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Petra Falb

Impfstoffe haben keine „Spätfolgen“

Die Medizinerin Petra Falb erklärt, warum es bei Impfstoffen zwar sehr seltene Nebenwirkungen, aber keine sogenanten Langzeitschäden gibt.
Langzeitdaten brauchen wir nicht, weil Nebenwirkungen so lange nach einer Impfung auftreten können, sondern weil es lange braucht, um ausreichend Menschen zu impfen, um sehr seltene Nebenwirkungen überhaupt erkennen zu können. Das verlief bei den Covid-Impfstoffen aber anders.  Bild: adobestock/weyo

Langzeitdaten brauchen wir nicht, weil Nebenwirkungen so lange nach einer Impfung auftreten können, sondern weil es lange braucht, um ausreichend Menschen zu impfen, um sehr seltene Nebenwirkungen überhaupt erkennen zu können. Das verlief bei den Covid-Impfstoffen aber anders. Bild: adobestock/weyo

„Aber wir haben überhaupt keine Langzeitdaten für diese neuen Impfstoffe! Da kann man ja keine Spätfolgen abschätzen!“, heißt es dieser Tage oft, wenn man seine Skepsis an der Covid-Impfung ausdrücken möchte. In ihrem Gastbeitrag erklärt Medizinerin Petra Falb, warum es bei Impfstoffen zwar sehr seltene Nebenwirkungen, aber keine „Spätfolgen“ gibt.
In erster Linie ist es wichtig zu wissen: Impfstoffe haben eine gänzlich andere Wirkungsweise als die sogenannten „klassischen Pharmazeutika“ - unter diesem Begriff fassen wir alle Arzneimittel zusammen, die nicht mittels biologischer Methoden hergestellt werden. Klassische Pharmazeutika sind Antibiotika, Psychopharmaka, Wundsalben, Blutdrucksenker, Fieberzäpfchen oder Schmerztabletten. Was sind nun die bedeutsamen Unterschiede zwischen einem „klassischen“ Arzneimittel und einem Impfstoff?
Pharmazeutika haben eine sogenannte „Pharmakokinetik“. Darunter versteht man den Weg des Arzneimittels durch den Organismus. Man hat zu verschiedenen Zeitpunkten verschiedene Konzentrationen davon im Körper, sie können sich bei längerer Therapie anreichern, werden abgebaut (dabei entstehen neue Zwischenprodukte), sie werden in der Leber metabolisiert, über die Nieren ausgeschieden. Ein Impfstoff hat keine Pharmakokinetik, da hier nichts verstoffwechselt wird. Es gibt hier nur eine sogenannte „Pharmakodynamik“ - darunter versteht man die Wirkung, die ein Arzneimittel im Körper auslöst - in diesem Fall eine immunologische Reaktion.
Man bekommt Pharmazeutika meist für längere Zeiträume verordnet. Man nimmt Antibiotika eine Woche lang, Antihistaminika oder Cortison für die Dauer der Pollenallergiesaison, ein Schmerzmittel, bis der Rücken nicht mehr wehtut oder einen Blutdrucksenker lebenslänglich. Einen Impfstoff bekommt man jedoch niemals als „Dauertherapie“. Man bekommt ihn einmal, vielleicht im Rahmen einer Grundimmunisierung ein zweites oder drittes Mal, aber auch das dann in Abständen von Wochen oder Monaten, danach vielleicht nie mehr oder vielleicht alle 5 oder 10 Jahre.
 
Nebenwirkungen lassen nicht lange auf sich warten
 
Bei einem Impfstoff gibt es demnach schon aus biologischen Gründen keine „Spätnebenwirkungen“, die 5 Jahre nach der Impfung plötzlich auftreten. Es werden keine neuen Metaboliten im Körper erzeugt, es reichert sich nichts an. Nebenwirkungen zeigen sich binnen weniger Stunden bis 1-2 Tage nach der Impfung, bei Lebendimpfstoffen nach der Inkubationszeit der natürlichen Erkrankung (z. B. sogenannte – ungefährliche - „Impfmasern“ können ca. 10-12 Tage nach der Masernimpfung auftreten). Auch allergische Reaktionen - ob leicht oder schwerwiegend - kommen bald nach der Verabreichung. Als sehr seltene Nebenwirkungen sind unterschiedliche Autoimmunreaktionen möglich, aber selbst diese treten spätestens nach wenigen Wochen auf.
 
Wozu brauchen wir dann Langzeitdaten?
 
Warum also sind Daten über einen längeren Zeitraum dennoch grundsätzlich wichtig, wenn doch ohnehin nach Jahren nichts mehr zu erwarten ist? Das liegt an möglichen seltenen und sehr seltenen Nebenwirkungen. Wenn eine bestimmte Nebenwirkung nur bei einer von 20.000 oder einer von 50.000 oder gar 100.000 Personen auftritt, brauchen wir eine sehr große Anzahl geimpfter Personen, um diese überhaupt zu erkennen - und bis genug Personen geimpft sind, dauert das einfach normalerweise eine längere Zeit. Auch eine umfangreiche klinische Studie kann sehr seltene Nebenwirkungen im Allgemeinen nicht zeigen.
„Langzeit“ bezieht sich bei Impfstoffen also nicht auf die Zeit, nach der eine Nebenwirkung auftritt, sondern auf die Zeit, nach der überhaupt genug Personen geimpft sind, um selbige dem Impfstoff sicher zuordnen zu können.
 
Falscher Sprachgebrauch
 
Wie kommt es nun zu dieser falschen Interpretation von „fehlenden Langzeitdaten“? Beispiel 1: Sehen wir uns eine „alte“ Impfung an, die Pockenimpfung. Für diese herrschte Impfpflicht, Ende der 1970er Jahre konnten die Pocken als ausgerottet erklärt werden. Die Pockenimpfung war jedoch im Vergleich zu unseren modernen Impfungen deutlich reaktiver, in seltenen Fällen gab es auch Impfschäden durch eine impfbedingte Encephalitis (Gehirnentzündung). Diese Impfung konnte somit Langzeitschäden verursachen - weil jede Gehirnentzündung dauerhafte Schäden hinterlassen kann, egal, wodurch sie entsteht. Das Wort „Langzeitschaden“ hat sich hier im täglichen Sprachgebrauch etabliert und wird vielfach fälschlich - übertragen auf die aktuelle Situation - interpretiert als „Schaden, den die Impfung erst nach langer Zeit verursacht“. Das Auftreten dieser Encephalitis geschah jedoch im Schnitt innerhalb einer Woche nach der Impfung. Kleine Bemerkung am Rande: diese damaligen Impfstoffe würden es nach heutigen Kriterien nicht durch ein Zulassungsverfahren schaffen.
Beispiel 2, derzeit vielfach und gerne erwähnt: Narkolepsie beim Impfstoff Pandemrix zu Zeiten der sogenannten „Schweinegrippe“. Die Mechanismen für den Zusammenhang mit der Impfung sind noch immer nicht restlos geklärt, die Ursache ist aber wohl das Influenzavirus selbst (auch die Erkrankung konnte Narkolepsie hervorrufen) in Kombination mit einer genetischen Veranlagung. Die Häufigkeit dieser Nebenwirkung liegt bei etwa 1:20.000, das Auftreten geschah im Schnitt innerhalb weniger Wochen nach der Impfung, in einigen einzelnen Fällen etwa vier Monate danach. Bemerkt hat man es aber eben auch erst nach etwa einem Jahr, gesichert noch später, weil erst dann genügend Personen geimpft waren, um diesen Zusammenhang zu erkennen. Erschwert war die Situation noch dadurch, dass diese Nebenwirkung nur in einigen wenigen - vorwiegend skandinavischen - Ländern auftrat. Auch hier hat sich in den Köpfen der Menschen festgesetzt: „Ein Spätschaden! Das war ja erst nach einem oder zwei Jahren!“ Nein, war es nicht! Es trat viel früher auf, aber aufgrund der erst dann erreichten ausreichenden Durchimpfungsraten hat man es erst nach diesem Zeitraum sicher zuordnen können!
 
Die Hintergrundinzidenz
 
Zusätzlich muss noch ein wichtiger Faktor zur Beurteilung von Nebenwirkungen erwähnt werden: die sogenannte Hintergrundinzidenz. Als Hintergrundinzidenz bezeichnet man die Menge an Fällen einer bestimmten Erkrankung, die auch in einer ungeimpften Population innerhalb eines bestimmten Zeitraumes auftreten würde. Hier gibt es auch etwas Aktuelles vom ersten zugelassenen COVID-Impfstoff Comirnaty von Biontech/Pfizer. Es traten während der Studien vier Fälle von Gesichtslähmung auf. Diese vier Fälle entsprechen allerdings genau der bekannten Hintergrundinzidenz: Während eines vergleichbaren Zeitraumes entsprechen 4 Fälle von Gesichtslähmung bei einer vergleichbaren Population also genau der erwarteten Anzahl, auch ohne jegliche Impfung. Dennoch wurde diese potenzielle Nebenwirkung in die Fach- und Gebrauchsinformation aufgenommen, weil sie in der Impfstoffgruppe und nicht in der Placebogruppe auftrat und ein Zusammenhang somit nicht ausgeschlossen werden kann.
 
Langfristige Beobachtung nach der Zulassung
 
Wir können also zusammenfassen: Aufgrund der Eigenschaften und Wirkungsweise eines Impfstoffes sind Nebenwirkungen ziemlich bald - nach Stunden oder Tagen - zu erwarten, selbst in seltenen Fällen von Autoimmunerkrankungen meist nach wenigen Wochen. Langzeitdaten brauchen wir also nicht, weil Nebenwirkungen so lange nach einer Impfung auftreten können, sondern um sehr seltene Nebenwirkungen überhaupt erkennen zu können. Es muss eine ausreichende Menge an Personen geimpft sein, damit diese Nebenwirkung überhaupt erstmals auftritt und dann dem Impfstoff zugeordnet werden kann. Diese - somit durchaus notwendige - Langzeitbeobachtung findet immer und für alle Arzneimittel erst in der sogenannten „klinischen Phase IV“ - in der Beobachtung nach der Zulassung - statt.
Inwieweit sind diese Erkenntnisse nun umsetzbar auf die aktuellen COVID-Impfstoffe? Wir haben hier zwei vorteilhafte Situationen: Die Anzahl der Probanden schon in den klinischen Studien vor der Zulassung war auffallend groß (bei anderen Impfstoffen in Europa während der letzten Jahre bewegten sich die Probandenzahlen meist in Bereichen von 10.000-15.000; beim ersten zugelassenen COVID-Impfstoff bei ca. 40.000). Bedingt durch die durchgeführte Massenimpfkampagne ist eine notwendige Anzahl Geimpfter für das Erkennen seltener Nebenwirkungen sehr schnell erreicht - alleine in England wurden während der ersten beiden Wochen der Impfkampagne rund eine halbe Million Personen geimpft. Da die Impfkampagnen mittlerweile weltweit laufen, ist die Anzahl der Personen, von denen sehr schnell Daten zur Verfügung stehen also hier extrem hoch - ein unter normalen Umständen quasi unerfüllbarer Traum auch für die Behörden.
Die Autorin arbeitet als Gutachterin für Impfstoffe für das österreichische Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG), die Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) und die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA). Dieser Artikel erschien zuerst auf ihrem privaten Blog https://verdareno.wordpress.com/.Foto:


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