Luisa Mersmann

Schlank um jeden Preis

Der fatale Wandel von „Size Zero“ über Body-Positivity bis hin zum neuen SkinnyTok-Hype, zeigt, wie gnadenlos Social Media die Essstörungskultur am Leben erhält.
Einmal in der Abnehmspirale drin, ist es für viele Betroffene nicht leicht, ihr zu entfliehen.

Einmal in der Abnehmspirale drin, ist es für viele Betroffene nicht leicht, ihr zu entfliehen.

Bild: Adobestock

„Nothing tastes as good as skinny feels“ (Nichts schmeckt so gut, wie sich dünn sein anfühlt) - ein Satz, der nicht nur die Karriere des Models Kate Moss maßgeblich beeinflusst hat, sondern auch Millionen von Mädchen, Frauen und sicherlich auch den ein oder anderen Jungen. Modenschauen zeigten nicht nur die neuesten Klamotten-Trends, sondern auch, wie man als junge Frau auszusehen hat. Models und prominente Frauen standen für eine Ära in der „Size Zero“ und „Heroin Chic“, also möglichst krankhaft auszusehen, als „in“ galten. Sie repräsentierten hauptsächlich die Größen XXS bis XS, die eigentlich für Jugendliche gedacht sind. Aber die Models und Modemarken machten diese Größen zu einem neuen Symbol der Weiblichkeit.

Autoren in Klatschmagazinen leckten sich regelrecht die Lippen nach Paparazzi-Fotos, auf denen bei einer Britney Spears ein vermeintliches „Speckröllchen“ zu sehen war. So beeinflusste die Welt der Stars und Sternchen nicht nur die Prominenten selbst, sondern auch alle, die sich die Modenschauen und Zeitschriften anschauten.

 

Wandel durch Social Media

Mit den Jahren wurden Magazine zwar immer unwichtiger, doch der Trend, einige betiteln es auch als eher zweifelhaften Lifestyle, krankhaft dünn zu sein, blieb. Das Internet und Social Media wurden größer und auf Plattformen wie tumblr oder in „Pro-Ana“-Foren (Pro Anorexie) tummelten sich Teenager und junge Frauen. Sie befeuerten nicht nur diesen sogenannten Lifestyle, sondern gaben sich auch gegenseitig Tipps, möglichst schnell viel Gewicht zu verlieren. Dabei spielte es keine Rolle, ob die Wege ungesund waren - ganz im Gegenteil. Es wurde gewollt auf ungesundem Wege abgenommen.

Was Social Media mit den Jahren aber auch schaffte, war, eine Gegenbewegung groß werden zu lassen. Frauen fingen an, sich gegen den Magerwahn zur Wehr zu setzen und sich nicht länger durch andere beeinflussen zu lassen. #BodyPositivity war das Stichwort. Immer mehr Influencer zeigten ihre natürlichen Körper, die auch mal Cellulite oder ein Speckröllchen aufwiesen. Und der Trend funktionierte - vorerst. Modelabels sprangen auf den Zug auf und setzten in den späten 2010er und frühen 2020er Jahren zunehmend Plus-Size-Models für ihre Kampagnen ein. Kurvigere Models und eine breit gefächerte Größenauswahl wurden gefeiert.

 

Back to skinny

Lange gehalten hat die Body-Positivity-Bewegung jedoch nicht. Dazu beigetragen hat besonders die Social-Media-Plattform TikTok. Unter dem Hashtag #SkinnyTok verbreiten sich seit Monaten Kurzvideos, in denen Diäten, Kalorienverzicht und extreme Schlankheit als Lifestyle deklariert werden. Besonders alarmierend: Die Zielgruppe ist jung - sehr jung. Die Folgen sind verheerend. SkinnyTok setzt sich zusammen aus den Wörtern skinny (dünn) und TikTok - die Kurzvideoplattform, auf der Inhalte in kürzester Zeit viral gehen.

Während einige Influencer so dünn wie möglich zu sein, als vermeintlich gesunde Lebensstilveränderung deklarieren, in der es angeblich nicht allein ums Abnehmen, sondern um das schwerelose Gefühl gehe, sagen andere geradeaus. „Stay skinny, stay safe“ (Bleib dünn, bleib sicher). Die Ästhetik solcher Videos ist meist gleich - hell, minimalistisch und clean. Dazu wird oft ruhige Musik gespielt. Der gefährliche Inhalt tarnt sich als Selbstoptimierung.

 

Wie TikTok den Trend unterstützt

Die Plattform funktioniert durch den Algorithmus - und dieser lernt schnell. Wer ein Video zum Thema Ernährung oder Skinny anschaut und liked, bekommt schnell eine Lawine an verwandten Inhalten präsentiert. Auch Unbeteiligte, die eigentlich nur ein Video über die neuesten Fitnesstrends sehen wollen, rutschen so schnell in die Skinny-Bubble aus Körpervergleichen, vermeintlicher Disziplin und falschen Gesundheitstipps.

Zwar ist der Hashtag #SkinnyTok in Europa mittlerweile verboten, aber viele Influencer nutzen Abwandlungen, um so zu umgehen, gesperrt zu werden.

 

„Clean Eating“ macht krank

Besonders gefährdet von dem Trend und dessen Auswirkungen sind laut Experten jugendliche Mädchen. Das liege daran, dass die Pubertät eine herausfordernde Phase sei, in der besonders das Selbstwertgefühl und die allgemeine psychische Verfassung leide, erklärt Thomas Huber, Chefarzt einer Klinik für Essstörungen, in einem Interview mit dem ZDF.

In den vergangenen 20 Jahren hat sich die Zahl der Mädchen, die wegen einer Essstörung in stationärer Behandlung sind, verdoppelt. Im Jahr 2023 wurden knapp 12.000 Menschen behandelt, rund 6.000 von ihnen waren junge Mädchen im Alter zwischen zehn und 17 Jahren.

Die Folgen eines zu niedrigen Gewichts und einer oft daraus resultierenden Essstörung sind fatal. Körperlich leiden die Menschen häufig unter anderem an Haarausfall auf dem Kopf, Konzentrationsstörungen, feinem Haarwuchs am ganzen Körper, Zyklusstörungen oder Kreislaufproblemen. Aber auch psychische Störungen können daraus resultieren - Depressionen, Zwangsverhalten, Anorexie oder Bulimie.

Oft beginnt es harmlos: „nur ein bisschen abnehmen, andere schaffen das ja auch“ - aber nicht selten endet dieser Weg in einer Krankheit, aus der es alles andere als leicht ist, wieder rauszukommen.

 

Wer selbst betroffen ist oder jemanden kennt, kann sich unter folgenden Nummern und Seiten informieren und beraten lassen:

BzGA: bzga-essstoerungen.de, 0221/892031

Nummer gegen Kummer: 116 111

Sozialpsychiatrischer Dienst Landkreis Osterholz: spdi@landkreis-osterholz.de

Sozialpsychiatrischer Dienst Rotenburg: Sozialpsychiatrischer.Dienst@lk-row.de


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