"In eine gefährliche Lage geraten"
Jährlich wird am 8. Mai der Weltrotkreuztag als inoffizieller Gedenk- und Feiertag begangen. Dieser geht zurück auf das Leben und Wirken des am 8. Mai (1828) geborenen Gründers dieser internationalen Bewegung: auf den Schweizer Friedensnobelpreisträger Henry Dunant, der im Juni 1859 während einer Geschäftsreise zufällig Zeuge der Schlacht von Solferino in der Nähe des Gardasees (Norditalien) wurde - ein Ereignis, das 1863 schließlich zur Gründung des Roten Kreuzes führte. Nachfolgend ein Interview über die Herausforderungen des Kreisverbandes Bremervörde des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) in Corona-Zeiten mit Kreisgeschäftsführer Rolf Eckhoff.
Anzeiger: Herr Eckhoff, wie haben die Bürger sich das vorzustellen und welche Mechanismen greifen im Zusammenspiel zwischen Landkreis Rotenburg als kommunal zuständiger Katastrophenschutzbehörde und Hilfsorganisationen wie DRK, wenn plötzlich eine Pandemie um sich greift, systemsrelevante Strukturen wie die des Rettungsdienstes oder Pflegetätigkeiten aber ja aufrechterhalten werden müssen?
Eckhoff: Im konkreten Fall haben wir natürlich zunächst unsere eigenen Kernaufgaben wie den Rettungsdienst, die ambulante Pflege sowie die Tagespflegen aber auch die Kindertagesstätten und den Familienunterstützenden Dienst im Fokus gehabt. Parallel dazu hat uns der Landkreis unter der Führung von Landrat Hermann Luttmann Anfang März zu einem ersten Abstimmungsgespräch eingeladen. Für unseren Kreisverband waren neben mir und Rettungsdienstleiter Dirk Richter unser Kreisbereitschaftsleiter Andreas Rothgeber, der Beauftragte für den Katastrophenschutz Sven Hagemann sowie der Zugführer unseres Einsatzzuges Chris Knoblauch Teilnehmer des Gespräches. Die drei letztgenannten, ehrenamtlich für unseren Kreisverband tätigen Führungskräfte der Bereitschaften waren dann teilweise über mehrere Wochen im Krisenstab des Landkreises mit der Erstellung eines Pandemieplanes und den sich daraus ergebenden Fragestellungen zur Bewältigung der Krise beschäftigt und haben wertvolle Arbeit geleistet.
Anzeiger: Hygiene - ein Begriff, der sowohl im Rettungsdienst als auch in der Pflege schon ohne Pandemie eine bedeutende Rolle zukommt. Wie haben Sie die Diskussionen um die Verknappung von Mund-Nasen-Schutz, Schutzkittel und Desinfektionsmittel in Ihrem Verband erlebt?
Eckhoff: Das ist sicher ein sehr wichtiges Thema, das wir - und damit meine ich nicht uns als konsumierende Hilfsorganisation, sondern die medizinische Versorgungsinfrastruktur unseres Landes - aufgreifen müssen. Die Bundespolitik hat dahingehend schon klare Aussagen getätigt, denn es zeigte sich ja mehr als deutlich, dass wir aufgrund einer rein betriebswirtschaftlichen Ausrichtung im Gesundheitswesen in eine sehr gefährliche Lage geraten sind. Zur Zeit beruhigt sich die versorgungstechnische Situation - und darüber bin ich auch überhaupt nicht böse, denn in den zurückliegenden Wochen gab es sicher keinen einzigen Tag, an dem ich nicht auf die Versorgung mit Mundschutz, Desinfektionsmittel oder Schutzkitteln angesprochen wurde.
Anzeiger: Worin liegen die besonderen Herausforderungen mit Blick auf die sechs Kindertagesstätten in Bremervörde, Zeven und Tarmstedt, die unter der Regie des DRK betrieben werden, zu den vom Roten Kreuz vermittelten Schulassistenzen und schließlich zu den Familienhebammen, die Sie im Auftrag des Landkreises in die Haushalte junger Mütter und Väter entsenden?
Eckhoff: Für unsere geschlossenen Kindertagesstätten haben wir mittlerweile in allen Einrichtungen Notgruppen eingerichtet. Für die Kinder von Beschäftigten der sogenannten kritischen Infrastruktur galt das schon seit Anfang der Schließung. Zu allen anderen Kindern und Eltern haben wir telefonisch oder per sozialen Medien Kontakt aufgenommen und gehalten. Gleiches gilt für die von unseren Schulassistentinnen betreuten Kinder. Und nicht zu vergessen die jungen Mütter und Väter mit ihren Kindern, die durch unsere Familienhebammen betreut werden. Wenn die Betreuung in den Kitas und Schulen weiter ausgeweitet wird, müssen wir aber gerade in diesem sehr sensiblen Bereich bedenken, dass die Hygiene- und Abstandsregeln deutlich schwieriger umzusetzen sein werden.
Anzeiger: Die unter dem Dach des DRK-Kreisverbandes Bremervörde vereinten 16 Ortsvereine des Roten Kreuzes sowie organisationsungebundene Interessengemeinschaften kommt die wichtige Aufgabe der Organisation und Begleitung der Blutspende zu. Obwohl vereinzelnd Termine abgesagt werden mussten, dürfte die Resonanz der Spender Sie erfreut haben.
Eckhoff: Der Besuch der ebenfalls systemrelevanten Blutspendetermine unterliegt nicht dem Kontaktverbot und die Termine finden weiter unter besonderen Sicherheitsvorkehrungen statt, für deren Einhaltung gegenwärtig aber unter anderem auch ein höherer Personalbestand erforderlich ist. Wenn parallel beispielsweise zu dem am 30. März leider nicht stattgefundenen Blutspendetermin in Bremervörde am gleichen Tag 21 weitere Termine des Blutspendedienstes in Sachsen-Anhalt, Thüringen und Niedersachsen angesetzt sind, müssen die Verantwortlichen angesichts des verhandenden Personal entscheiden, welche Termine besetzt werden können und welche nicht. Aus diesem Grund fand Bremervörde nicht statt. An solchen Stellen bekommt der Begriff Fachkräftemangel ein ganz konkretes Gesicht. Zur Eingangsfrage: Ja, wir hatten in den ersten Wochen der Krise auf den Terminen durchschnittlich 15 bis 20 Prozent mehr Zulauf als üblich. Nach allem, was ich höre, hat sich die Spendebereitschaft mittlerweile weitestgehend normalisiert.
Anzeiger: Nehmen Sie für die rund 450 hauptamtlich Beschäftigten des DRK-Kreisverbandes Bremervörde etwas Positives aus dieser Krise mit, das sich bewährt hat und das Sie auch in der Zukunft so praktizieren wollen? Zur Organisation der Arbeitsabläufe haben Sie sich ja wahrscheinlich einiges einfallen lassen müssen. Stichwort: Videokonferenzen, Telefonkonferenzen und dergleichen.
Eckhoff: Das stimmt. Ich denke, wir werden in Zukunft noch häufiger digitale Kommunikationsmittel einsetzen, zumal wir mit unseren verschiedenen Aufgabenfeldern teilweise im gesamten Gebiet des Landkreises Rotenburg tätig sind und somit für Besprechungen häufig lange Wegezeiten anfallen. Was ich aber als wirklich außerordentlich positiv aus den zurückliegenden Wochen mitnehme, ist der sehr große Zusammenhalt und die stetige Einsatzbereitschaft unserer Mitarbeiterinnen beziehungsweise Mitarbeiter und, nicht zu vergessen, auch der vielen Ehrenamtlichen, insbesondere im Katastrophenschutz und der Blutspende. Alle stehen sehr verantwortungsvoll zu ihren Aufgaben innerhalb unserer Organisation. Das bestärkt mich auch darin, dass wir alle gemeinsam diese Krise selbst bei möglichen Rückschlägen meistern werden - etwa bei einer zweiten Welle der Pandemie.
Das Gespräch führte Stephan Jeschke, der dem ANZEIGER das Interview zur Verfügung stellte.