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Amelie Nobel

Immer noch werden Frauen als Hexen verfolgt

Es gehört zu den dunkelsten Kapiteln der Geschichte. Bis 1780 werden 50.000 Menschen Opfer der Hexenverfolgungen in Europa. Der größte Teil von ihnen auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands. Doch die Zeit der Hexenverfolgungen ist nicht vorbei.
Foto: adobestock/ Erica Guilane-Nachez

Foto: adobestock/ Erica Guilane-Nachez

Auch heute gibt es noch Hexenverfolgungen. Am 10. August 2020 hat das Internationale Katholische Hilfswerk missio Aachen dagegen zum ersten Mal den Internationalen Tag gegen Hexenwahn ausgerufen. Ein guter Zeitpunkt um sich mit dem hochaktuellen Thema auseinanderzusetzen.
 
Die Geschichte der Hexenverfolgungen
 
Zum Hexenwahn kommt es nicht, wie von vielen vermutet, hauptsächlich im dunklen Mittelalter, sondern in der frühen Neuzeit. Tausende Menschen sterben. Die frühe Neuzeit ist eine Zeit, die vom menschlichen Aberglauben geprägt ist. Naturkatastrophen und Kriege lösen Hungersnöte und Seuchen aus. Für die schrecklichen Ereignisse fand man in der Hexe einen Schuldigen. Gleichzeitig ist die Neuzeit eine Zeit der Durchsetzung moderner Rationalität. Alles Irrationale versuchte man loszuwerden. Auch dafür fand man die Hexe. In ihr inkarnierte man Irrationalität und Mystik und versuchte, beides auf dem Scheiterhaufen loszuwerden.
Es hätte jeden treffen können, es sind jedoch vor allem Frauen, die der Hexerei beschuldigt werden. Jedes vorherrschende Elend, sei es nun schlechtes Wetter, Missernten oder eine Totgeburt - alles wird mit der „Hexerei“ der Frauen begründet. Hexen, das sind Frauen-Werkzeuge des Teufels. Wenn Frauen sich dem Teufel sexuell hingeben, verleiht er ihnen übernatürliche Kräfte, um Menschen zu verderben, so glaubte man.
 
Der Motor der Hexenbewegung
 
Der „Hexenhammer“ ist ein 1487 erschienenes Buch des Dominikanermönchs Heinrich Kramer. Mit seinem Buch will Kramer beweisen, dass Hexen und ihre Verbrechen tatsächlich existieren. Außerdem beschreibt er, was Hexen alles anrichten können und wie ihre Verfolgung und Verbrennung rechtspraktisch ablaufen soll.
Obwohl es Widerstand gegen Kramer von theologischen Gelehrten gibt, reißt der Erfolg nicht ab. Bis 1669 wird Kramers Werk 29 Mal aufgelegt. Es dauert bis zum Jahre 1775, bis die letzte Frau in Deutschland dem Hexenwahn zum Opfer fällt.
 
Hexenverfolgung und modernes Gesellschaftsbild
 
Es sind vor allem Frauen, die der Hexerei beschuldigt werden. Für Feministinnen sind die Hexenverbrennungen deshalb unter anderem Ausdruck männlicher Herrschaft. Als Hexen werden vor allem diejenigen beschuldigt, die die männliche Überlegenheit gefährden. Frauen mit einem umfassenden Kräuterwissen stellten z. B. eine Gefahr für die Macht der männlichen Ärzte dar. Mindestens genauso gefährlich wie diejenigen, die mit Heilkräutern umgehen können, sind jene, die Widerstand gegen das System und ihre vorgegebene Rolle leisten, so die feministische Interpretation der Hexenverfolgung.
 
Neue Hexen
 
An Halloween 1968 in New York kommt es zu Protesten. Feministinnen in Hexenkostümen protestieren gegen die Unterdrückung von Frauen und für ihre Rechte. Sie nennen sich selbst „WITCH“. Das englische Wort für Hexe ist hier eine Abkürzung für „Women’s International Terrorist Conspiracy from Hell“ (Internationale Terroristische Frauenverschwörung aus der Hölle). Doch das ist erst der Anfang.
Immer mehr Frauen bezeichnen sich selbst freiwillig als Hexen, um für ihre Rechte auf die Straße zu gehen. Im September 2017 kommt es in Paris zu Protesten gegen Macrons Arbeitsmarktreform. Frauen in Hexenkostümen schließen sich zu einer Gruppe zusammen und nennen sich selbst „Witch Bloc Paname“.
 
Die Hexe als mutige, moderne Figur
 
Es scheint einen Wechsel gegeben zu haben. Während vor Jahrhunderten in Europa wohl keiner eine Hexe sein wollte, ist die Hexe heute viel mehr zu einem Bild für starke Frauen geworden. So ist die Serie „Chilling Adventures of Sabrina“ auf Netflix ebenso ein Erfolg wie die Kindheitsheldin Bibi Blocksberg oder Ottfried Preußlers kleine Hexe. Die moderne „Hexe“ braucht sich heute nicht zu verstecken - zumindest im Westen. Sie steht viel mehr für eine aktive, selbstbewusste Frau, die gegen die Unterdrückung und Chancenungleichheit von Frauen kämpft und sich auch traut, einen alternativen Lebensstil zu führen.
 
Die Hexenverfolgung ist nicht vorbei
 
Doch wer glaubt, dass die Zeiten der grausamen Gewaltverbrechen längst vorbei sind, der täuscht sich. In 36 Ländern, hauptsächlich in Afrika, Asien, Ozeanien und Lateinamerika, leiden immer noch Menschen unter dem Hexenwahn. Experten wie der Historiker Dr. Werner Tschacher von der Universität Luxemburg erklären, dass in den letzten 60 Jahren weltweit mehr Menschen als Hexer und Hexen beschuldigt und getötet wurden, als in 350 Jahren europäischer Hexenverfolgungsgeschichte zuvor. Als Zeichen gegen den Hexenwahn weltweit und für Menschenrechte hat das Internationale Katholische Hilfswerk missio Aachen erstmals am 10. August 2020 den Internationalen Tag gegen Hexenwahn ins Leben gerufen. Und das nicht ohne Grund. Immer noch werden Männer, Frauen und Kinder für gesellschaftliche Probleme wie Armut oder mangelnde Bildung verantwortlich gemacht und so der Hexerei beschuldigt.
Das Datum ist nicht zufällig gewählt. Am 10. August 2012 gelingt es der jungen Mutter Christina aus Papua Neuguinea der Folter der Hexenjäger zu entkommen, in dem sie eine Hexengeburt simulierte. Gemeinsam kämpft sie seitdem mit der Schweizer Ordensschwester Lorena Jedal, einer langjährigen Partnerin von missio, für Gerechtigkeit. Missio hat nun die Solidaritätsaktion „Meine Stimme für Christina“ gestartet, um Maßnahmen im Kampf gegen den Hexenwahn zu ergreifen. Denn der Kampf ist noch lange nicht vorbei.
 


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