Benjamin Moldenhauer

Fein rückgebundener Fischgeruch

Alexander Paynes Film „The Holdovers“ unterhält, während er den schief in die Welt Gestellten im Kampf aller gegen alle die Treue hält.

Lehrer Paul Hunham (Paul Giamatti) wird von allen gefürchtet: wegen strenger Noten und strengen Geruchs.

Lehrer Paul Hunham (Paul Giamatti) wird von allen gefürchtet: wegen strenger Noten und strengen Geruchs.

Bild: Focus Features

Der Internatslehrer Paul Hunham riecht, und zwar nach Fisch. Trimethylaminurie heißt die Erkrankung, außerdem leidet Paul an Hyperhidrose und schwitzt übermäßig. Prä-Diabetes wird zumindest angedeutet, ein Glubschauge ist hingegen unübersehbar. Mitleid muss man mit dem buckligen Helden von Alexander Paynes menschenfreundlichen Feel-Good-Movie „The Holdovers“ trotzdem nicht haben, zumindest nicht am Anfang.

Der Mann ist zuerst einmal und vor allem ein an der Oberfläche verhärteter, autoritärer Stinkstiefel, der das eigene Lebensunglück mit einem harten moralischen Kodex und gnadenlosen Ansprüchen an seine Schüler verbindet. In der Barton Academy unterrichtet Hunham die Söhne reicher Familien, angeekelt von ihrer Ignoranz und Arroganz.

Paul muss über die Weihnachtsfeiertage die fünf Schüler betreuen, die nicht einmal ihre Familien zu Hause haben wollten. Für vier von ihnen gibt es nach ein paar Tagen in dem eingeschneiten, menschenleeren Schulgebäude ein Erbarmen, sie werden doch noch abgeholt. Übrig bleibt der eventuell sehr begabte, aber vom Irrewerden seines leiblichen Vaters und von Mutters und Stiefvaters Kälte psychisch in Mitleidenschaft gezogene Angus (Dominic Sessa). Paul ist Angus genauso zuwider wie umgekehrt.

Aber irgendwann geht es, wie in vielen Filmen Paynes (am ausgiebigsten in About Schmidt und in Sideways) wieder auf eine Reise, während der die Verkrustungen aufbrechen und zwischen dem jungen und dem alten Ekelpaket Empathie, Gemeinsamkeit und so etwas wie eine unwahrscheinliche Verbundenheit entstehen.

 

Verständlicher Zorn

 

The Holdovers spielt 1971, im Hintergrund des Geschehens rauscht der Vietnamkrieg, von dem die reichen Söhne allerdings nichts mitbekommen. Der Sohn der Schulköchin Mary Lamb (Da’Vine Joy), der dritten Außenseiterin im Bund, ist gefallen, während die blasierten Oberschichts-Arschgeigen im Land bleiben dürfen und talentlos, faul und selbstsicher auf ein problembefreites, abgesichertes Leben zusteuern. Der zu pädagogischer Härte sublimierte Zorn des Marc-Aurel-Fans Paul, man kann ihn allemal verstehen.

 

Feine Rückbindung des Schmerzes

 

Jedenfalls ist Paynes Film auch insofern mit New Hollywood verbunden, als er dezidiert Außenseiterkino ist. Die Erfolgreichen, Schmerzlosen, Wohlriechenden, sie tauchen hier durchweg in Form von schlimm herzlosen und, zur Freude des Protagonisten wie auch von Zuschauerin und Zuschauer, zutiefst tumben Menschen auf. Außerdem steht The Holdovers“, wenn auch nur in Nebensätzen angedeutet, auf der Seite derer, denen das gute Leben nicht qua Klassenherkunft geschenkt worden ist, sondern die um dieses Leben kämpfen müssen und auf diesem Weg immer wieder scheitern. Der Vorwurf, den der Filmkritiker Lucas Barwenczik in einem ansonsten gut argumentierten Verriss anbringt, nämlich dass Payne seine Figuren pathologisieren und Klassenunterschiede damit relativieren würde, trifft nicht. Beziehungslosigkeit, Kälte, ordinäre Verblödung und eventuell auch Krankheit und Fischgeruch werden hier nicht mit dem Holzhammer, sondern wirklich sehr fein rückgebunden an ein bestimmtes Wissen: Es macht etwas mit den Menschen, wenn sie ihre Unterschiedlichkeit nicht anders als in Hierarchien wahrnehmen können und zu spüren bekommen. Erfolg geht in dieser Welt nicht ohne das Plattmachen von anderen, im Zweifelsfall Talentierteren.

Der Ton des Films ist trotzdem heiter. The Holdovers wechselt zwischen Drama und Komödie, und das oft in ein und derselben Szene. Es bleiben eine Liebe zu den schief in die Welt gestellten Menschen, bei gleichzeitiger Verachtung der Doofen, Erfolgreichen und Erkalteten.

The Holdovers wird am Dienstag, den 11. Juni, um 19.30 Uhr im Film Palast Schwanede gezeigt.


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