Luisa Mersmann

"Fast jeden Tag ein Femizid"

Seit 1981 macht der Internationale Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen am 25. November auf weibliche Opfer von physischer, psychischer und sexueller Gewalt aufmerksam.

Daniela Thies (links) und Katja Lipka (2. v. l.) stellten mit den Gleichstellungsbeauftragten des Landkreises Osterholz die Ausstellung vor .

Daniela Thies (links) und Katja Lipka (2. v. l.) stellten mit den Gleichstellungsbeauftragten des Landkreises Osterholz die Ausstellung vor .

Bild: Lume

In der vergangenen Woche konnten interessierte Bürger:innen die Wanderausstellung „Herzschlag - wenn aus Liebe Gewalt wird“ im Foyer der BBS Osterholz-Scharmbeck besuchen. Die Ausstellung ist ein Projekt des Landeskriminalamts Niedersachsen. Schulleiterin Daniela Thies eröffnete die Ausstellung mit einigen Worten und bedankte sich bei den Gleichstellungsbeauftragten des Landkreises, die ebenfalls vor Ort waren. „Die Ausstellung lädt dazu ein, über Themen nachzudenken, die häufig im Verborgenen bleiben“, so Thies. Besonders für Betroffene sei es wichtig, lauter und sichtbarer zu werden. Die Ausstellung bot nicht nur Informationstafeln, sondern auch Aufklärung zum Mitnehmen. Die Flyer sind in acht Sprachen gestaltet worden.

Verschiedene Aktionen geplant

Im Anschluss berichtete Katja Lipka, Gleichstellungsbeauftragte des Landkreises Osterholz, über die bevorstehende Aktion zum „Internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen“, an der sich auch die Abfall-Service Osterholz GmbH, die Volksbank eG Osterholz Bremervörde und der Anzeiger Verlag beteiligen. Am 25. November, der auch „Orange Day“ genannt wird, werden orangefarbige Stühle vor Geschäften und Institutionen aufgestellt. Die Farbe Orange soll dabei eine Zukunft ohne Gewalt gegen Frauen symbolisieren.

Vor den Rathäusern der Gemeinde werden die Flaggen „Frei leben - ohne Gewalt“ gehisst, um auf das Thema aufmerksam zu machen.

Die Gleichstellungsbeauftragten des Landkreises Osterholz laden zusätzlich alle interessierten Frauen und Mädchen am Montag, 25. November, um 19 Uhr in das Kreishaus I zum Vortrag „Sicher? - Sicher bewegen im öffentlichen Raum“ ein. Dort werden der Kriminalhauptkommissar und Präventionspolizist Joachim Kopietz und Chantal Kratschmer-Cox von der Stiftung Opferhilfe Niedersachsen konkrete Ratschläge für das richtige Verhalten in Gefahrensituationen geben.

Im Landkreis Rotenburg lädt das Frauennetzwerk Zeven am Montag, 25. November, von 17 bis 18 Uhr zu einer Kundgebung gegen häusliche Gewalt ein. Die Veranstaltung findet vor dem Rathaus statt und der Rathausplatz wird in orangefarbenes Licht getaucht.

Hintergrund

Der Internationale Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen hat einen tragischen Hintergrund. Am 25. November 1960 wurden drei Schwestern in der Dominikanischen Republik umgebracht, da sie sich gegen die damalige Diktatur gewehrt haben. Seit 1981 wird an deren Todestag an die Gewalt und Ungerechtigkeiten gegen Frauen aufmerksam gemacht.

Aktuelle Zahlen

In Deutschland haben am vergangenen Dienstag Lisa Paus, Bundesministerin für Frauen und Bundesinnenministerin Nancy Faeser zusammen mit dem Bundeskriminalamt (BKA) das aktuelle Lagebild „Geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichtete Straftaten“ veröffentlicht. Daraus geht hervor, dass im vergangenen Jahr 938 Frauen und Mädchen Opfer von versuchten oder vollendeten Tötungsdelikten wurden. 360 Frauen und Mädchen wurden getötet, also fast jeden Tag eine. Täter sind in den meisten Fällen (Ex-)Partner oder Verwandte.

Insgesamt lässt sich aus dem Lagebild erschließen, dass in beinahe allen Bereichen die Gewalt gestiegen ist. Neben den Sexualstraftaten (+6,2 Prozent), häuslicher Gewalt (+5,6 Prozent) und Menschenhandel (+6,9 Prozent), zu dem auch Zwangsprostitution zählt, sind besonders die Fälle der digitalen Gewalt angestiegen. Es gab 2023 rund 25 Prozent mehr gemeldete Fälle als im Vorjahr.

„Die Zahlen und Fakten zeigen, dass Hass und Gewalt gegen Frauen ein zunehmendes gesellschaftliches Problem sind“, sagt der BKA-Vizepräsident Michael Kretschmer.

Ob die Zahlen einen Anstieg der Gewalt oder vermehrte Anzeigen ausdrücken, lässt sich nicht genau sagen. Sie zeigen aber, so Paus: „Gewalt gehört zum Alltag von Frauen. Das ist beschämend. Und den bedrohten, geschlagenen und um ihr Leben fürchtenden Frauen ist es vollkommen egal, wer regiert. Sie benötigen niedrigschwelligen Schutz und Beratung.“ Paus betont damit Notwendigkeit eines Gewalthilfegesetz, das seit Jahren geplant ist, aber bislang dem Spardiktat der FDP zum Opfer gefallen ist. „Das Gewalthilfegesetz wird Leben retten - es lässt sich nicht durch einzelne Maßnahmen ersetzen.“

Femizid

Die Bundesministerinnen sprechen hinsichtlich der Tötungsdelikte von „Femiziden“. „Fast jeden Tag sehen wir einen Femizid in Deutschland. Alle drei Minuten erlebt eine Frau oder ein Mädchen in Deutschland häusliche Gewalt. Jeden Tag werden mehr als 140 Frauen und Mädchen in Deutschland Opfer einer Sexualstraftat. Sie werden Opfer, weil sie Frauen sind. Das ist unerträglich - und verlangt konsequentes Handeln“, so Faeser.

Der Begriff stellt in Deutschland keinen eigenen Straftatbestand dar, er soll aber auf eine spezifische Gewalt von Männern gegenüber Frauen aufmerksam machen, die sie laut der Familienrechtsanwältin Asha Hedayati immer dann treffe, wenn sie sich emanzipieren. Gewalt gegen Frauen steige nicht trotz, sondern wegen der Emanzipation von Frauen an, betont Hedayati. „Das sieht man in Partnerschaften daran, dass die Gewalt genau dann eskaliert, wenn die Betroffenen emanzipatorische Schritte machen, also sich mehr mit Freundinnen treffen, mehr arbeiten, in einen Verein eintreten“, so die Anwältin im Interview mit der Zeitung „Neues Deutschland“. Das erlebten männliche Partner als solchen Kontrollverlust, dass sie die Gewalt eskalieren. „Der Höhepunkt davon ist die Trennung und auch gleichzeitig der Hochrisikofaktor für Femizide.“


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