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Patrick Viol

Bedrohung der Artenvielfalt

Landkreis (pvio). Der Bericht des Bundesumweltministeriums zur Lage der Natur stellt negativen Entwicklungstrend der Biodiversität fest.
Viele Arten stehen kurz davor, endgültig zu verschwinden. Bild:pvio

Viele Arten stehen kurz davor, endgültig zu verschwinden. Bild:pvio

Bild: Patrick Viol

Die vergangene Woche stand im Zeichen des Naturschutzes: Am 19. Mai wurde vom Bundesumweltministerium der Bericht zur Lage der Natur in Deutschland veröffentlicht, am 20. fand der Weltbienentag statt und am 22. der internationale Tag der Artenvielfalt. An keinem der Tage wurden gute Nachrichten verkündet.
 
Schlechte Lage der Natur
 
Alle sechs Jahre bewerten Bund und Länder im „Bericht zur Lage der Natur“ wie gut der Erhaltungszustand der Natur ist und in welche Richtung er sich entwickelt. Sie müssen der EU-Kommision über die Umsetzung der EU-Naturschutzrichtlinien Rechenschaft ablegen. Derzeit läuft gar ein EU-Verfahren gegen Deutschland, weil es die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH -Gebiete) und die Vogelschutzrichtlinie nur mangelhaft umsetzen würde. Das heißt, bedrohte Lebensraumtypen wie Hochmoore oder Flechten-Kiefernwälder, bedrohte Tiere und Pflanzen sowie reduzierte Vogelarten in den als Natura 2000 zusammengefassten Gebieten würden von den Bundesländern nicht ausreichend geschützt. Das bestätigt der am 19. Mai von Bundesumweltministerin Svenja Schulze zusammen mit dem Bundesamt für Naturschutz in Berlin veröffentlichte Bericht. Dessen Fazit lautet: Insgesamt gehe es der Natur nicht gut. Das unterstreicht auch der NABU-Präsident Jörg-Andreas Krüger: „Die Lage der Natur ist schlecht, und sie verschlechtert sich weiter.“ Auch Jochen Hake von den Bremervörder Grünen finde es erschreckend, wie sehr sich der Erhaltungszustand verschlechtert habe. Vor allem hier, im Nordwesten, im sogenannten atlantischen Raum.
 
Ergebnisse des Berichts
 
Insgesamt kommt die Bewertung hinsichtlich des Erhaltungszustandes der Lebensraumtypen zu einem dreigeteilten Ergebnis: 30 % wiesen einen günstigen, 32 % einen ungünstig-unzureichenden und 37% einen ungünstig schlechten Erhaltungszustand auf. Betrachtet man nur die atlantische Region, zu der Niedersachsen zählt, fällt die Bewertung weitaus schlechter aus: Hier sei die Situation der Biotope überwiegend schlecht (55 %). Bei den Insekten wiese nur ein Fünftel einen günstigen, 70 % dagegen einen ungünstigen Zustand auf. Besonders kritisch sei die Situation der Libellen, der Käfer und Schmetterlinge. Auch bei den Vögeln in der Agrarlandschaft sehe es nicht besonders gut aus. Es gebe einen massiven Rückgang der Feldvögel seit den 1980er Jahren. Das Vorkommen des Kiebitz beispielsweise verringerte sich um 93 %, das des Rebhuhns um 91 % und das der Feldlerche um 55 %. In Zahlen bedeute das, dass wir in der Agrarlandschaft bzw. auf dem Offenland „in den letzten Jahrzehnten gut zehn Millionen Brutpaare verloren haben“, wie Krüger vom NABU mitteilt.
 
Intensive Landwirtschaft
 
Der insgesamt schlechte Zustand der Lebensräume und der Rückgang der Artenvielfalt, insbesondere bei den Vögeln, sei im sogenannten Offenland auf die intensive Landwirtschaft zurückzuführen, wie es in dem Bericht heißt. Die führe zu einer immer stärkeren Homogenisierung der Landschaft, in der „artenarme Lebensräume vorherrschen.“ Für den Bestandsrückgang der Vögel seien vor allem der Pestizideinsatz, starke Düngung, Intensivierung der Flächennutzung, Entwässerung, partiell aber auch Sport, Tourismus und Freizeitaktivitäten verantwortlich. Bei der Benennung der Verantwortung ginge es aber nicht um eine Schuldzuweisung an die Landwirtschaft, sondern darum, die richtigen agrarpolitischen Mittel zu finden, um das Artensterben aufzuhalten. Die Intensivierung der Landwirtschaft sei schließlich selbst Folge politischer Entscheidungen, wie beispielsweise der „Wegfall der EU-Flächenstilllegungsprämie für Landwirte im Jahr 2007“, erklärt Hake. Das betont auch der Bericht. Mit dem Wegfall agrarpolitischer Steuerungsinstrumente sei vermehrt Grünland zu Ackerland umgewandelt worden, was zum Verlust der Feldvögel geführt habe.
Das zeigt, wie sehr die Landwirtschaft einem Konflikt ausgesetzt ist, worauf auch das niedersächsische Landvolk verweist. Einerseits liege den Landwirt*innen, vor allem den jungen, der „Schutz der Umwelt am Herzen“, andrerseits müsse sie auch wirtschaftlich überleben. Der Umweltschutz müsse daher die wirtschaftlichen Perspektiven der Landwirtschaft berücksichtigen, so Jan-Henrik Schöne, Milchviehalter aus Schwanewede und Vorsitzender im Ausschuss Junglandwirte im Landvolk Niedersachsen.
 
Die richtigen Konsequenzen ziehen
 
Wenn die Politik zu enge Rahmen für die Landwirtschaft schafft, leidet schließlich die Natur. Deshalb sei es wichtig, dass die Politik aus den schlechten Ergebnissen des Lageberichts die Konsequenz einer „intelligenten Steuerungspolitik“ ziehe und „öffentliche Gelder dafür aufwendet, um Landwirte dafür zu bezahlen, konsequenten Naturschutz zu betreiben,“ sagt Jochen Hake. Öffentliches Geld für öffentliche Leistungen, wie die Anlage von Blühstreifen. Ähnlich sehen das auch die Verfasser*innen des Berichts und fordern eine Sicherstellung einer ausreichenden Finanzierung für das Schutzgebietsnetz der Natura 2000.
Doch Geld allein als Anreiz für freiwilligen Naturschutz reiche nicht aus, meint Walter Lemmermann, Vorstandsmitglied des NABU Kreisverbands Bremervörde-Zeven: „Anscheinend ist eine Verschärfung des Ordnungsrechts notwendig. Als Beispiel sollten Naturschutzgebiete als Rückzugsgebiet für viele Arten auch wirkliche Schutzgebiete sein und die Ausnahmemöglichkeiten zur intensiven Bewirtschaftung eingeschränkt werden.“ Hake appelliert zudem an die Einzelnen. Alle könnten beispielsweise etwas für den Erhalt der Stadtnatur tun. Das sei ganz einfach: indem man sich die Ästhetik des gemähten Rasens und aufgeräumten Gartens abgewöhnt. Wer Rasen und Unkraut wachsen, totes Holz liegen und den Vorgarten nicht schottern ließe, schenke Insekten ein nahrhaftes Refugium.


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