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Die Schuld eines Forschers

Der Film „Der vermessene Mensch“ erzählt die Geschichte eines an seinem Opportunismus zerbrechenden Ethnologen - ohne Happy End.

Der Ethnologe Alexander Hoffmann (Leonard Scheicher) verliebt sich Kezia Kambazembi (Girley Charlene Jazama) und stellt Rassenunterswchiede infrage - zunächst.

Der Ethnologe Alexander Hoffmann (Leonard Scheicher) verliebt sich Kezia Kambazembi (Girley Charlene Jazama) und stellt Rassenunterswchiede infrage - zunächst.

Schwanewede. Forscher vermessen Köpfe in Berlin, das deutsche Militär nimmt den Menschen in Namibia ihr Land weg, ihre Kopfmaße werden zur Rechtfertigung für den Landraub. Forschung als Legitimation kolonialer Landnahme. Die Gehirne der Weißen sind nun mal einfach größer. „Der vermessene Mensch“ beginnt in einem strahlend weißen Medizinhörsaal der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität (heute Humboldt-Uni), ein Bild des Selbstbildes der Lehrenden und Forschenden. Er endet, von einem kurzen Epilog abgesehen, in einem deutschen Konzentrationslager in Namibia - enge Räume, Gestank und Dunkelheit -, in dem die Häftlinge die Haut von den Schädeln ihrer Toten abziehen müssen. Zu Forschungszwecken.

 

Auseinandersetzung mit Kolonialismus

 

Der Anfang dieses Jahres in die Kinos gekommene Film ist die erste deutschsprachige Produktion, die sich mit den Verbrechen des deutschen Kolonialismus auseinandersetzt. Der Ethnologie-Doktorand Alexander Hoffmann (Leonard Scheicher) forscht in Berlin an Totenschädeln rum. Die Weltausstellung gibt ihm die Möglichkeit, lebende Objekte zu untersuchen. Eine Delegation aus Namibia kommt zu Besuch, um mit dem Kaiser zu verhandeln und einen Krieg zu vermeiden. Die Deutschen setzen andere Prioritäten für den politischen und kulturellen Austausch und stellen die Besucher auf der „Deutschen Kolonial-Ausstellung“ aus, in exotischen Kostümen. Hoffmann lernt die Gruppe besser kennen und verliebt sich in Kezia Kambazembi (Girley Charlene Jazama). Nach seinem Besuch schreibt er einen Aufsatz, in dem er die Unterschiede zwischen verschiedenen „Menschenrassen“ prinzipiell infrage stellt.

 

Entscheidung aus freiem Willen

 

Das hätte, mit dieser Plotanlage, durchaus eine Geschichte über eine exemplarische Gutwerdung werden können. „Der vermessene Mensch“ aber bleibt unversöhnlich. Kezia geht zurück nach Namibia, Alexander reist ihr einige Jahre später hinterher, als wissenschaftlicher Begleiter der deutschen Truppen, die ab 1904 Krieg gegen die Herero und Nama führen, die sich gegen den Landraub wehren.

Der Wissenschaftler ist hin- und hergerissen zwischen Forschungsdrang, Karrierismus, moralischen Skrupeln und Begehren. Ein Opportunist, dessen Tun und Lassen noch einmal in besonders bedrückender Weise falsch wirkt, weil der Film klarstellt, dass sich hier einer zu jedem Zeitpunkt hätte anders entscheiden können. Das gilt für alle deutschen Figuren: Man muss Menschen nicht in der Wüste verrecken lassen, man muss keine Kinder erschießen, man muss Frauen nicht massenhaft in Lagern vergewaltigen, man muss keine Gräber plündern. Etwas anderes wäre zu jedem Zeitpunkt möglich gewesen. Der Massenmord ist hier die Entscheidung von Menschen mit freiem Willen.

 

Anders als andere deutsche Filme

 

In diesem Punkt unterscheidet sich „Der vermessene Mensch“ von vielen deutschen Filmen zum Beispiel über den Zweiten Weltkrieg, in denen die Figuren als Teile einer Maschinerie gezeigt werden, auf die sie keinen Einfluss gehabt haben sollen. Diesen Ausweg bietet das Drehbuch von Kraume und Jazama nicht. Alexander Hoffmann degeneriert zusehends, wird zum Grabräuber und leidet unter den Widersprüchen, die ihn zerreißen und die er nicht versteht. In so einer Konstellation kann es kein Happy End geben, und am Ende bekommt Hoffmann die Professorenstelle, die er haben wollte, und widerruft seine These von der Gleichwertigkeit der Menschen, die seine Kollegen in Rassen unterteilen. Das ist ein denkbar trauriges Ende eines sinnlosen Forscherlebens, dessen Ergebnisse ausschließlich der Legitimation der Gewalt gedient haben.

 

„Der vermessene Mensch“ wird am Dienstag, 29. August, um 20 Uhr im Filmpalast Schwanewede gezeigt.


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