Benjamin Moldenhauer

Stiller Ort, laute Gefühle

Benjamin Moldenhauer nimmt den Tag des Friedhofs am 21. September zum Anlass, die Rolle der letzten Ruhestätte in der Pop-Musik zu beleuchten.
Der Friedhof ist ein zentrales Motiv in der Pop-Musik.

Der Friedhof ist ein zentrales Motiv in der Pop-Musik.

Bild: Adobestock

Auf Friedhöfen ist es still. Die Luft, wenn nicht gerade Hochsommer ist, ist kühl und weich, keiner labert oder lärmt anderweitig. Ein Ort, der der Welt graduell enthoben zu sein scheint. Das Ruheabteil haben wir schon an die Lärmenden und die krakeelenden Junggesellenabschiede verloren. Der Friedhof bleibt, als einer der letzten Orte der Einkehr und der Kontemplation.

Auch im Pop ist der Friedhof ein besonderer Ort. Einer, der nicht nur die Trauer um die Verstorbenen, sondern auch einer der Weltabgewandtheit und Anderssein symbolisiert. Ein Ort, an dem das lyrische Ich die eigene Entfremdung in Gesellschaft der Toten zelebrieren kann. Und damit also ein Ort des Trostes.

In dem Stück „Nur zu Besuch“ der bekannten Deutschrockband Die Toten Hosen besucht das lyrische Ich das Grab einer Verstorbenen. Das Stück ist musikalisch langweilig und der Text vorhersehbar langweilig. Es eignet sich hier als Aufschlag, weil das erste Merkmal des Friedhofs, der in Popsongs besucht wird, sein einladender Charakter ist. Ein Ort, an den man gerne gehen möchte:

 

Immer wenn ich dich besuch‘, fühl‘ ich mich grenzenlos

Alles andere ist von hier aus so weit weg

Ich mag die Ruhe hier zwischen all den Bäumen

Als ob es den Frieden auf Erden wirklich gibt

 

Ähnlich auch bei Reinhard Mey im Lied „Friedhof“: „Ich geh‘ gern in einer fremden Stadt auf den Friedhof, so ein Friedhof hat etwas Gastfreundliches und steht allen offen / Manchem nur für seine Mittagszeit / Manchem für die ganze Ewigkeit“.

In den Songs von weniger harmonieseligerer Künstlerinnen und Künstlern ist der Friedhof aber nicht einfach ein Ort der Behaglichkeit, sondern der Auseinandersetzung mit der Welt, die gerade deswegen so intensiv wirken kann, weil sie auf dem Friedhof weitgehend abwesend ist. Dazu gleich mehr.

Vorher aber noch zwei Songs, in denen der Friedhof als Ort der Trauer um verstorbene Familienangehörige besungen wird. Im Song „The Funeral Party“ der Band The Cure, der schon soundästhetisch so klingt, als würde er aus dem Limbo zu uns hinüberwehen, besingt Robert Smith seine kurz zuvor verstorbenen Großeltern, mit einem der traurigsten Grabgesänge in der Geschichte der Popkultur: „Two pale figures ache in silence / Timeless in the quiet ground / Side by side in age and sadness“.

John Darnielle, Autor, Gitarrist und Sänger der Mountain Goats, der Band mit den komplexesten und sozusagen literarischsten Texten im US-Singer/Songwritertum, beschreibt im Song „Crow“ einen Besuch an der Stelle, an der bis vor Kurzem das Grab seiner Großmutter zu finden war:

 

Well I went way out North Carolina way

To that old graveyard where my great grandmother lay

And the day was bright and I hadn‘t slept all night

And they sold the place to some guys who were building graduate student housing

 

Hier verbindet sich die individuelle Trauer schon mit einem in der Anlage bereits umfassenderen Weltekel angesichts der Kommerzialisierung und Zerstörung von Orten, die eigentlich heilig sein sollten und stattdessen profanen Profitinteressen zum Opfer fallen:

 

No one raised any objections

They were knocking the headstones down

And the sun was high when I rolled into town

Stood by a nameless hole in the ground

The air was sweet and hot

Maybe it was the right grave

Maybe not

 

In „Crow“ ist der Friedhof derselben Verwertungs- und Verwurstungsmaschinerie unterworfen wie die übrige Welt sonst. Öfter aber fungiert er in der Alltagsmythologie und damit auch im Pop als Ort, an dem alles Gesellschaftliche aufgelöst wird. Und damit, so wollen es die Mythen des Alltags, alles Oberflächliche. In Ozzy Osbournes „Under the Graveyard“ wird der Tod als großer Gleichmacher gemalt, und die Vorstellung, dass am Ende alles egal ist, erfüllt das von diversen Sünden offensichtlich schwer geplagte lyrische Ich mit Todessehnsucht und Frieden:

 

Under the graveyard

We‘re all rotting bones

Everything you are

Can‘t take it when you go

I ain‘t livin‘ this lie no more

Ain‘t livin‘ this lie no more

It‘s cold in the graveyard

We all die alone

 

Eher subkutan, wenn überhaupt, wirkt die Todessehnsucht in „Cemetery Gates“ von The Smiths. Der Song ist einerseits besonders, da er das Friedhofsszenario, wenn auch etwas ironisch, mit beschwingter Musik verbindet. Exemplarisch ist hier, dass das Bild des Friedhofs eng verbunden ist mit romantisierter Entfremdung und glamourösem Außenseitertum. Gemeinsam mit einem Freund oder einer Freundin wandert Morrissey über einen Friedhof, beide haben ihre literarischen Hausgötter im Gepäck: „Keats and Yeats are on your side / While Wilde is on mine“. Die beiden wandern über den Friedhof, lesen die Grabsteine und kommen ins Räsonieren:

 

So we go inside and we gravely read the stones

All those people, all those lives

Where are they now?

With-a loves and hates and passions just like mine

They were born, and then they lived

And then they died

Seems so unfair, I want to cry

 

Die Begleitung antwortet mit einem Shakespeare-Zitat („Ere thrice the sun done salutation to the dawn“; aber auch das „All those people“-Zitat ist entlehnt aus dem Film „The Man Who Came To Dinner“). Morrissey, selbst ein großer Ausborger und Plagiator, wird moralisch: „If you must write prose and poems / The words you use should be your own / Don‘t plagiarise or take on loan“.

Und der Refrain wird dann von zwei programmatischen Zeilen gebildet, die für alle Friedhofssongs im Pop gelten können, von The Cure über Ozzy Osbourne bis zu The Smiths: „A dreaded sunny day / So let‘s go where we‘re happy / And I meet you at the cemetery gates“.


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