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Unternehmen mit Barrieren  

Menschen mit Behinderung schaffen es oft nicht auf den 1. Arbeitsmarkt.

Trotz Gesetz:Menschen mit Behinderung wenig auf dem 1. Arbeitsmarkt vertreten.

Trotz Gesetz:Menschen mit Behinderung wenig auf dem 1. Arbeitsmarkt vertreten.

Bild: freepik/DCStudio

Das Gesetz zur Förderung eines inklusiveren Arbeitsmarkts soll mehr Schwerbehinderten den Weg auf den sogenannten 1. Arbeitsmarkt ebnen. Doch damit allein ist es nicht getan.

 

Am 20. April hat der Bundestag dem Gesetzentwurf zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarkts zugestimmt. Unter anderem sind höhere Ausgleichsabgaben für Arbeitgeber vorgesehen, die keine Schwerbehinderten beschäftigen. Ab 2024 soll sich demnach die Ausgleichsabgabe für „Nullbeschäftiger“ von 360 auf 720 Euro monatlich erhöhen.

Laut Sozialverband VdK Niedersachsen-Bremen erfüllten in Niedersachsen im Jahr 2021 nur 37,1 Prozent der verpflichteten Unternehmen (mindestens 20 Vollzeitbeschäftigte) die Beschäftigungspflicht für schwerbehinderte Menschen, in Bremen lag die Quote bei 34,3 Prozent. Beide Bundesländer lagen damit unter dem Bundesdurchschnitt von 39 Prozent. Der VdK-Landesvorsitzender Friedrich Stubbe verlangt deshalb, sich freizumachen von Vorurteilen und Schwerbehinderten endlich die beruflichen Chancen zu geben, die ihnen zustünden.

 

Viele Berührungsängste

 

Die meisten Unternehmen in Deutschland seien leider nicht barrierefrei, sagt Volker Wahlers von der Geschäftsführung der Lebenshilfe Bremervörde/Zeven. Vor allem Barrieren im Kopf müssten bei vielen erst einmal abgebaut werden. Allein der sehr ungenau definierte Begriff „Menschen mit Behinderungen“ sei häufig schon mit Berührungsängsten gekoppelt, so Wahlers.

Zudem fehle es an leicht zugänglichen Informationen zu den Fördermöglichkeiten, die es für Unternehmen gebe, so Wahlers weiter. Auch das Leistungsvermögen von Menschen mit Behinderungen sei vielen Unternehmen unbekannt.

In den Werkstätten für Menschen mit Behinderungen würden Kompetenzen und Fähigkeiten zur beruflichen Bildung vermittelt, die auf den 1. Arbeitsmarkt führen. Die größte Herausforderung sei aber, den 1. Arbeitsmarkt auf Menschen mit Behinderungen vorzubereiten und nicht umgekehrt, so Wahlers.

 

Mehr Anreize für Unternehmen

 

Es brauche mehr Anreize für Arbeitgeber, Menschen mit Behinderung einzustellen, sagt Dirk Dieling von der Werkstatt Nord gGmbH, zu der auch der Martinshof, eine Werkstatt für behinderte Menschen in Osterholz-Scharmbeck, gehört. Mit dem Budget für Arbeit und dem Budget für Ausbildung gebe es zwei gute Instrumente, die aber noch nicht wirklich viel eingesetzt würden.

Die Chancen für Menschen mit Behinderung gerade nach erfolgreicher inklusiver Beschulung müssten deutlich ausgebaut werden und es müsste mehr aufeinander aufbauende Qualifizierungsmöglichkeiten geben, so Dieling. Er sieht eine der größten Herausforderungen bei der Integration auf dem 1. Arbeitsmarkt darin, die Wünsche des einzelnen Beschäftigten mit den Wünschen des Arbeitgebers überein zu bekommen. Zum Beispiel bei der Frage nach Voll- oder Teilzeitbeschäftigung. Auch müsse eine gute Erreichbarkeit des Betriebes mit öffentlichen Verkehrsmitteln gewährleistet sein. Und im Betrieb müsse es eine Bezugsperson geben, die in schwierigen Situationen als Ansprechpartner:in da ist. Ein weiteres Problem sei, dass der Fokus bei der Personalauswahl häufig eher darauf liege, was der Mensch nicht kann, als auf den Dingen, die der Mensch besonders gut kann. Das mache es für Menschen mit Behinderung besonders schwierig.

 

Nicht alle wollen auf den 1. Arbeitsmarkt

 

Ob Menschen mit Behinderung aber überhaupt auf dem 1. Arbeitsmarkt arbeiten wollen, sei individuell sehr unterschiedlich, bestätigen sowohl Wahlers als auch Dieling. Aufgrund der erworbenen Ansprüche einer EU-Rente würden sich Beschäftigte nicht selten gegen den Wechsel von einem Einzelaußenarbeitsplatz - der durch Integrationsbegleiter:innen unterstützt wird - auf den 1. Arbeitsmarkt entscheiden. Hier müsse das Entgeltsystem der Werkstattbeschäftigten inklusive der daraus resultierenden Rentenansprüche auf den Prüfstand, fordert Dieling.

Viele würden sich zudem in den Werkstätten sehr wohl fühlen, weil sie dort Teilhabe am sozialen Leben erfahren, sich auszutauschen und an Bildungsangeboten teilnehmen können. Manche hätten auch bereits schlechte Erfahrungen auf dem 1. Arbeitsmarkt gemacht, so Dieling.

 

„Tolles miteinander“

 

Gute Erfahrungen gemacht hat Ulrike Schrage von der Schrage GmbH in Osterholz-Scharmbeck. Dort arbeitet seit fast 15 Jahren ein aufgrund seiner Stummheit zu 100 Prozent schwerbehinderter Zerspanungsmechaniker. Die Verständigung klappe durch Gestikulieren mit Händen und in schriftlicher Form gut. Vom niedersächsischen Landesamt für Integration habe die Firma eine Maschine gefördert bekommen, die speziell für den Mitarbeiter angeschafft wurde. „Wir haben damals einen neuen Arbeitsplatz geschaffen, und inzwischen ist der Mitarbeiter bei uns voll integriert. Es ist ein tolles Miteinander“, sagt Ulrike Schrage.


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