Jörg Monsees

Tempo runter, Ärger rauf

Tempolimits bewegen die Menschen in vielerlei Hinsicht: Werden sie geändert - das heißt: reduziert -, folgen meist hitzige Diskussionen. Das gilt auch für die Region.

Bild: Adobestock

In Osterholz-Scharmbeck gilt auf mehreren zentralen Straßen seit Anfang September ein erweitertes Tempolimit. Die Stadtverwaltung hat die Tempo-30-Regelungen in mehreren Bereichen ausgeweitet oder zeitlich entfristet. So reicht die Beschränkung auf der Poststraße nun weiter über die Koppelstraße und die Stader Landstraße bis zum Kreisel an der Käthe-Kollwitz-Straße. Auch auf der Loger Straße und der Ritterhuder Straße gilt künftig dauerhaft Tempo 30 – zuvor war die Begrenzung dort nur im Umfeld von Gymnasium und Kita zeitlich eingeschränkt. Auf der Rübhofstraße müssen Autofahrer nun bis zur Hohenfelder Straße abbremsen. Im Stadtteil Pennigbüttel wurde die Zone, die sich bislang auf den Bereich rund um die Grundschule beschränkte, bis zur Einmündung der Straße Auf dem Brink verlängert.

 

CDU hält dagegen

Die CDU-Fraktion im Stadtrat hat diese Ausweitung der Tempo-30-Zonen in Osterholz-Scharmbeck scharf kritisiert. Fraktionschefin Marie Jordan sprach in einer Mitteilung von einer „Gängelung“, die das Verständnis vieler Verkehrsteilnehmer für Geschwindigkeitsbegrenzungen untergrabe. Autofahrer hätten grundsätzlich Verständnis, vor Schulen, Kitas oder Altenheimen zu Stoßzeiten langsamer zu fahren, betonte Jordan. „Nachvollziehbar und sinnvoll“ seien daher zeitlich beschränkte Regelungen an besonderen Gefahrenstellen. Dass aber die zeitlichen Einschränkungen aufgehoben und die Zonen teilweise erheblich verlängert worden seien, stoße auf Unverständnis. „Ein Pendler, der morgens um vier Uhr durch die menschenleere Stadt fährt, fragt sich zurecht, warum er nunmehr alle paar Meter abbremsen soll“, so Jordan.

Zusammen mit ihrem Fraktionskollegen Ulrich Messerschmidt hat Jordan deshalb einen Antrag an Bürgermeister Torsten Rohde gestellt. Darin fordert die CDU-Fraktion Auskunft über die rechtlichen Grundlagen und die Gründe für die jüngsten Ausweitungen. Konkret bezieht sich der Antrag unter anderem auf die Verlängerung der Tempo-30-Zonen an der Rübhofstraße bis zur Hohenfelder Straße sowie in Pennigbüttel bis zur Straße Auf dem Brink. Auch die Ausdehnung in der Koppelstraße wird von den Christdemokraten infrage gestellt.

 

Bürgerfraktion übt Kritik

Aus der gemeinsamen Ratsgruppe von Bürgerfraktion und FDP kommt ebenfalls deutliche Kritik an den neuen Regelungen. Wilfried Pallasch zeigte sich „überrascht“ vom Vorgehen der Verwaltung. Zwar sei Tempo 30 in geschlossenen Siedlungsbereichen „inzwischen selbstverständlich“, erklärte er, in einer Stadt müsse es jedoch auch Verkehrsadern geben, die den Durchgangsverkehr aufnehmen. Ausnahmen vom Tempo 50 seien nur dort sinnvoll, wo ein „besonders schutzwürdiger Personenkreis“ betroffen sei – etwa vor Schulen, Kitas oder Seniorenheimen. Auch Lärmschutz könne ein Argument sein. Als positives Beispiel verwies Pallasch auf den Straßenzug in Alt-Osterholz, wo wegen Schule, Kitas und enger Kurven eine durchgehende Begrenzung nachvollziehbar sei.

Die aktuelle Entwicklung hingegen sei problematisch. „Wir erleben, dass immer mehr Vorfahrtsstraßen nur noch mit Tempo 30 befahren werden dürfen“, sagte Pallasch. Während in klassischen Tempo-30-Zonen automatisch „Rechts vor Links“ gelte, blieben auf den nun betroffenen Straßen die Vorfahrtsregelungen bestehen. Anstatt für Übersichtlichkeit zu sorgen, entstehe so „Unsicherheit und Frust“. Die Bürgerfraktion möchte ebenfalls Auskunft über die rechtlichen Voraussetzungen der Tempolimits einholen: Sie bereite eine öffentliche Veranstaltung vor, zu der auch Erster Stadtrat Torsten Hass eingeladen werden soll, um die bundesweite Rechtslage zu erläutern.

 

Zustimmung von Grünen, SPD und Linken

Rückendeckung für die neuen Geschwindigkeitsregeln kommt von den Grünen. Fraktionsvorsitzende und stellvertretende Bürgermeisterin Brigitte Neuner-Krämer betonte in einer Mitteilung die Vorteile von Tempo 30 für Sicherheit, Gesundheit und Lebensqualität. Studien zeigten, dass das Unfallrisiko bei Tempo 30 drastisch sinke und sich der Anhalteweg im Vergleich zu Tempo 50 fast halbiere. Auch der Verkehrslärm nehme spürbar ab, was Stress mindere und die Aufenthaltsqualität steigere. Gemeinsam mit der SPD setzten sich die Grünen seit Jahren für sichere Schulwege und eine einheitliche Verkehrsführung ein. „Tempo 30 rettet Leben, schützt die Gesundheit und macht unsere Stadt lebenswerter“, so Neuner-Krämer.

Auch die SPD-Fraktion im Stadtrat stellt sich klar hinter die jüngsten Maßnahmen. Werner Schauer sprach von einer verantwortungsvollen Umsetzung der novellierten Straßenverkehrsordnung durch die Verwaltung. Die Ausweitung sei aus Gründen der Gefahrenprävention nachvollziehbar – etwa am Zebrastreifen in der Rübhofstraße oder beim Lückenschluss zwischen den bestehenden Tempo-30-Abschnitten an Loger und Ritterhuder Straße mit Schulen und Kita. Auch an steilen Abschnitten wie der Koppelstraße oder der Straße Im Dorfe erhöhe die Regelung die Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer. Die Kritik der CDU bezeichnete Schauer als „dem beginnenden Kommunalwahlkampf geschuldet“. Zugleich regte er an, dass die Stadtverwaltung künftig früher und umfassender über geplante Maßnahmen informieren solle.

Die Linke unterstützt die Ausweitung der Tempolimits grundsätzlich. Fraktionschef Herbert Behrens betonte, dass Kommunen am besten wüssten, wo niedrigere Geschwindigkeiten sinnvoll seien. Entscheidungen müssten jedoch transparent und nachvollziehbar vermittelt werden – die jüngste Erweiterung habe viele überrascht. Zugleich plädierte Behrens für einen grundsätzlichen Wechsel: „Es ist sinnvoll, die Regelgeschwindigkeit in geschlossenen Ortschaften auf 30 km/h zu reduzieren. Dort, wo schneller gefahren werden kann, kann Tempo 50 angeordnet werden.“ Bis dahin wolle die Linke weiter Überzeugungsarbeit leisten – stets mit dem Blick auf die schwächsten Verkehrsteilnehmer.

 

Weniger Streit in Bremervörde

In Bremervörde wird aktuell weniger heiß diskutiert, doch auch hier werden die Verkehrsregeln auf einigen Strecken angepasst. Wie Stadtsprecherin Marina Imbusch mitteilte, wurde zuletzt die bestehende Tempo-30-Zone „südlich der Bergstraße“ auf die Bergstraße selbst sowie den nördlichen Teil des Grünen Wegs ausgeweitet. Bereits zuvor war am Birkenweg – insbesondere im Umfeld der Schulen – zeitweise Tempo 30 eingeführt worden, um die Verkehrssicherheit zu erhöhen. Die im Lärmaktionsplan 2024 vorgeschlagenen Begrenzungen auf den Bundesstraßen 71 und 74 betreffen hingegen nicht die Stadt, sondern liegen in der Verantwortung der Verkehrsbehörde des Landkreises Rotenburg.

Beim Thema Tempolimits müsse es nicht zwangsläufig parteipolitische Unterschiede geben, meint CDU-Fraktionsvorsitzender Dirk-Frederik Stelling. Die Geschwindigkeitsbegrenzung in der Bergstraße sei ein gutes Beispiel: „Dabei herrschte parteiübergreifend Einigkeit, auch die Verwaltung hat sich der Forderung nach Tempo 30 angeschlossen“, so Stelling. „Die dazu initiierte Unterschriftenaktion wurde von unserem CDU-Stadtratskollegen Hayrullah Barunduk angestoßen.“ Grundsätzlich sollten solche Fragen immer pragmatisch und einzelfallbezogen behandelt werden, sagt Stelling weiter.

 

„Lebenswerte Städte“ sieht Teilerfolg

Uneinig waren sich die Fraktionen im Bremervörder Stadtrat hingegen, ob die Stadt der Initiative „Lebenswerte Städte“ beitreten solle. Das Bündnis forderte die Bundesregierung auf, Kommunen mehr Spielraum bei der Anordnung von Tempolimits zu geben. Die Bremervörder Grünen wollten einen Beitritt beantragen, zogen ihren Antrag - der kaum Erfolgsaussichten hatte - aber letztlich zurück. Osterholz-Scharmbeck ist Mitglied der Initiative.

Mit der Novellierung der Straßenverkehrsordnung im letzten Jahr wurden die Vorschriften für Tempolimits gelockert. In bestimmten Bereichen wie hochfrequentierten Schulwegen dürfen Kommunen seitdem auch ohne eine Gefahrenprognose die zulässige Höchstgeschwindigkeit senken. Die Gesetzesänderung war auch die Grundlage für die ausgeweiteten Tempolimits in Osterholz-Scharmbeck. Die Initiative Lebenswerte Städte wertet die Reform der Verkehrsordnung als Teilerfolg - auch wenn sie sich noch mehr Flexibilität gewünscht hätte.

„Aus polizeilicher Sicht werden diese Reduzierungen begrüßt, da dadurch die Verkehrssicherheit generell gesteigert werden kann“, sagt Fenja Land, Sprecherin der Polizeiinspektion Verden Osterholz. Noch könne man die Wirkung der neuen Tempolimits in der Unfallstatistik nicht nachweisen - sie gelten noch nicht lange genug. Sie rechne aber mit besseren Zahlen in der Zukunft: „Grundsätzlich darf erwartet werden, dass sich die Maßnahmen positiv auf die Unfalllage und damit auf die Verkehrssicherheit auswirken werden.“

 

Bürger sind verärgert

Unverständnis zeigen unterdessen die Bürger der Stadt Osterholz-Scharmbeck - jedenfalls diejenigen, die sich in Leserbriefen zum Thema äußern. Hans-Hermann Hattendorf warnt, die Akzeptanz für Tempo 30 schwinde: „Die Akzeptanz, die bisher vorhanden war, weil diese Einschränkungen jeweils einen überschaubaren Bereich von Kitas und Schulen umfassten, geht verloren.“ Er empfiehlt, die Ausweitung zurückzunehmen, um die Einhaltung der Regeln dort zu sichern, wo sie wirklich notwendig sei.

Thomas Nolte wiederum kritisiert die Maßnahme grundsätzlich: „Mal ehrlich – ist Tempo 30 die einzige Vision der Verkehrsplanung, die Antwort auf Klimawandel, miese Straßen, Lärmbelastung und schlechte Laune?“ Mancherorts - etwa in großen Städten - seien Tempolimits sinnvoll, findet er. „Wir leben hier aber auf dem Lande, auch wenn man das im Rathaus anders sehen mag. Den Individualverkehr zu vergrämen macht nur Sinn, wenn es alternativ ein vitales Netz an Öffies gibt.“ Alles mit dem Rad zu erledigen, sei hier kaum möglich. Nolte hält die Regelungen für unlogisch, da ein „30er Flickenteppich entflechtet werden soll, man aber damit gleichzeitig ein 50er Flickwerk erzeugt“.


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