Stadtwerke starten neues Vorzeigeprojekt mit Datenbrille
Osterholz-Scharmbeck/Lilienthal (eb). Seit knapp 28 Jahren ist Jonny Siedenburg bereits für die sichere und zuverlässige Stromversorgung in Lilienthal im Einsatz. Er kennt sich in seiner Heimat bestens aus und nun sieht er einiges doch mit anderen Augen.
Dabei ist er gerade mit an einer Weltpremiere beteiligt. Das hat er seinem Vorarbeiter Marcel Klingenberg zu verdanken. Der 30-Jährige war in den letzten sechs Monaten neben den täglichen Aufgaben Projektleiter der Osterholzer Stadtwerke, um zusammen mit Trianel, einer bundesweiten Stadtwerke-Kooperation mit Sitz in Aachen, und dem 3D- und Virtual-Reality-Spezialisten ZReality aus Kaiserslautern die weltweit erstmalige Microsoft HoloLens2-Anwendung bei einem Energieversorger anzuwenden.
Den Arbeitsplatz der
Zukunft testen
Die Osterholzer Stadtwerke sind einer von über 50 Gesellschaftern bei Trianel. „Diese Kooperation ermöglicht uns, dass wir durch neue Anwendungen digitale Mehrwerte erzielen und so auch eine Vorreiterrolle einnehmen können“, erklärt Christian Meyer-Hammerström, Geschäftsführer der Osterholzer Stadtwerke. „Wir testen, wie der Arbeitsplatz der Zukunft aussehen kann. Wir beschäftigen uns mit dem Wandel und binden die Kollegen mit ein.“
Die Microsoft HoloLens ist eine Mixed-Reality-Brille. Bei dieser „gemischten Realität“ wird die tatsächliche, natürliche Wahrnehmung eines Nutzers mit einer künstlichen, computererzeugten Wahrnehmung vermischt. Das Besondere ist die Bedienung auch durch Gesten (neben Wischen, Tippen, Berühren und Sprache). Die reine Brille kostet rund 5.000 Euro.
Als im letzten Sommer Fachleute von verschiedenen Stadtwerken zusammenkamen und ihre Ideen für ein digitales Test-Projekt austauschten, erhielt der Vorschlag aus Osterholz die größte Zustimmung. Marcel Klingenberg suchte nach einer Lösung, um die personell aufwendige Schaltung im Strom-Mittelspannungsnetz zu vereinfachen. Seitdem tauschte er sich wöchentlich mit den Projektbeteiligten im Hause und mit den externen Spezialisten aus.
Bisher sind dafür ein „Schalt-Anweisungsberechtigter“ in der Steuerungszentrale und zwei „Schaltberechtigte“ in der entfernten Trafostation erforderlich. Einer der beiden Fachleute führt vor Ort die Schaltung durch und der Begleiter gibt die telefonischen Anweisungen aus der Zentrale weiter und kontrolliert. Der gesamte Vorgang wird an beiden Orten ausführlich dokumentiert.
Durch die neue Technologie sieht der Schaltberechtigte die Sicherheitsanweise und die jeweiligen Beschreibungen der einzelnen Arbeitsschritte vor sich eingeblendet. Der Kollege in der Zentrale kann die Abläufe durch die eingebaute Kamera genau verfolgen. Gleichzeitig werden alle Schritte digital dokumentiert.
Für Cord Köhler, dem Leiter der Strom-Versorgung, hat das Thema „Sicherheit“ oberste Priorität. Zur Vermeidung von Schaltfehlern hält er das Vier-Augen-Prinzip bei dem Prozess für unersetzlich. Gleichzeitig sucht der Diplom-Ingenieur stets nach neuen effizienten Lösungen. „Durch die neue Technik und die Video-Übertragung ist ein Verzicht auf den zweiten Fachmann vor Ort möglich. Dadurch haben wir als Energieversorger mittlerer Größe mehr Flexibilität beim täglichen Personaleinsatz.“
Einsatz mit Vorbildcharakter
Christian Meyer-Hammerström, Geschäftsführer der Osterholzer Stadtwerke ist von der neuen Anwendung überzeugt: „Wir haben uns als Partner für die Entwicklung der Anwendung angeboten, da die Idee bereits von einem unserer Mitarbeiter forciert wurde. Der Einsatz bei uns hat einen Vorbildcharakter und wir freuen uns, dieses Projekt gemeinsam mit weiteren Stadtwerken weiterentwickeln zu können. Für unsere Mitarbeiter ist es zudem interessant, unter Einsatz der modernsten Technologie ihre Arbeitsprozesse weiterzuentwickeln“.
Die HoloLens2 hat in Europa noch Seltenheitswert. Die ersten Lieferungen sind auch für die US-Armee bestimmt, denn die sollen laut Adrian Dietrich gleich 100.000 Stück bestellt haben. Von dem Stadtwerke-Projekt zeigt sich der Head of Sales & Marketing von ZReality begeistert: „Bei den Osterholzer Stadtwerken können wir den ersten europäischen Anwendungsfall von Mixed Reality mit der neuen Brille von Microsoft testen. Sprechen wir von Anwendungen in der Energiebranche sogar weltweit.“
Viele Vorzeigeprojekte
aus Lilienthal
Jonny Siedenburg, der in den letzten Jahren wie mit der intelligenten Straßenbeleuchtung am Jan-Reiners-Weg, dem Netzausbau für die Linie 4, der neuen Melde-App für defekte Straßenlampen schon viele fortschrittliche Entwicklungen in Lilienthal mit begleitet hat, sieht auch das neue Projekt positiv: „Ich hätte nicht gedacht, dass das so realitätsbezogen ist.“ Und Projektleiter Marcel Klingenberg, der zwischendurch auch noch seine Meister-Prüfung erfolgreich absolviert hat, widmet sich mit Hingabe der laufenden Testphase und hält schon Ausschau nach weiteren Zukunftsthemen. „Ich bin begeistert und fasziniert, was wir mit der neuen Technologie umsetzen können.“