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Lena Stehr

Vom Rand in den Untergrund

Ein Sexkaufverbot wird politisch diskutiert. Die einen sehen darin den Kampf gegen Zwangsprostition, andere fürchten um die Sicherheit von Prostituierten.

Ein Sexkaufverbot könnte Betroffenen womöglich mehr schaden als helfen

Ein Sexkaufverbot könnte Betroffenen womöglich mehr schaden als helfen

Bild: Adobe/henjon

Auf EU- und Bundesebene wird derzeit über ein mögliches Sexkaufverbot diskutiert, das de facto einem Prostitutionsverbot gleichkäme. Während die einen darin einen Weg im Kampf gegen Zwangsprostitution sehen, fürchten andere um die Sicherheit vieler Sexarbeiterinnen.

 

Vor 2002 galt Prostitution in Deutschland noch als sittenwidrig, Bordelle wurden vielfach von den Behörden nur „geduldet“. Mit der Verabschiedung des Prostitutionsgesetzes 2002 wurden sowohl das Angebot als auch die Nachfrage sexueller Dienstleistungen legal. Einnahmen aus der Prostitution sind seitdem auch steuerpflichtig.

 

28.280 angemeldete Prostituierte

 

Zum Jahresende 2022 waren laut Statistischem Bundesamt (Destatis) in Deutschland rund 28.280 Prostituierte sowie 2.310 Prostitutionsgewerbe nach dem Prostituiertenschutzgesetz (ProstSchG) angemeldet. Ende 2019 und damit vor der Corona-Pandemie waren es noch 40.370 Prostituierte und 2.170 Prostitutionsgewerbe.

Im Landkreis Rotenburg (Wümme) sind derzeit drei Bordelle angemeldet, in Spreckens, Seedorf und Brockel. Wie viele Prostituierte insgesamt aktiv sind, sei nur schwer nachvollziehbar. Der Landkreis habe acht Prostituiertenausweise ausgestellt. Diese Zahl sei allerdings nicht aussagekräftig, da die Personen bundesweit ihrer Beschäftigung nachgehen könnten und andersherum auch aus dem gesamten Bundesgebiet in den Landkreis kommen könnten. Gleiches gilt auch für den Landkreis Osterholz. Dort gibt es laut Landkreis und Polizei ein offiziell angemeldetes Bordell sowie drei Personen, die als Sexarbeiterinnen ein Gewerbe angemeldet haben.

 

Anmeldepflicht seit 2017

 

Die Anmeldepflicht besteht seit der Einführung des Prostituiertenschutzgesetz am 1. Juli 2017. Seitdem müssen Betreiber von Prostitutionsstätten ihre Gewerbe behördlich anmelden und darauf achten, dass nur Prostituierte ihre Dienstleistungen anbieten, die über eine gültige Anmelde- oder Aliasbescheinigung (enthält statt des richtigen Namens ein Pseudonym und keine Wohnanschrift) sowie einen gültigen Nachweis über eine erfolgte gesundheitliche Beratung verfügen. Außerdem muss auf die Kondompflicht hingewiesen werden.

Schon 2017 sahen Fachverbände, Berater:innen und viele Sexarbeiter:innen das neue Gesetz kritisch. Unter dem Motto „Respekt statt Repressionen“ wiesen sie unter anderem darauf hin, dass mit der Einführung des „Hurenpasses“ das gesellschaftliche Stigma der Prostitution nicht bedacht werde. Viele Sexarbeiter:innen - vor allem solche, die ein Doppelleben führen - hätten Angst vor einem ungewollten Outing durch eventuelle Datenschutzpannen.

 

Diskussion über Sexkaufverbot

 

Um Prostituierte besser zu schützen und Zwangsprostitution zu bekämpfen, wird inzwischen auch in Deutschland über ein Sexkaufverbot nach dem sogenannten Nordischen Modell diskutiert. Zuletzt sprach sich die Bremer Bürgerschaftspräsidentin Antje Grotheer (SPD) in einem Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz dafür aus. Auch die Unionsfraktion im Bundestag befürwortet die Einführung eines Sexkaufverbots.

Das Nordische Modell besteht aus drei Bestandteilen: Entkriminalisierung der Prostituierten, Kriminalisierung der Sexkäufer und Betreiber sowie Finanzierung von Ausstiegsprogrammen für Prostituierte. Umgesetzt ist das Modell bereits in Schweden, Norwegen, Island, Kanada, Frankreich, Irland und Israel. Befürworter des Modells wie der Verein TERRE DES FEMMES weisen darauf hin, dass vor der Einführung eines Sexkaufverbots aber unbedingt Ausstiegsprogramme finanziert und eingerichtet werden müssten - und zwar nicht nur für deutsche Sexarbeiterinnen, sondern ebenso für EU-Bürgerinnen und Frauen aus Drittstaaten.

 

In den Untergrund gedrängt

 

Als „ganz gruselig“ bezeichnet dagegen Bea Augustin von der Bremer Beratungsstelle Nitribitt, die sich anonym und kostenlos um Sexarbeiterinnen kümmert, eine mögliche Einführung des Sexkaufverbots. Die Bedingungen für Prostituierte würden sich dadurch weiter verschlechtern, ist Augustin überzeugt. Sie war früher selbst als Sexarbeiterin tätig und fürchtet, dass mit dem Nordischen Modell sichere Arbeitsplätze wegfallen, Beteiligte in den Untergrund gedrängt und so erpressbar gemacht werden würden. „Sexarbeiterinnen könnten ihre Rechte nicht mehr einklagen und würden sich vermutlich auch nicht mehr trauen, eine Beratungsstelle aufzusuchen - vorausgesetzt es gibt dann überhaupt noch Beratungsstellen“, sagt Bea Augustin. Wer glaube, dass die systemrelevante Sexarbeit mit einem Sexkaufverbot nach dem Motto „aus den Augen, aus dem Sinn“ einfach verschwinde, verkenne die Realität. Um Frauen wirklich vor Zwangsprostitution zu schützen, brauche es mehr Aufklärung, mehr Beratungsstellen und insgesamt mehr Unterstützung für Sexarbeiterinnen. „Der Beruf muss legal bleiben und gesellschaftlich endlich besser akzeptiert werden“, meint Augustin.

 

Verbote schaden denen, die sie Schützen sollen

 

Prostituierte seien aber offenbar - insbesondere in den zunehmend einer wohlhabenderen Mittelklasse vorbehaltenen Stadtzentren - unerwünscht, schreibt die Philosophie- und Kulturwissenschaftlerin Theodora Becker. Sie hat vor Kurzem ihre Studie „Dialektik der Hure“ veröffentlicht. Sie weist darauf hin, dass sich politische Schutzmaßnahmen praktisch als Repressionen gegen jene erweisen, um deren Schutz es angeblich vorrangig gehe: die Prostituierten auf der Straße.

Das sieht auch der Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen (BesD) e.V. so. Ein Sexkaufverbot schade jenen, denen es eigentlich helfen soll. Seit Schweden vor 25 Jahren als erstes Land der Welt ein Sexkaufverbot eingeführt habe, gebe es keine Studien, die auf ein Gelingen des Nordischen Modells hinweisen, so Johanna Weber, Politische Sprecherin des BesD.

Das aktuell gültige ProstsituiertenSchutzGesetz müsse dennoch dringend überarbeitet werden. Fundierte Daten als Arbeitsgrundlage dazu liefere die Evaluation des ProstSchG, welche im Sommer 2025 dem Bundestag vorgestellt werden soll. Es handele sich dabei um die größte Untersuchung zum Thema Sexarbeit/Prostitution, die jemals in Europa durchgeführt wurde.

In der Sexarbeit spiegele sich analog zu anderen Bereichen der Gesellschaft soziales Ungleichgewicht wider – zwischen Geschlechtern, zwischen Einkommensklassen, zwischen jenen mit einer Aufenthaltsgenehmigung und jenen ohne, zwischen Migrantinnen und Migranten und Deutschen. Hier die Kundschaft zu kriminalisieren bedeute, die Arbeitsbedingungen von vielen bereits marginalisierten Menschen noch mehr zu verschlechtern. Umstiegsprogramme für Sexarbeitende mit dem Wunsch, sich beruflich zu verändern, seien wichtig, aber dafür brauche es kein Sexkaufverbot, sondern den politischen Willen und die finanziellen Mittel.

 

Schutz vor Zwangsprostitution

 

Vor Zwangsprostitution würden Menschen am besten geschützt, indem geltende Gesetze umsetzt würden. Alle schlimmen vermeintlichen Begleiterscheinungen der Sexarbeit seien schon verboten. „Wir Sexarbeitende dürfen nicht weiter in den gesellschaftlichen Untergrund gedrängt werden. Uns und unsere Probleme für den Rest der Gesellschaft unsichtbar zu machen, hilft Betroffenen nicht“, so Johanna Weber. „Grundsätzlich vermissen wir konkrete Job-Programme für Migrant*innen mit geringem Ausbildungsstand und ohne deutsche Sprachkenntnissen. Solange eine der wenigen Optionen die Sexarbeit ist, werden viele diese niedrigschwellige Option wählen aus Mangel an Alternativen.“


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