich überhaupt entscheiden muss, verweist auf ein objektives Problem: auf eine nach wie vor bestehende Unvereinbarkeit von Familie und Beruf. Und ein weiteres Problem: Männer in Führungspositionen wählen Männer in Führungspositionen.
Das wären einige Punkte, die erklären könnten, warum laut einer aktuellen Studie der Zeppelin Universität Friedrichshafen weibliche Führungskräfte in öffentlichen Unternehmen unterrepräsentiert sind. Hierbei gehört Niedersachsen mit einem Anteil von gerade einmal 13 Prozent zu den Schlusslichtern im bundesweiten Vergleich.
 
Immer weniger weibliche Führungskräfte
 
Und wie sieht es in unserer Region aus? Die Situation von Frauen in Führungspositionen im Elbe-Weser-Raum hat die IHK Stade beleuchtet. In einer branchenübergreifenden Erhebung wurden Anfang 2020 insgesamt 50.873 Führungskräfte erfasst, davon waren 13.527 Personen weiblich. Das entspricht einem Anteil von 26,6 Prozent. Im Vergleich zur letzten Erhebung vor sechs Jahren sei das ein Rückgang von 1,6 Prozentpunkten.
Der Anteil weiblicher Führungspersonen in den einzelnen Landkreisen des Elbe-Weser-Raums hat sich demnach im Vergleich zu 2015 ebenfalls verringert. Im Landkreis Rotenburg sind 24,8 Prozent der Führungskräfte weiblich, im Landkreis Verden beträgt der Anteil 26 Prozent und im Landkreis Stade 26,2 Prozent. Überdurchschnittlich hoch ist der Anteil von Frauen in Führungspositionen in den Landkreisen Osterholz (27,9 Prozent) und Cuxhaven (28,5 Prozent).
 
Weibliche Führungskräfte vor allem in kleinen Betrieben
 
Auffällig sei, dass weibliche Führungskräfte vor allem im Kleingewerbebereich mit nur wenig Beschäftigten zu finden seien. Hier liegt der Anteil laut IHK mit 33,8 Prozent mehr als doppelt so hoch wie bei im Handelsregister eingetragenen größeren Betrieben. Bei Betrieben mit mehr als 200 Beschäftigten liegt der Anteil von Frauen in Führungspositionen nur noch bei 6,1 Prozent.
Überdurchschnittlich hoch ist der Anteil von Frauen in Führungspositionen im Dienstleistungsgewerbe (27,5 Prozent) sowie im Handel (32,7 Prozent). Im Gastgewerbe ist etwas mehr als jede dritte Führungsposition durch eine Frau besetzt (34,4 Prozent). Unterdurchschnittlich ist der Anteil weiblicher Führungspersonen dagegen im produzierenden Gewerbe sowie im Verkehrsgewerbe.
 
Die „gläserne Decke“ aktiv überwinden
 
Angesichts dieser Zahlen sei noch „viel Luft nach oben“, sagt IHK-Hauptgeschäftsführerin Maike Bielfeldt. Damit noch mehr Frauen in Führungspositionen aufsteigen können, sollten sie sich gute Vorbilder nehmen und die vielfach empfundene „gläserne Decke“ aktiv überwinden. Die Steigerung der Frauenerwerbstätigkeit und auch des Frauenanteils in Führungspositionen sei eine der elementaren Strategien gegen den drohenden Fachkräftemangel, so Bielfeldt.
 
Thomas rekrutiert Thomas
 
Ähnlich sieht es auch Thea Ohle von der Koordinierungsstelle „Frauen & Wirtschaft“. Als Überbetrieblicher Verbund (ÜBV) im Landkreis Rotenburg hatte man im Mai einen Vortrag der AllBright-Stiftung zum Thema weibliche Führungskräfte geplant, der coronabedingt aber leider ausfallen musste und im kommenden Jahr nachgeholt werden soll. Beleuchtet werden soll darin unter anderem, warum der Zuwachs an Frauen in den Vorständen der 160 deutschen Börsenunternehmen im vergangenen Jahr so gering war, dass er in etwa dem gleichzeitigen Zuwachs an Männern entspricht, die Thomas heißen. An den Unternehmensspitzen dominiere die männliche Monokultur, heißt es in einem Auszug des Vortrags: Thomas rekrutiere Thomas und der wiederum einen Thomas, der ihm sehr ähnlich sei.
Eine Frauenquote - also eine geschlechterbezogene Quotenregelung bei der Besetzung von Gremien oder Stellen mit dem Ziel der Gleichstellung von Frauen und Männern in Gesellschaft, Politik, Wirtschaft und Kultur - sei dringend erforderlich, so Thea Ohle.
 
Unvereinbarkeit von Familie und Beruf als Karrierekiller
 
Katja Weße, Gleichstellungsbeauftragte des Landkreises Rotenburg, bezeichnet die Unvereinbarkeit von Familie und Beruf als „Karrierekiller Nummer 1“. Wenn sich eine gut ausgebildete Frau für Kinder entscheide, schaffe sie es in den seltensten Fällen, die Karriereleiter weiter nach oben zu klettern. Gründe dafür seien unter anderem eine nicht adäquate Kinderbetreuung und die fehlende Unterstützung der Großeltern, weil diese selbst noch arbeiten oder zu weit entfernt wohnen. Es könne sich eben nur ein Elternteil um seine Karriere kümmern, so Katja Weße. Entweder der Vater oder die Mutter.
 
Frauen müssen mutiger werden
 
Frauen müssten vor allem mehr Mut haben, sich mehr zutrauen und bereit sein, zu kämpfen, meint dagegen Gisela Chatterjee. Die Unternehmerin gründete 1974 zusammen mit ihrem Mann das Armaturenwerk RITAG in Osterholz und führte die Firma nach dem Tod ihres Mannes im Jahr 1986 für 14 Jahre erfolgreich alleine weiter. Noch heute sitzt sie als Gesellschafterin im Aufsichtsrat von RITAG.
Sie sei damals in die Führungsposition „hineingerutscht“ und habe sich die große Aufgabe anfangs gar nicht zugetraut, gibt Gisela Chatterjee zu. Nach dem Motto „Man wächst mit seinen Aufgaben“ wuppte die Mutter zweier Kinder den Job aber schließlich doch und habe dabei nicht das Gefühl gehabt, sich stärker beweisen zu müssen als ein Mann.
Statt auf „Gleichmacherei“ zu drängen, sollten lieber die Unterschiedlichkeiten von Männern und Frauen berücksichtigt werden, wenn es gelingen solle, den Frauenanteil in Führungspositionen zu erhöhen, sagt Gisela Chatterjee. Viele Frauen trauten sich nach wie vor zu wenig zu, bräuchten länger um eine Entscheidung zu treffen, seien weniger risikobereit und scheuten häufiger Auseinandersetzungen als Männer. Frauen in diesen Punkten zu stärken, sei eine Aufgabe, die schon im Kindergartenalter angegangen werden müsse.
 
„Frauenquote ist diskriminierend“
 
Von einer Frauenquote hält Gisela Chatterjee dagegen gar nichts. Die sei „diskriminierend“, weil es dann häufig heiße, die Frau habe den Job nur aufgrund ihres Geschlechts bekommen und nicht aufgrund ihrer Fähigkeiten. Dabei täten Unternehmen gut daran, mehr Frauen in Führungspositionen zu haben. Denn der weibliche Führungsstil, der den Fokus auf Kommunikation, Abstimmung und die Arbeit als Team lege, sei ein Garant für Erfolg, so die Unternehmerin. „Frauen können so viel schaffen, sie müssen nur an sich glauben.“
Statt auf „Gleichmacherei“ zu drängen, sollten die Unterschiedlichkeiten von Männern und Frauen berücksichtigt werden.
Damit noch mehr Frauen in Führungspositionen aufsteigen können, sollten sie sich gute Vorbilder nehmen und die vielfach empfundene „gläserne Decke“ aktiv überwinden.


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