Seitenlogo
jm

 Rechtsmotivierte Straftaten in der Region

Niedersachsen (jm). Zwischen Februar und Oktober 2020 brannten in Syke, Gnarrenburg und Ganderkesee drei Restaurants von Menschen mit Flucht- oder Migrationsgeschichte. Die Anschläge und rechtsextreme Strukturen in Niedersachsen waren nun Themen einer digitalen Podiumsdiskussion.
Rückhalt aus der Bevölkerung sei für die Opfer rechtsextremer Straftaten besonders wichtig, sagen die Teilnehmenden einer Podiumsdiskussion zu den Brandanschlägen im Bremer Umland. Das Bild zeigt einen Beitrag zu einer Solidaritätsaktion aus Worpswede, die nach dem Anschlag aus das Restaurant „Hexenkeller“ in Gnarrenburg gestartet wurde.  Foto: Mimis Erbe

Rückhalt aus der Bevölkerung sei für die Opfer rechtsextremer Straftaten besonders wichtig, sagen die Teilnehmenden einer Podiumsdiskussion zu den Brandanschlägen im Bremer Umland. Das Bild zeigt einen Beitrag zu einer Solidaritätsaktion aus Worpswede, die nach dem Anschlag aus das Restaurant „Hexenkeller“ in Gnarrenburg gestartet wurde. Foto: Mimis Erbe

Die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus für Demokratie in Niedersachsen, die Betroffnenberatung Niedersachsen, der Flüchtlingsrat Niedersachsen und die Seebrücke Niedersachsen organisierten die Diskussionsrunde. Moderiert wurde die Veranstaltung vom NDR-Journalisten Olaf Kretschmer.
 
Ermittler:innen sehen keinen Zusammenhang zwischen Taten
 
Jan Krieger von der Mobilen Beratung fasste den Sachstand der Ermittlungen, der auch aus der Drucksache 18/8874 des niedersächsischen Landtags hervorgeht, zusammen. Demnach gingen die Ermittler:innen trotz Ähnlichkeiten zwischen den Taten nicht von einer Serie aus. In alle drei Restaurants brachen die Täter:innen nachts ein, verteilten Brandbeschleuniger und hinterließen Hakenkreuze und/oder fremdenfeindliche Parolen am Tatort. „Der Bezug zur politisch motivierten Kriminalität wurde auch hergestellt. Es gab aber verschiedene Arbeitshypothesen, darunter auch Versicherungsbetrug oder persönliche Beziehungen als Motiv“, berichtete Krieger. In Syke, wo die Ermittlungen inzwischen abgeschlossen sind, wurde ein rechtsextremer Hintergrund zunächst sogar ausgeschlossen. Die Begründung der Polizei: Die Hakenkreuz-Schmiererei befanden sich nicht an der Seite des Gebäudes, die der Hauptstraße zugewandt ist. Rechtsextremist:innen hätten gewollt, dass ihre Symbole zu sehen sind, so die Annahme der Ermittler:innen.
„Diese Botschaft wurde dann auch medial verbreitet. Nach heftiger Kritik wurden die Äußerungen mittlerweile zurückgenommen“, so Krieger. Den aktuellen Stand der Ermittlungen wolle man - wie sich alle Teilnehmenden einig waren - nicht so stehen lassen. Zu ähnlich seien die Taten gewesen, außerdem habe es in Vegesack, Bremervörde, Beverstedt und Bremen weitere Verbrechen mit mutmaßlich rechtsextremem Hintergrund gegeben. Die Ermittlungen müssten in einer gemeinsamen Gruppe der zuständigen Dienststellen wieder aufgenommen werden. „Man muss sich vergegenwärtigen: In zwei von drei Fällen haben Menschen über den Restaurants geschlafen“, sagte Heike Kleffner vom Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt. Brandanschläge auf Wohngebäude können nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs von 1994 als Mordversuch gelten.
 
Niedersachsen leugnet Probleme
 
Aus der Drucksache des Landtags geht auch hervor, es gebe in den Landkreisen Diepholz, Rotenburg (Wümme) und Oldenburg keine Erkenntnisse zu festen organisierten Strukturen der rechtsextremen Szene. „Wir widersprechen. Es gibt Strukturen, die sehr gut vernetzt sind“, sagt Jan Krieger. Die Journalistin Andrea Röpke reagierte mit Unverständnis auf die Antwort der Landesregierung auf die Anfrage der Grünen. „Was erwarten die denn, dass die Leute mit Parteibuch in der Hand stramm stehen?“
In Niedersachsen sei es gewissermaßen eine Tradition, die Aktivitäten der rechten Szene herunterzuspielen, meint Röpke. Syke sei ihrer Einschätzung nach ein Hotspot der rechten Szene, es gebe dort eine Mischszene aus Kampfsportler:innen, Rockern und Neonazis, auch Mitglieder einer bekannten Rechtsrock Band hätten im Landkreis Diepholz ihren Wohnsitz. „Das Büdnis ‚Wir sind mehr‘ hat in diesem Bereich viel aufgedeckt“, so Röpke. In der Vergangenheit habe es zudem mehrere große Szeneeinrichtungen im Landkreis Diepholz gegeben.
Weniger offensichtlich seien die Strukturen in Gnarrenburg. Röpke verweist auf eine Musikveranstaltung im Jahr 2018, an der unter anderem Thorsten Heise, „einer der gefährlichsten Neonazis in Deutschland“, sowie Michael Regener, besser bekannt unter seinem Pseudonym „Lunikoff“, teilgenommen haben sollen. „So etwas macht man nicht an einem Ort, wo man sich nicht wohl fühlt.“ Auch im Umkreis von Ganderkesee spiele die Rechtsrock-Szene eine wichtige Rolle. In den 90er-Jahren habe es dort ein Tonstudio gegegeben, in dem Szenegrößen wie „Stahlgewitter“ ihre CDs produziert hätten. Heute sei im Landkreis Oldenburg eine Mischszene aus Fußball-Hooligans und Neonazis aktiv.
 
Gewalt gegen Engagierte
 
Opfer von Anschlägen und Bedrohungen würden zunehmend auch zivilgesellschaftlich engagierte Ehrenamtliche. „Wir haben eine selten da gewesene, offene Gewalt gegen Menschen, die sich gegen Rechts engagieren in Niedersachsen“, sagt Andrea Röpke. Ein Video aus Stade zeigt einen erschreckenden Fall: Ein Ehepaar, das sich seit 2015 für Geflüchtete engagiert und in einer Bürgerinitiative aktiv ist, wurde mehrfach bedroht. 2017 landete ein Schreiben im Briefkasten, in dem unbekannte Verfasser:innen drohten, das Haus des Paars anzuzünden, sollte sie sich weiter für Geflüchtete einsetzen. Die örtliche Polizei sei der Meinung gewesen, eine Anzeige lohne sich nicht, berichten die beiden Eheleute. Von der nächsthöheren Dienststelle in Cuxhaven seien sie jedoch gewarnt worden, die Drohung nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Kurze Zeit später steht das Haus in Flammen und brennt bis auf die Grundmauern nieder. Die Polizei habe technisches Versagen oder menschliches Fehlverhalten als Ursache festgehalten und wichtige Hinweise der Feuerwehr gar nicht erst in die Akten aufgenommen. „Eine Brandstiftung wollte man vielleicht aus statistischen Gründen nicht haben“, mutmaßt das Ehepaar. Dass der Anrufer, der den Brand meldete, Kontakt zu einem polizeibekannten rechtsextremen Straftäter habe, sei den Ermittler:innen ebenfalls entgangen.
„Die Behörden nehmen die Perspektive der Betroffnen nicht ernst“, beklagt Heike Kleffner. „Sie bekommen die Tatmotive auf dem Silbertablett serviert. Worauf warten Polizei und Staatsanwaltschaft noch?“ Kleffner vermutet auch in Syke einen Zusammenhang zwischen den Aktivitäten des Bündnisses „Wir sind mehr“ und dem Brandanschlag auf das „Martini“. Eine Gruppe von Aktiven habe sich wenige Tage vor dem Anschlag in dem Restaurant getroffen.
 
Rückhalt für Betroffene wichtig
 
Das Engagement von Bündnissen und Initiativen, das mit solchen Angriffen unterbunden werden solle, sei für die Betroffnen rechtsextremer Gewalt sehr wichtig. In der Diskussionsrunde wird eine Sprachnachricht des „Hexenkeller“-Betreibers aus Gnarenburg abgespielt. Der Syrer versteht bis heute nicht, warum sein Restaurant angezündet wurde. Mehrfach betont er, dass er umziehen wollte, vielleicht in einem anderen Ort als Koch arbeiten. Ein eigenes Restaurant wollte er nach dem Verbrechen nie wieder eröffnen - schon gar nicht mit syrischen Spezialitäten auf der Speisekarte. Eine Spendenaktion und viel Zuspruch aus der Bevölkerung bewegten ihn letztlich, das Restaurant doch wieder zu eröffnen.


UNTERNEHMEN DER REGION