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Patrick Viol

Kommentar: Gewinne, Gewinne, Gewinne

Eine Renationalisierung von Lieferketten ist keine gute Lehre aus dem derzeitigen „Weltmarktsungewitter“, findet Patrick Viol .
Internationale Lieferketten bilden die reelle Grundlage der Möglichkeit eines international verbindlichen Klimaschutzes. (Bild: Moholy-Nagy, A19, 1927, wiki commons)

Internationale Lieferketten bilden die reelle Grundlage der Möglichkeit eines international verbindlichen Klimaschutzes. (Bild: Moholy-Nagy, A19, 1927, wiki commons)

Die weltberühmten Sätze von Karl Marx und Friedrich Engels: „Die Proletarier dieser Welt haben nichts zu verlieren als ihre Ketten. Sie haben eine Welt zu gewinnen“ haben eine Voraussetzung im Denken der beiden Gesellschaftskritiker. Es ist die den Begriff der Aufklärung bestimmende Forderung, dass die Menschen sich von nichts beherrschen lassen sollen, das sie nicht vernünftig - das heißt in sich widerspruchsfrei - mit den Mitteln des Verstandes durchdenken können.
Gott wäre ein Beispiel bei Kant, das weltumspannende Kapital ist es bei Marx und Engels. Wie der Begriff Gottes sich stets in logische Widersprüche verstrickt, so sei auch das Kapital - nicht als ein Haufen Geld, sondern als ein gesellschaftliches Verhältnis, in dem alle dazu gezwungen sind, Arbeitskraft und Waren gegen Geld zu tauschen - in sich widersprüchlich. Der grundsätzliche Widerspruch des Kapitals sei, dass es einerseits auf differenzierter, weltweiter Arbeitsteilung, also auf gegenseitiger internationaler Abhängigkeit beruhe. Aber andrerseits steht dieser objektiven Vergesellschaftung der Arbeit und Produktion gegenüber, dass Aneignung und Verfügung über die Produkte und Produktionsmittel privat und ohne eine übergreifende gesellschaftliche Planung und Steuerung erfolgten. Einfach gesagt: Während die Produktion einerseits weltweit gemeinsam läuft, muss andrerseits jede:r Einzelne und jedes Unternehmen für sich in Konkurrenz mit anderen, mit unterschiedlichen Mitteln und ohne Einsicht in die Erfolgs- oder Verlustbedingungen auf dem Weltmarkt versuchen, in diesem Weltprozess zu bestehen.
Interessant an den derzeitigen Diskussionen über Rohstoffmangel und Lieferengpässe: über das derzeitige „Weltmarktsungewitter“ (Marx) ist, dass zwar alle über die allgemeine Abhängigkeit schimpfen, niemand aber eine fehlende Kooperation, Planung und Steuerung der weltweiten Produktion beklagt. Das ist nicht nur im aufklärerischen Sinne widervernünftig und gleichzeitig verwunderlich, weil wir doch sonst für alles - von der Ernährung bis zur Beerdigung - einen Plan haben wollen. Es wäre auch durchaus angebracht: Denn die durch Corona und schlechte Witterungsbedingungen verursachte ‚Mangelwirtschaft‘ wird ja zum einen durch die notwendige Kurzsicht von Unternehmen verschärft. Also dadurch, dass sie auf ihr ökonomisches Bestehen, nicht auf menschliche Bedürfnisse schauen müssen. Was dazu führen kann, dass halt die Produktion von Dingen heruntergefahren wird, obwohl sie gebraucht werden. Zum anderen wird die derzeitige Lage durch nationalstaatliche Konkurrenzkämpfe verschärft, die - wie die unternehmerische Kurzsicht - Resultat wie Bedingung des Systems privater Aneignung ist.
Statt kooperative Planung und Herrschaft über die Dinge zu fordern, will man dem besten Resultat des Kapitals: der weltweit aufgespannten Produktion, also der materiellen Grundlage der Menschheit, den Rücken kehren und Lieferketten wieder ins eigene Land holen. Meistens mit dem Argument, das schone das Klima. So heißt es im z. B. im Spiegel, es bestehe die Möglichkeit für eine „weniger globale und effiziente, dafür aber klimafreundlichere Wirtschaft“. Dabei heißt es richtigerweise doch auch, effektiver Klimaschutz könne nur durch internationale Kooperation gelingen. Deren Grundlage wäre aber die internationale Verzweigung der Produktion. Entflechtet man sie und bezöge Rohstoffe und Vorprodukte nur vor Ort, warum sollten Staaten dann internationale klimafreundliche oder arbeitsrechtliche Standards bei ihrem Abbau und ihrer Herstellung eingehen und einhalten? Vor allem dann, wenn sie zu Nachteilen in der internationalen Konkurrenz führen? Ohne Abhängigkeit kein Druckmittel. Und was machen jene Länder, deren Rohstoffvorkommen in den letzten Jahrzenten von anderen geplündert wurden?
Marx und Engels haben sich offensichtlich nicht ausdenken können, dass es nationale Lieferketten sind und nicht die Welt, die die Menschen nicht verlieren wollen; dass sie unter dem Druck des Kapitals, nicht eine Welt zu gewinnen, sondern nur noch Gewinne zu erstreben sich vorstellen können.
 
Lesen Sie hier weiter zu den Hintergründen und hier zu den lokalen Auswirkungen.


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