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Lena Stehr

Der Tod fährt mit

Dass Alkohol am Steuer tabu ist, weiß jeder. Trotzdem zieht die Polizei immer wieder teils stark alkoholisierte Fahrer:innen aus dem Verkehr. Tendenz steigend.

Bild: Todd Arena

Egal ob im Urlaub oder zum Feierabend - Bierchen, Weinschorle oder auch mal eine „Mische“ sind für viele ein wichtiger Teil ihres gewohnten Entspannungs-Rituals. Und wenn am Wochenende beim Konzert, Festival oder auf einem Geburtstag so richtig gefeiert wird, steigt der Alkohol-Konsum noch einmal deutlich an.
Vor allem auf dem Land, wo Alkohol selbstverständlich zum gesellschaftlichen Leben dazugehört und wo öffentlicher Nahverkehr keine Alternative zum Auto ist, setzen sich Menschen dann durchaus auch mal angetrunken oder gar völlig betrunken hinters Steuer. Nach dem Motto: „In der Stadt bist du Alkoholiker, wenn du fünf Bier trinkst, auf dem Dorf bist du der Fahrer.“
Dabei nimmt Alkohol nicht nur Hemmnungen, bereits ab ca. 0,3 Promille lassen Sehvermögen und Bewegungskoordination nach. Ab ca. 0,5 Promille nimmt die Reaktionsfähigkeit ab, Geschwindigkeiten werden falsch eingeschätzt, die Risikobereitschaft ist erhöht. Bei etwa 0,8 Promille treten Ermüdungserscheinungen und Konzentrationsstörungen auf – ähnlich wie nach einer Nacht ohne Schlaf. 0,3 Promille sind übrigens schnell erreicht: Bei einer 60 kg schweren Frau reicht etwa 0,1 l Wein oder 0,3 l Bier, bei einem 80 kg schweren Mann etwa 0,2 l Wein oder 0,5 l Bier.
 
Mehr Alkoholfahrten
 
Seit wieder mehr Veranstaltungen stattfinden und seit die Polizei im Landkreis Rotenburg auch wieder mehr Kontrollen durchführe, seien deutlich mehr Fahrer:innen unter Einfluss von Alkohol und berauschenden Mitteln als im Vergleich zum 1. Halbjahr 2021 aus dem Verkehr gezogen worden, so Polizeisprecherin Sara Mehnen. Die Zahlen seien zwar noch nicht valide, die Tendenz aber „krass“.
Die Autobahnpolizei Sittensen zieht zudem immer wieder Pkw- und Lkw-Fahrer aus dem Verkehr, die mehr als 1,6 Promille Alkohol im Blut haben. Und in Osterholz-Scharmbeck war Ende Juni ein 44-Jähriger mit rund zwei Promille Alkohol im Blut mit dem Auto unterwegs und stieß mit einem entgegenkommenden Auto zusammen.
 
MPU ab 1,6 Promille
 
Wer mit derart hohen Promillewerten (ab 1,6 Promille, in Einzelfällen auch bei geringeren Werten) auffällt, muss gesetzlich verpflichtend eine medizinisch-psychologische Untersuchung (MPU) machen. Das gilt auch für Rad- und Scooterfahrer:innen, die ebenfalls immer häufiger alkoholisiert im Straßenverkehr auffallen. Insgesamt 84.017 MPU gab es laut der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) im Jahr 2020. Alkohol-Fragestellungen sind mit 39 Prozent der häufigste Grund, gefolgt von „Drogen und Medikamente“ mit 33 Prozent. Im Schnitt fallen knapp 40 Prozent bei der mehrstündigen Prüfung durch.
Die Verkehrspsychologin Birgit Thiel aus Rotenburg bereitet Prüflinge auf die MPU vor und weiß, dass auf eine entdeckte Alkoholfahrt im Schnitt 333 unentdeckte Fahrten kommen. Viele ihrer Klienten, von denen rund 80 Prozent männlich sind, bagatellisierten zunächst ihr Trinkverhalten. „50- bis 60-Jährige gucken mich mit großen Augen an und sagen, dass sie immer schon getrunken haben“, so Thiel.
 
Gravierende Folgen
 
Weil Alkoholfahrten häufig ohne Folgen bleiben, komme es zu Wiederholungstaten, so Thiel. Wenn die Täter:innen aber auffallen oder Unfälle verursachen, kann das gravierende Konsequenzen haben. So können schnell Kosten im vierstelligen Bereich entstehen. Im Falle einer Trunkenheitsfahrt durch übermäßigen Alkohol-Konsum, die zu einem Unfall mit Todesfolge für einen anderen Menschen führt, ist zudem eine Fahrlässige Tötung gemäß § 222 StGB erfüllt. Im Unterschied zur fahrlässigen Tötung ohne Alkoholeinfluss wiegt die Verursachung der Tötung hier jedoch erheblich schwerer und führt häufig zur Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung. Insgesamt wurden deutschlandweit 2019 mehr als 17.400 Menschen bei Alkoholunfällen verletzt. 228 Menschen starben. Das sind 7,5 Prozent aller tödlich verletzten Verkehrsteilnehmer.
Dass Menschen insbesondere in Krisenzeiten mehr Alkohol trinken, liege u.a. daran, dass das Belohnungszentrum im Gehirn dann besonders leidet, so Birgit Thiel. Der Alkohol werde dazu benutzt, lädierte Nerven und Gefühle zu „umwickeln“. Seit dem Beginn der Corona-Pandemie verzeichnt Thiel einen deutlichen Anstieg an Klienten.
 
Prävention
 
Die Polizei warnt davor bei alkoholisierten Personen mitzufahren und die Polizei zu rufen, wenn jemand betrunken ins Auto steigen will. So könne nicht nur eine Straftat verhindert werden, sondern womöglich gleich mehrere Menschenleben gerettet werden.
Das Präventionsteam der Polizei Rotenburg hat einen Instagram Account, über den regelmäßig Nachrichten und Präventionsangebote gezielt auch für junge Fahranfänger zur Verfügung gestellt werden. (polizei.rotenburg).


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