Benjamin Moldenhauer

Filmbesprechung: „Ich will alles. Hildegard Knef“

„Ich will alles“ zeigt die Frau Hildegard Knef - und zeichnet ein Sittengemälde der Bundesrepublik in den 50er und 60er-Jahren.

Eigensinnig: Hildegard Knef, fotografiert im Jahr 1969.

Eigensinnig: Hildegard Knef, fotografiert im Jahr 1969.

Bild: Eric Koch

So etwas wie Leben und Werk der Schauspielerin und Sängerin Hildegard Knef waren im Deutschland der Nachkriegszeit eigentlich nicht vorgesehen. Eine nach heutigen Maßstäben vollkommen harmlose, damals aber skandalöse Nacktszene in dem Film „Die Sünderin“, eine für damalige Verhältnisse konfrontative Auseinandersetzung mit den davongekommenen Nazis (und das waren schließlich die meisten), Chansons, die über Lebenslust und -elend Bescheid wussten, drei Ehen, ein offener Umgang mit der eigenen Erkrankung und der eigenen Sucht. Entsprechend ist Hildegard Knef dann auch ein Unikat geblieben, so wie Marlene Dietrich, Rainer Werner Fassbinder oder Christoph Schlingensief Unikate waren. Sie alle eint ein radikaler Eigensinn bei dem gleichzeitigen erkennbaren Bedürfnis, vom Publikum geliebt zu werden.

 

Ein Film über die Frau, nicht das Werk

Der Dokumentarfilm „Ich will alles. Hildegard Knef“ interessiert sich dann auch weniger für das Werk. Von den Filmen bekommt man wenig, von den Liedern Hildegard Knefs schon mehr. Aber auch sie dienen hier eher, als autobiografische Chansons, der Illustration eines Lebenswegs. In seiner Montage dieses Lebens bleibt der Film der Regisseurin Luzi Schmid eher konventionell. Dokumentarisches Material wird aneinander geschnitten, zentral sind vor allem Ausschnitte aus den zahllosen Interviews, die Hildegard Knef – die nicht nur Schauspielerin und Musikerin war, sondern auch Schriftstellerin – in druckreifen Sätzen gegeben hat und in denen sie über das Leben und den Tod philosophiert.

 

Schneisen im Patriarchat der Nachkriegszeit

Das alles aber immer am eigenen Beispiel. Im Leben von Hildegard Knef ging es vor allem um Hildegard Knef, und auch das war etwas Besonderes zu einer Zeit, in der Frauen spätestens ab dem Moment, in dem sie in eine Ehe eintreten, das Eigene aufgeben und auf die eine oder andere Weise zu verschwinden hatten.

Entsprechend aufgewühlt war die Reaktion der sensationsgeilen Öffentlichkeit, als Knef sich nach dem Ende ihrer ersten Ehe in einen Mann verliebte, der noch verheiratet war.

Alle Transgressionen, die „Ich will alles“ aneinanderreiht, wirken heute harmlos. Hildegard Knef hat gleichsam Schneisen in die Gedanken- und Ideenwelt des postfaschistischen Patriarchats der Bundesrepublik geschlagen. Andere konnten die Wege dann weitergehen, und auch deswegen ist erstaunlich, dass ihr Leben und Werk in der Popkultur kaum Beachtung findet.

Die Methode: Man begegnet jedem Anfang, sei es eine Krebserkrankung und der jüngste Schweineartikel in der BILD-Zeitung, offensiv. Und macht ihn im Nachgang zu einem Text oder einem Lied. In ihrem Buch „Der geschenkte Gaul“ hat Hildegard Knef die kranke Nachkriegsgesellschaft porträtiert, in „Das Urteil“ die eigene Krebserkrankung am Beispiel ihrer 55. Operation.

Dass das alles nicht ohne Rücksichtslosigkeit vonstatten gehen konnte, nicht zuletzt gegenüber der eigenen Tochter, verschweigt „Ich will alles“ nicht. Wer alles will, muss anderen, die auch etwas wollen, auch mal etwas wegnehmen.

 

Zwischen Eigensinn und Anpassung

In seiner Konzentration auf das Leben einer Frau, die in einer für eigensinnige und lebenshungrige Menschen eher feindlichen Umgebung wie der Bundesrepublik der fünfziger und sechziger Jahre lebte, gelingt dem Film auch ein kleines Sittengemälde von Nachkriegsdeutschland. Das Werk gerät dabei leider immer wieder in den Hintergrund, und dadurch entsteht der vielleicht aber auch nicht ganz falsche Eindruck, dass hier jemand ein Leben vor allem für das eigene Gesehenwerden (vom Publikum, von der Boulevardpresse) geführt hat. Als würde man verschwinden, wenn man nicht beklatscht wird.

Dieses Beklatschtwerden, das im Falle von tendenziell autonomen Frauen alles andere als selbstverständlich und vor allem immer mit der Drohung auf Ruhmentzug verbunden ist, wird auch klar.

Vor ihrer letzten Tournee in den Achtzigern unterzieht Hildegard Knef sich einer Schönheits-OP und spricht im Interview, natürlich vor der Kamera, klar, bestimmt und reflektiert darüber, was es bedeutet, als weiblicher Star alt zu werden. In dieser Mischung aus Eigensinn und Mittun liegt die Ambivalenz dieses Lebens. Sie ist, soviel macht „Ich will alles“ auch klar, keine Charakterfrage, sondern gesellschaftlich bedingt. Man musste einem gruseligen Land wie der BRD ein gutes Leben abringen. „Ich will alles“ rekonstruiert einen dieser Kraftakte.

„Ich will alles – Hildegard Knef“ läuft am Dienstag, 7. Oktober, und am Mittwoch, 8. Oktober um 20 Uhr in den Ritterhuder Lichtspielen.


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