Vernebelte Verbotsforderungen
Nicholas Potter ist Redakteur bei taz zwei, gesundheitspolitisch aber eher auf Linie des Corona-Kabinetts, das zugunsten abstrakter Volksgesundheit und des Lebens als solchem wenig bis gar nicht auf das Individuum und sein kleines, persönliches Glück achtete. Das zumindest muss denken, wer seinen Kommentar zum Vorstoß der EU-Kommission, rauchfreie Zonen auszuweiten, in der taz gelesen hat. Raucher sind für Potter eine „kranke“ und „gefährliche“ Minderheit. Rauchen sei eine „Sucht“, die man nicht verharmlosen dürfe, sondern behandeln müsse. Zudem sei Rauchen „zutiefst unsolidarisch, ja, unlinks. Auch andere zahlen dafür den Preis.“ Jede Fluppe sei ein egoistischer Akt, Rauchen „eine individualistische Praxis, die das eigene Vergnügen über das kollektive Gemeinwohl stellt. Zigaretten sind schwelende Stäbe des Neoliberalismus, die von Deregulierung leben und ‚Big Tobacco‘ noch reicher machen.“ Darüber hinaus werden Arbeiter auf Tabakfeldern von ihrer Arbeit krank. Linke, denen das egal ist, seien heuchlerisch. Rauchen ist also richtig böse, rauchende Linke sind noch böser. Für Potter kann im Gegensatz zu den meisten in Technokellern und Wohngemeinschaften vor sich hinqualmenden Linken die „befreite Gesellschaft nur eine rauchfreie sein.“ Dass in einer befreiten Gesellschaft Menschen weniger rauchen, mag stimmen, werden doch alle anderen unterhaltsameren Genuss- und Rauschmittel von guter Qualität und umsonst sein. Nichtsdestotrotz sind Potters Gedanken zu Rauchen, Politik und Gesellschaft so vernebelt wie das Bremer Heartbreak Hotel um sieben Uhr morgens.
Hass auf arme Menschen
Je tiefer die Menschen in der gesellschaftlichen Hackordnung stehen, desto mehr rauchen sie. So liefert Potter neben Merz und Lindner den sich unwohl fühlenden Wohlsituierten eine weitere Rationalisierungsmöglichkeit für ihren Hass auf Arme: sie vergiften Menschen mit Krebs. Dank Potter kann man sie guten Gewissens, sieht man sie im gelb abgegrenzten Kippenkarree auf dem Bahnsteig nervös an ihrer Lunte ziehend, als rechte Schweine beschimpfen. Links ist das nicht, sofern diese geschichtlich fragwürdig gewordene politische Einordnung für ein Engagement für eine Gesellschaft ohne kapitalistische Ausbeutung und einen würdevollen Umgang der Menschen untereinander stehen soll. Ebenso wenig links ist Potters Bild einer befreiten Gesellschaft. Es ist vielmehr eine absolute Horrorvorstellung, sollen in Potters freier Gesellschaft die Individuen offenkundig nicht angstfrei und verschieden ihren Bedürfnissen nachkommen können, sondern sich nach Hitlers Parole: „Gemeinnutz vor Eigennutz“ - selbst beschneiden.
Das alles wird noch wunderlicher, bedenkt man, dass Potter mit „Judenhass Underground“ ein einigermaßen passables Buch zu Antisemitismus herausgebracht hat und entsprechend wissen müsste, dass die Unterordnung des individuellen Glücks unter die Gesundheit eines Kollektivs und das abstrakte, nicht individuierte Leben gefährlich ist. Potter ist zwar keiner der wahnhaften Volksfimmellinken, die mit Palilappen rumrennen und Israel zum Abschuss freigegeben sehen wollen. Aber sein Denken scheint nicht vom Wunsch durchdrungen zu sein, dass das Individuum sich von gesellschaftlicher Zurichtung befreit. Deshalb ist Potter den heuchlerischen Bekloppten, die stets von Solidarität reden, sie aber nicht begriffen haben, näher als er denkt. Er ist einer jener Linken, deren Bewusstsein so fragmentiert ist wie der Produktionsprozess eines VW Passats und die deshalb den ökonomischen Druck und den politisch forcierten gesellschaftlichen Rückschritt moralisierend verklären und mittragen statt ihn zu kritisieren.
Mittel bloßer Selbsterhaltung
Links hieß einst, radikale Fragen zu stellen und zwischen Begriff und Sache zu differenzieren. Im Bezug aufs Rauchen bzw. auf den Diskurs, der sich ums Rauchen dreht, bedeutet das zuallererst, sich auf einen vernünftigen Maßstab der Bewertung zu verständigen: Bei Potter scheint er das Funktionieren und die Gesundheit des Kollektivs zu sein, was in dieser Welt heißt, dass die Maschinerie der Arbeit gut geschmiert ist: Richtig und gut soll also sein, was das abstrakte Leben erhält und Profit abwirft. Es ist durchaus vernünftig, dass in einer Gesellschaft auf die Gesundheit der Menschen Rücksicht genommen wird. Aber maßvoll. Zum einen ist Gesundheitsförderung als ethisches Prinzip nur teilvernünftig, es darf nicht verabsolutiert werden. Was das bedeutet, hat die Coronapolitik gezeigt, deren Rigidität die Psyche vieler Kinder und Jugendlicher beschädigt hat. Zudem: Wenn die Gesundheitsförderung das absolute ethische Prinzip darstellen soll, warum dann z. B. nicht auch kurze Gesundheitschecks bei Konzerten einführen? Warum nicht weiter Corona- und Grippetests jeden Morgen in der Schule durchführen? Warum nicht jene, die gegen das Prinzip verstoßen, von der allgemeinen Krankenversicherung ausschließen? Raucher mit Krebs haben selber schuld. Das ist radikaler Neoliberalismus. Man sieht: Nicht nur würde die gesunde Gesellschaft eine autoritäre. Mit jenem Prinzip würden die Menschen zum bloßen und zu bevormundenden Mittel der Selbsterhaltung herabgesetzt, nicht als autonome Wesen mit Begehren betrachtet, die ein Leben haben und selbstbestimmt führen können sollten. Damit - und das zum anderen - affirmiert Kritik letztlich nur das Schicksal des Einzelnen in unseren Produktionsverhältnissen, die den naturhaften Zwang der Menschen, sich erhalten zu müssen, ausbeuten, anstatt es zu kritisieren und für eine Gesellschaft streiten, die so organisiert ist, dass der Druck der Selbsterhaltung kaum spürbar ist. Nicht der Glimmstengel, sondern Potters Kritik wie der Vorstoß der EU, Rauchen ganz aus der Öffentlichkeit zu verbannen, sind neoliberal. Rauchen - als ein Unterbrechungsritual - bietet dagegen kleine Ausbrüche aus dem Rad der Selbst- und Fremdausbeutung. Ich kenne Kitamitarbeiterinnen, die erst bei der Arbeit angefangen haben zu rauchen, um mal kurz zwischendurch Pause machen zu können.
Schöne Raucher und glückliche Passivraucher
Der Maßstab der Kritik - auch in Fragen der Gesundheit - hätte das autonome Individuum zu sein. Um dann schließlich zu fragen, warum und wozu die Menschen rauchen. Ähnlich wie es die psychoanalytische Mittwochsgesellschaft um Freud tat oder wie der Kulturtheoretiker Robert Pfaller es heute tut. Sie begreifen Rauchen als Symptom, aus dem - unter dem Joch allgemeiner Lustfeindlichkeit - Lust gezogen wird - unter anderem als „Todeswunsch gegen die Introjekte“ (der zur psychischen Instanz gewordene Vater oder dessen Ersatz: die Gesellschaft) oder als „Ich-Stütze“. Dann könnte man auch erkennen, warum Menschen rauchen, obwohl sie wissen, dass es schädlich ist. Und man wäre zurückhaltender mit Verbotsforderungen. Denn Symptome zu unterdrücken macht nämlich wirklich krank und erzeugt nicht selten irrationale Gegenwehr. Man begriffe zudem, dass nicht jeder Raucher ein kaputtes, krankes Opfer seiner Sucht ist und nicht alle Passivraucher Raucher aus der Öffentlichkeit verbannen wollen. Es gibt auch glückliche Passivraucher. Ich bin zum Beispiel einer. Natürlich sollte man nicht romantisieren und bei Rauchern nur an den Glamour und die Erotik rauchender Frauen und Männer z.B. aus den 20er und 30er Jahren oder bei Sex and the City denken. Es gibt jene, die sich in ihrer Wohnung krankhaft kaputt rauchen, Schwangere und Eltern, die quarzen ohne Rücksicht auf die Gesundheit ihrer Kinder; jene, deren Tabakkonsum die qualmende Affirmation ihres glücklosen Lebens ist. Aber: Die Differenzierung unter den Nichtrauchern wie die Bilder des Glamours sind keine bloße Nuance. Sie stellen einen Unterschied ums Ganze dar. Dass jene Bilder von rauchenden Menschen aus vergangenen Zeiten und in der Serie Sex and the City Glamour, Erotik und Schönheit transportieren, liegt nicht nur daran, dass die Menschen unheimlich gut aussehen und Rauchen aufgrund der Mundregion, in der es stattfindet, und der Hände, die die Zigarette sanft führen, etwas Intimes exhibitionistisch performt. Es liegt auch daran, dass jene Bilder unsere durch Arbeits-und Gesundheitswahn verdrängte Sehnsucht nach einem leichten, erfüllten Leben ansprechen, indem sie Raucher mit Nichtrauchern zeigen, die glücklich und lustvoll zusammen sitzen oder feiern. Also Menschen mit gegensätzlichen Bedürfnissen präsentieren, die eine gute Zeit haben und sich nicht - wie es heute gang und gäbe ist - über ihren Gegensatz zerlegen. Die Bilder drücken verführerische Schönheit aus, weil die gezeigten Menschen ausschnitthaft eine freie Gesellschaft vorleben, in der verschiedene Lüste die Menschen nicht voneinander separieren, sondern die Individuen bereichern. Egal, ob die Lust des anderen schädlich ist oder nicht. Denn sie wissen: Arbeiten ist auch nicht gesund. Wird aber jeder zu gezwungen.
Selbstsüchtiger Alltruismus
Kritik, die an einer guten, freien Gesellschaft orientiert ist, sollte sich also mit gesellschaftlich bedingten Konflikten auf individueller Ebene auseinandersetzen und wie diese sich in Lüsten ausdrücken, statt Verbote zu fordern. Das ist nicht nur eine Solidarität der Kritik mit den Menschen unter Verhältnissen, die sie erniedrigen. Solche Kritik, die autonome Wesen mit ihren Lüsten anspricht, hält auch die Möglichkeit einer solidarischen Gesellschaft aufrecht, in der sich die Menschen am noch so kleinen Glück der anderen erfreuen. Im Bezug aufs Rauchen heißt das, in der Kritik daran festzuhalten, dass die Menschen es in der Praxis unter sich regeln können, wie, wo und wann geraucht werden kann. Jene aber, die von der Autonomie, der Lust und den psychischen Konflikten der Individuen nichts wissen wollen, sondern stattdessen harsch mit Verboten auf die Gesundheit des Kollektivs setzen, haben nicht nur den Glauben an das freie Individuum und die Solidarität aufgegeben, von der sie reden. Sie befeuern auch die Regression der Gesellschaft zu einer autoritären Gemeinschaft, in der alles vom Kollektiv Abweichende entfernt werden muss. Ihr Altruismus zielt nicht - wie Oscar Wilde es bereits erkannte - auf eine freie Gesellschaft, in der Menschen von anderen unbehelligt ihr Leben führen können, sondern auf "die Uniformität des Typus" und ist selbstsüchtig, weil er andere zu dazu zwingen will, "so zu leben, wie man es sich wünscht". Solche Linke hatte die Geschichte bereits genug.
überarbeitete Version, 1. Oktober 2024.