Patrick Viol

Kriegt die Welt die grüne Kurve?

Seit vergangenem Sonntag sind 30.000 Menschen in Glasgow auf der UN-Klimakonferenz versammelt, um Auswege aus der Klimakrise zu finden. Kritische Beobachter:innen aus der Region sind skeptisch, ob ihnen das gelingt.

Bild: dobestock/sveta

Aus großer Macht folgt große Verantwortung - so die berühmte Formulierung des Comic Künstlers Stan Lee, die er als Leitspruch für seine Figur Spiderman wählte.
Schaut man dieser Tage nach Glasgow, zur UN-Klimakonferenz, die am Sonntag startete, lässt sich mit einigem Recht formulieren: Aus großer Macht folgt zunächst eine Aneinanderreihung großer Worte und dunkler Sprachbilder: Es sei eine Minute vor zwölf, heißt es z. B. vom gastgebenden englischen Premierminister Boris Johnson. Konkret, was das heißen soll, machen es Vertreter:innen der ärmeren Staaten, wie z. B. die Regierungschefin von Barbados, Mia Mottley: „Zwei Grad ist ein Todesurteil für die Menschen von Antigua und Barbados, für die Malediven, die der Dominikanischen Republik und der Fidschi-Inseln.“ Denn in der Tat sind es solche Inselstaaten, die durch die weitere Erderwärmung von der Landkarte zu verschwinden drohen. Wie insgesamt bereits jetzt, da sich die Erde im Vergleich zu vorindustriellen Verhältnissen bereits um etwa 1,2 Grad Celsius erhitzt hat, die Länder der Südhalbkugel die Wucht des Klimawandels zu spüren bekommen. Es schmelzen die Eiskappen in der Arktis und auf den Gebirgen, die Ozeane leiden. Sie nehmen bislang noch 20 bis 30 Prozent des menschengemachten zusätzlichen Co2 auf, das steigert aber ihren chemischen Säuregrad - zusammen mit dem wärmeren Wasser ist das ein großes Problem für Korallen und andere Lebewesen im Ozean.
 
Co2-Rekordhöhen und gebrochene Versprechen
 
Dass sich diese Entwicklung nicht verschlimmert und Inselstaaten nicht im Meer versinken, hängt davon ab, ob die mächtigen Industriestaaten Verantwortung übernehmen und verbindliche Abkommen zur effektiven Reduktion der Treibhausgasemissionen im Sinne des Pariser Abkommens schließen. Und sie auch umsetzen. Damals, 2015, hatten die Staaten der Welt vereinbart, den Temperaturanstieg möglichst auf 1,5 Grad zu begrenzen. Doch statt zu sinken, ist der weltweite Ausstoß von Treibhausgasen seither weiter gestiegen. Im vergangenen Jahr erreichte ihre Konzentration in der Atmosphäre erneut Rekordhöhen.
Derzeit emittieren die Länder laut Umweltprogramm der Vereinten Nationen über 50 Milliarden Tonnen pro Jahr. Um die in Paris vereinbarte 1,5-Grad-Grenze nicht zu überschreiten, müssten die weltweiten Treibhausgasemissionen bis 2030 um 30 Milliarden Tonnen im Jahr gesenkt werden.
Mit den bisher bei der Uno eingereichten Klimaplänen komme die Weltgemeinschaft aber gerade mal auf eine jährliche Einsparung von fünf Milliarden Tonnen, wie der aktuelle Uno-Bericht darlegt.
Aber nicht nur enttäuschen die schlechten Fortschritte bei der Co2-Reduktion das Pariser Abkommen. Auch haben die ärmeren Länder die von den Industriestaaten zur Unterstützung beim Kampf gegen den Klimawandel versprochenen 100 Milliarden Dollar noch nicht ganz erhalten. Es fehlen noch weitere 20. Die kommen aber wohl erst 2023, drei Jahre zu spät.
 
Skeptische Blicke aus der Region
 
Deswegen kommt der Klimakonferenz in Glasgow so eine große Bedeutung zu: Die ärmeren Länder, aber auch Klimaaktivist:innen auf der ganzen Welt hoffen, dass dort das Ruder noch in Richtung Klimaneutralität bis 2050 rumgerissen wird. Ein kleiner Schritt wurde bereits getan: Mehr als 100 Staaten haben sich verpflichtet, die Zerstörung von Wäldern bis 2030 zu stoppen.
Gespannt nach Glasgow schauen auch Lena Gumnior, die bei der Bundestagswahl für die Grünen im Wahlkreis Verden Osterholz antrat, Nils Bassen, der Vorsitzende der SPD im Landkreis Rotenburg, Stefan Klingbeil, der Vorsitzende der Linken im Rotenburger Kreisverband und Dr. Hans-Gerhard Kulp von der BUND-Kreisgruppe Osterholz.
In Anbetracht der bisherigen Einigungen, dass der Methanausstoß schnell reduziert, die Entwaldung bis 2030 gestoppt werden soll und alle Staaten zumindest ein Ziel für Klimaneutralität abgegeben haben, zeigt sich für Nils Bassen „dass sich kaum noch Länder dem Kampf gegen die Klimakrise entziehen können.“ Und diese Unmöglichkeit, sich zu entziehen, biete zugleich die Möglichkeit, einen Klimaclub, wie Olaf Scholz ihn vorschlägt, zu initiieren, so Bassen. Um der „internationalen Klimapolitik Schwung zu geben.“ Handlung sei gefordert.
Gumnior wertet die bisherigen Einigungen zwar auch als ein positives Signal. Gleichzeitig bezweifle sie angesichts der Beschlüsse der Vergangenheit aber auch, dass die „viel beschworene ‚letzte Chance‘ ergriffen wird.“ Solange Klimapolitik weiter auf freiwilligen Maßnahmen und Selbstverpflichtungen beruhe, werde es nicht gelingen, die Erderwärmung zu begrenzen. Es brauche verbindliche Klimaschutzmaßnahmen. Die erhofft sich Gumnior übrigens auch von der neuen Bundesregierung. Denn sie sei die letzte, die die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels sicherstellen könne.
Auch Stefan Klingbeil bleibt skeptisch. „Schon vor mehr als zehn Jahren wurde ein Abholzungsstopp unterzeichnet, es ist lächerlich, was dabei herauskam. Manch eine präsidiale Unterschrift ist rein gar nichts wert.“ Das sehen auch Kritiker in Glasgow so: Ein Entwaldungsstopp bis 2030 hieße letztlich doch, dass noch ein weiteres Jahrzent Wälder zerstört werden, die die Welt dringend braucht.
Entsprechend fordert auch Klingbeil ordnungspolitische Vereinbarungen und hofft, dass Klimagerechtigkeitsbewegungen den Druck darauf verstärken.
Hans-Gerhard Kulp sieht beim Klimaschutz nicht nur nach Glasgow, sondern sieht auch eine Verantwortung beim Einzelnen: „Weniger Fleisch essen, Gas- oder Ölheizung durch Wärme aus erneuerbarer Energie ersetzen, langlebige Produkte nutzen, wenn es geht, auch weniger Auto fahren.“ Und die lokale Politik müsse sich um die Moorböden kümmern.


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