Katie Hoffmann

Weg von Dystopie und Apokalypse

Sven Plöger ist Diplom-Meteorologe, Wettermoderator und Bestsellerautor.Er vermittelt fundiert und mit einer gehörigen Portion Humor Wissen zum Klimawandel und seinen Folgen. Am kommenden Dienstag ist Sven Plöger in der Stadthalle zu Gast. Vorher hat er mit uns gesprochen.

Herr Plöger, was bedeuten eigentlich die Begriffe Wetter und Klima?

Wetter ist das tägliche Geschehen in der Atmosphäre an einem bestimmten Ort, zu einem bestimmten Zeitpunkt. Klima ist, ganz verkürzt gesagt, einfach die Statistik des Wetters. Wir schauen uns über mindestens 30 Jahre - das hat die Wettermeteorologie-Organisation so definiert - den Verlauf an. Das Ganze kann man entweder für einen Ort machen, beispielsweise Osterholz-Scharmbeck oder Niedersachsen, oder eben für die ganze Welt. Das ist dann das globale Klima, das uns natürlich besonders interessiert.

Und was hat jetzt Extremwetter auf der ganzen Welt mit uns in Osterholz-Scharmbeck zu tun?

Sie haben es selbst schon gesagt: Das Wetter wird immer extremer. Die Klimastatistik verzeichnet aktuell den Trend einer beschleunigten Erwärmung. Wenn man jetzt den Mittelwert ausrechnet, also zum Beispiel diese 1,5 Grad gegenüber des vorindustriellen Niveaus, der Jahre 1859 bis 1900, die wir uns politisch als Grenze gesetzt haben, ist das eine Sache. In Wirklichkeit ist es aber natürlich so, dass sich verschiedene Regionen unterschiedlich stark erwärmen. Dadurch ändern sich die Luftströmungen, Winde werden stärker, Niederschläge heftiger. Insbesondere, dass sich derzeit die Arktis sehr stark erwärmt, spielt für uns eine große Rolle. Das führt nämlich dazu, dass die Hochs und Tiefs langsamer ziehen und länger bei uns sind. Ein Hoch, das kaum weiterzieht, bedeutet im Sommer für uns Dürre und Hitze, ein Tief Starkregen und Überflutungen. Das alles haben wir in den letzten Jahren quasi direkt vor unserer Haustür erlebt. Das Entscheidende für uns ist nicht das Steigen einer Mitteltemperatur. Was wir fühlen und was Leid verursacht, ist das extreme Wetter, das Zerstörung und immense Kosten mit sich bringt.

Also sind die heißen Sommer hier bei uns in Norddeutschland quasi der Ausdruck einer gefährlichen Entwicklung?

Ganz genau.

Extremwetter gab es aber ja schon immer.

Das höre ich oft und das stimmt auch. Aber diese Klimaänderung, die wir jetzt global erleben, ist viel schneller als das, was die Natur alleine erzeugen kann. Und woran liegt das? Daran, dass die menschliche Gesellschaft massive Mengen an Treibhausgasen ins System bringt. Das kann man in Wattzahlen ausrechnen: Auf jeden Quadratmeter dieses Planeten bringen wir 3,3 Watt zusätzlich. Der Planet hat eine 510 Millionen Quadratkilometer große Oberfläche. Wenn man das in Quadratmeter umrechnet und mit 3,3 multipliziert, dann ist das eine riesengroße Zahl. Die typischen natürlichen Beiträge, die es „schon immer gab“ – da reden wir von Größenordnungen zwischen 0,1 und 0,5 Watt, aber eben nicht 3,3.

Wie gehen Sie damit um, dass viele Menschen das nicht verstehen und oft auch nicht verstehen wollen?

Ich bin kein Missionar, kein Ideologe und auch kein Mensch, der mit erhobenem Zeigefinger als Aktivist herumläuft. Ich versuche einfach nur, Wissenschaft zu übersetzen. Ich möchte in meinen Vorträgen die schwierige Physik hinter Wetter und Klima für jeden verständlich machen. Der entscheidende Punkt ist nämlich dieser: Die Physik, die da draußen stattfindet, interessiert sich nicht für uns. Es macht keinen Sinn, sich eine Meinung zur Physik zu bilden. Haben Sie schon einmal versucht, eine Meinung zur Schwerkraft zu haben und diese dann abzulehnen? Stattdessen muss man die Physik verstehen. Wichtig ist die Frage: Wie gehen wir mit dem Wissen um? Und da haben wir eine Vielzahl von Handlungsoptionen. Das hat dann mit einem Diskurs zu tun. Und ja, auch da treffen verschiedene Interessen aufeinander. Am Ende des Diskurses muss eine Entscheidung stehen und diese idealerweise auf Fakten basieren und nicht auf monentären Interessen von Lobbygruppen. Hier machen wir die meisten Fehler.

Die UN meldete ja kürzlich, das 1,5-Grad-Ziel sei nicht mehr zu erreichen. Und auch Sie beschäftigten sich in Ihrem letzten Buch mit der Frage „Können wir den Klimawandel noch beherrschen?“ Mein Gefühl ist da immer sehr negativ und antwortet mit einem dicken, fetten Nein. Aber was sagen Sie denn – können wir?

Ich kann das sehr gut nachvollziehen. Um aber aus diesem Blickwinkel herauszukommen, halte ich Vorträge. Viele junge Menschen leiden mittlerweile und haben reelle Ängste. Andere ignorieren das Thema lieber komplett - oft nicht mit böser Absicht, sondern wegen gefühlter Hilflosigkeit. Deshalb spreche ich viel über die eigene Haltung im Kopf. Denn, wenn man wir von vornherein sagen, das kriegen wir nicht mehr in den Griff und es lohnt sich sowieso nicht mehr, etwas zu tun, dann fehlt dafür jede Motivation. Und prompt ergibt das eine sich selbsterfüllende Prognose. Meine Meinung ist: Solange die Wissenschaft sagt, mit sogenanntem Peak and Decline - also mit kurzem Überschreiten und dann wieder Einholen einer Zielsetzung - würde es gehen, versuche ich, meine Hoffnung nicht zu verlieren. Wäre das anders, müsste ich meine Arbeit beende. Aber Peak and Decline bedeutet auch, dass wir von diesen 3,3 Watt, von denen ich Ihnen erzählt habe, wieder herunter müssen. Was wir im Moment tun, führt zu einem Gleichgewicht bei 2,7 Grad Erwärmung. Und das ist tragisch, weil es weit über 1,5 Grad ist, und deswegen werden wir das 1,5-Ziel reißen. Würde man aber jetzt schon all die Dinge tun, die man verbindlich vereinbart, aber immer noch nicht umgesetzt hat, dann hätten wir 2,1 Grad als Gleichgewicht im Visier. Das ist zwar nicht 1,5 und damit noch nicht gut, aber es ist viel besser als 2,7. Dass beispielsweise kürzlich viele Länder ihre Frist zur Festlegung neuer Klimaziele verpasst haben, zeigt aus meiner Sicht, dass das derzeitige System nicht funktioniert. Seit der ersten Klimakonferenz 1992 - mit großer weltweiter Aufbruchstimmung und dem Ziel, die Emissionen massiv zu senken - sind die Emissionen um rund 80 Prozent gestiegen - das ist kein Erfolg. Das ist - vorsichtig formuliert - kognitiv dissonant. Ein Problem bei der Systematik der Klimakonferenzen: Entscheidungen müssen einstimmig getroffen werden. Logische Folge: Die Bremser bestimmen das Tempo, denn ohne sie keine Abschlusserklärung. Also kommt am Ende nur das Langsamstmögliche heraus. In einer Welt voller Krisen fehlt oft der Mut zum Wandel - viele klammern sich lieber an das Alte. Voraussetzung für eine Verbesserung ist schlicht und einfach, dass die Politik, die Wirtschaft und wir alle gemeinsam verstehen und handeln.

Es wird derzeit auch von der Wirtschaft gefordert, dass die CO2-Gebühr abgeschafft wird, um Geld für Investitionen in klimafreundliche Technologien zur Verfügung zu haben. Was ist davon zu halten?

Ich kann nachvollziehen, dass Unternehmen in der aktuellen Lage nach finanziellen Spielräumen suchen. Trotzdem halte ich es für gefährlich, die CO2-Gebühr oder den Emissionshandel abzuschaffen. Diese Instrumente sind wichtig, um den Klimaschutz gezielt zu steuern. Wenn man sie aufweicht, besteht die Gefahr, dass das Geld nicht in Innovationen fließt, sondern in höhere Gewinne oder Greenwashing. Wir brauchen klare Regeln, sonst wird am Ende nur die Umwelt geschädigt. Wie bereits gesagt: Die Physik interessiert sich nicht für Meinungen oder wirtschaftliche Argumente – wenn wir falsche Entscheidungen treffen, scheitern wir.

Wie kann ich denn als Einzelperson dafür sorgen, die Hoffnung nicht zu verlieren und meine Haltung zu ändern?

Wenn man meint, nichts mehr für die eigene Generation etwas ändern zu können, dann für die zukünftigen. Eltern wollen immer, dass es ihren Kindern später besser geht als ihnen selbst. Aber ganz ehrlich: Wenn der Klimawandel so weitergeht, wird es den Kindern später sehr viel schlechter gehen als uns jetzt. Das möchte einfach nur niemand wahrhaben , nur interessiert das - wie schon erwähnt - die Physik des Erdsystems nicht. Ohne Motivation etwas zu verändern, wird es nicht gehen und um uns zu motivieren, müssen wir die Klimakommunikation ändern. Weg von Dystopie und Apokalypse und hin zu Chancen und Möglichkeiten. Wir Menschen gucken ständig auf das Negative. Das ist der Evolution geschuldet, weil wir früher gut beraten waren, die Gefahren zu sehen. Aber dieser Negativblick lässt uns dann eben genau zu der Einstellung kommen, dass wir das alles sowieso nicht schaffen. Davon müssen wir weg und stattdessen die vielen positiven Beispiele auf Welt sehen und wo immer es geht, sie nachmachen. Es muss nicht immer jeder das Rad wieder neu erfinden - Abgucken ist erlaubt! Gerade wir Deutschen haben die Neigung bei allem mindestens perfekt sein zu wollen. Und das endet dann oft in „umständlich, zeitaufwendig und damit teuer“. Was wir dann postwendend beklagen. Was wir brauchen, ist Begeisterung für Veränderung, Lust zum Mitmachen und am Ende daraus resultierend das Einsparen von Geld. Jede Kleinigkeit ist ein richtiger Schritt. Und 8 Milliarden - so viele sind wir - multipliziert mit „wenig“, ist immer viel und damit wirksam.

 

Sven Plöger tritt am 11. November um 19 Uhr als diesjähriger Herbstreferent der Volksbank eG Osterholz Bremervörde in der Stadthalle Osterholz-Scharmbeck auf.

Karten sind an den üblichen Vorverkaufsstellen erhältlich.

 


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