

Warum sollte man ein Buch über einen Menschen lesen, der den größten Teil seines Lebens am Schreibtisch verbracht hat? Harry Rowohlt war von Beruf Übersetzer und Vorleser, er bestritt Leseabende, die gerne auch mal über fünf Stunden gingen, mit gerade einmal einer Whiskyflasche auf der Bühne (am Anfang voll, am Ende leer). Seine Übersetzungen von „Pu der Bär“, Frank McCourts „Die Asche meiner Mutter“ und „Die grüne Wolke“ sind, als Übersetzungen, Teil der Weltliteratur geworden („Er war der einzige Übersetzer, dessen Name auf Buchcovern so viel galt wie der des Autors“, schrieb die taz 2015 in ihrem Nachruf). Seine inzwischen weitgehend vergriffenen Hörbücher sind wunderbare Vorlesekunst, und Mitschnitte seiner ausschweifenden Lesungsabende, während derer Rowohlt für zwei Seiten wegen zahlreicher Abschweifungen auch schon mal eine Stunde brauchte, sind ein steter Quell der Freude.
Aber ergibt das eine lesenswerte Biografie? Tut es, weil das Leben, das hier porträtiert wird, ein autonomes, selbstbestimmtes, wenn auch von Familiendämonen nicht freies war.
Wahnwitzige Familie
Harry Rowohlt war der Sohn von Ernst Rowohlt, dem Gründer des Rowohlt Verlags. Nach dem Tod des Familienpatriarchen führte Harrys 37 Jahre älterer Halbbruder Heinrich Maria Ledig-Rowohlt den Verlag weiter, den der Jüngere dereinst übernehmen sollte. Die Abneigung gegen das starre Verlagsgefüge wie auch das, um es einmal vorsichtig zu sagen, ambivalente Verhältnis zur Herkunftsfamilie (Harry Rowohlts Mutter scheint mit einem veritablen narzisstischen Dachschaden geschlagen gewesen zu sein), führten dann allerdings zu ausdauernder Anspannung und am Ende zur Ausschlagung des Erbes.
Der Kampf zwischen dem jüngsten Sohn und dem Rest der Rowohlt-Sippe wurde mit teils rüden Mitteln ausgetragen. Nachdem Maria auf der Hochzeitsfeier von Harry und seiner Frau Ulla versucht hatte, die Umstehenden dazu zu bringen, ihrem Sohn die Verbindung mit seiner Frau auszureden, wurde sie von Gästen, die es wohl wirklich nicht mehr aushielten, auf dem Männerklo eingesperrt – „und damit war erst einmal eine Zeit Ruhe“, erinnert sich Rowohlt. „Aber irgendein Blödmann hat sie wieder rausgelassen.“
Unbestechlich durchs Leben
In dem Bericht über diesen schon eher wahnwitzigen Familienkonflikt kommt Sollochs Buch einem Roman noch am nächsten. Ansonsten aber geht es hier weniger um die Erzählung eines Lebensweges, sondern um die Darstellung einer bestimmten Haltung zur Welt. Der Untertitel von Alexander Sollochs Biografie „Harry Rowohlt“ deutet es an: „Ein freies Leben“. Man kann hier lesen, wie einer, obwohl nicht frei von inneren Konflikten und mit einer ungesunden Zuneigung zum Hartalk geplagt, alles in allem unbestechlich durchs Leben schreitet. Und diese Freiheit, die sich nicht im randalierenden Rebellentum, sondern in Wortwitz, klaren Ansagen reihum (an Verwandte, Lektoren, Redakteure und die Verfasser übergriffiger Fanpost) und der Fähigkeit, das Leben nicht todernst zu nehmen, äußert. Solloch formuliert es klar und simpel: Zu erzählen sei „die Geschichte eines Menschen, der das geschafft hat, wonach wir alle streben: Harry Rowohlt hat einen Weg gefunden, frei zu sein und das zu tun, was er tun wollte.“
Die Lieben des Lebens
Dass das als Verlagserbe ja auch nicht allzu schwer ist, zieht als Einwand nur bedingt. Harry Rowohlt hat von den verkauften Verlagsanteilen wenig gehabt und als Übersetzer und Lesungsreisender konstant geackert. Das Geglückte zeigt sich vor allem im geglückten Umgang mit der Sprache, gerade dann, wenn es um die vielen großen Lieben dieses Lebens geht: die Lebensgefährtin und Ehefrau Ulla, Irland, Pu der Bär – was Rowohlt vor allem in Briefen, aber auch in seinen Kolumnen (aus beidem zitiert Solloch ausgiebig) über Bücher und an Menschen geschrieben hat, die er schätzte, ist schon von einer besonderen Weltzugewandtheit, die als Gegenmittel viele depressive Verstimmungen bei Leserinnen und Lesern aufzulösen vermag.
Distanz und Zuneigung
Dass Harry Rowohlt auch ein schrecklich arrogantes Arschloch sein konnte, verschweigt sein Biograf nicht. Das Bild vom lieben Brummbären, als der „Harry“ als Hamburger Lokalkitschfigur und Original der kulturinteressierten Öffentlichkeit irgendwann galt, stimmt so nicht. Wenn Harry Rowohlt jemanden nicht mochte, fielen die Urteile gerne vernichtend (und gut begründet) aus.
Alexander Solloch gelingt es in seinem Buch recht gut, ausgehend von einer großen Zuneigung, doch die Distanz zu wahren. Die Bewunderung für Sprachsensibilität und Sprachwitz wie auch für die Haltung gegenüber der Welt, die Rowohlt in seinen Übersetzungen, Kolumnen und Briefen erkennen ließ, und die Freude, die hier einer mit all dem hat, sind unüberlesbar. Weniger glorreiche Aspekte – die nicht sonderlich gelungene Neuübersetzung von „In-Schwimmen-zwei-Vögel“, ausgerechnet das Hauptwerk von Harry Rowohlts Lieblingsautor Flann O’Brien, zum Beispiel – werden nicht verschwiegen. In dieser Nähe bei gleichzeitiger Distanz ist hier eine schwer unterhaltsame Biografie entstanden. Was bei einem Leben, das im Wesentlichen im Schreiben und Übersetzen am Schreibtisch und im Saufen auf der Bühne und in Kneipen bestanden hat, ja nicht selbstverständlich ist.
Das Buch „Harry Rowohlt. Ein freies Leben“ von Alexander Solloch ist bei Kein & Aber erschienen und kostet 26. Euro.