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„Zwischen den Welten“

Drei Monate war die Künstlerin Julia Kiehlmann in Worpswede. Ihre Arbeiten zu Bernhard Hoetger werden 2024 zu sehen sein.

Julia Kiehlmann arbeitete drei Monate in Worpswede, beschäftigte sich dabei mit Bernhard Hoetger und dem Thema Arbeit. Foto: Wolfram Hahn

Julia Kiehlmann arbeitete drei Monate in Worpswede, beschäftigte sich dabei mit Bernhard Hoetger und dem Thema Arbeit. Foto: Wolfram Hahn

Worpswede. Julia Kiehlmann hat sich in einem dreimonatigen Stipendium intensiv mit der Arbeit von Bernhard Hoetger beschäftigt. Im kommenden Jahr gibt es eine Ausstellung mit den Ergebnissen ihres Aufenthalts im Künstlerdorf.

Der Ausstellung „Heinrich Vogeler“ folgt im kommenden Jahr eine weitere Jubiläumspräsentation. Als Teil des Langzeitprojektes „ZEITENWENDE“ ist „Bernhard Hoetger: Zwischen den Welten“ die zweite Ausstellung, die Damaliges mit Zeitgenössischem verbindet und so einen kritischen Blick auf Werke einstiger Künstler:innen wagt. Ausstellungsorte sind auch 2024 der Barkenhoff, die Worpsweder Kunsthalle sowie die von Hoetger selbst erbaute Worpsweder Kunstschau, in denen sich ausgewählte Arbeiten vom 17. März bis 03. November begutachten lassen.

 

Julia Kiehlmann überzeugte die Jury

 

Neu ist ein mit dem Projekt verbundenes Stipendium, welches vor einigen Monaten in Kooperation mit den Künstlerhäusern Worpswede ausgeschrieben wird. „Zunächst waren wir uns unsicher, ob wir überhaupt Interessenten für die Beschäftigung mit Hoetger finden“, berichtet Philine Griem von den Künstlerhäusern, die Teil der Jury ist. Am Ende sind es jedoch fast 130 BewerberInnen, aus denen sie – gemeinsam mit Beate C. Arnold, Leiterin des Barkenhoffes und Künstlerische Leitung der Großen Kunstschau, Dr. Manuela Husemann, Kuratorin der Großen Kunstschau, sowie zwei weiteren Kollegen – auswählen muss. Überzeugen kann schließlich die freischaffende Künstlerin und Kulturarbeiterin Julia Kiehlmann aus Sachsen, die dann fast drei Monate in Worpswede lebt und arbeitet.

 

Licht und Schatten faszinieren

 

„Von Beginn hat uns Kiehlmanns Herangehensweise fasziniert – wie sie Hoetgers häufig verwendeter Lichtsymbolik das Schattenmotiv gegenüberstellt“, begründet Husemann. Ziel des Stipendiums sollte es sein, die Künstlerin möglichst frei arbeiten zu lassen, um sich mit verschiedenen Worpsweder Facetten auseinanderzusetzen und auch Kontakte in den Ort hineinzuknüpfen, der einen starken Einfluss auf Hoetgers Kunst hat. Eine erste Grundlage dafür bietet ein Spaziergang im Künstlerdorf, bei dem Kiehlmann Bhima Griem an die Wirkungsstätten Hoetgers begleitet.

Für die junge Frau ist es das erste Aufenthaltsstipendium. „Ich habe festgestellt, dass die drei Monate wirklich ein Minimum waren – durchaus hätte ich mich noch viel länger in Worpswede aufhalten können“, resümiert sie. Eine lokale Verortung, das Ankommen am Entstehungsort der Kunst, sei essenziell, um in die Persönlichkeit eines:r Künstler:in einzutauchen. Gleichzeitig ist sich Kiehlmann auch der großen Verantwortung bewusst, die sich aus der kritischen Auseinandersetzung mit Hoetger ergibt – einem aktiven Nationalsozialisten, der trotz dessen unpolitisch war. „Doch auch Wegschauen ist Gewalt“, stellt sie fest. Einige Widersprüche der Vergangenheit ließen sich nun mal nicht auflösen, wohl aber genauer betrachten.

 

„Man soll die Wunde zeigen“

 

In den anschließenden Monaten tritt die studierte Malerin und Grafikerin in den Dialog mit vielen Worpsweder Bürger- sowie KünstlerInnen. „Ein stetiger Abgleich meiner eigenen Perspektive mit der anderer Menschen ist für meine Arbeit unerlässlich“, erklärt die Stipendiatin. Dabei stelle sie immer wieder fest, wie wichtig es aus heutiger Sicht ist, auf Fehler der Vergangenheit zu schauen – zunächst auf die eigenen, dann auch auf die der anderen. „Man soll die Wunde zeigen, die man heilen möchte“, findet Julia. Es gehe darum sich selbst, aber auch einander in die Pflicht zu nehmen, um die Gesellschaft voranzubringen – auf eine progressive Weise, nicht verurteilend.

Durch zahlreiche Treffen in Worpswede kommt es auch zum Kontakt mit dem örtlichen Schützenverein, der die Freischaffende zu einer Dauerperformance inspiriert. „Meine Idee ist es, eine traditionelle Eichengirlande im wöchentlichen Takt immer weiter zu binden – so trifft Vergänglichkeit an einem Ende unmittelbar auf die Entstehung von Neuem am anderen“, berichtet sie. Diese werde dann im Außenbereich der Großen Kunstschau in die Ausstellung integriert, erklärt Kuratorin Dr. Husemann. „Bei der Zusammenstellung achte ich in diesem Jahr darauf, Hoetgers und Kiehlmanns Werk – Vergangenheit und Gegenwart – explizit miteinander zu verbinden“, beschreibt sie weiter. Um die 20 vielfältigen Exponate der Stipendiatin werden dabei ihren Weg in die Große Kunstschau finden.

 

Deutsche Arbeitsmoral

 

Während ihrer Arbeit stößt Julia Kiehlmann immer wieder auf die Existenzfrage danach, welche ökonomischen Zwänge sich durch das Leben ziehen. Die Beschäftigung mit dem Thema Arbeit wird ein weiterer elementarer Teil ihres Schaffens. „Zentraler Bestandteil von Deutschlands Selbst- und Fremddefinition ist die Arbeitsmoral“, bemerkt die Künstlerin kritisch. Dies gehe zur Zeit des Nationalsozialismus sogar so weit, dass Arbeitslose aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden. In ihrem Werk „Arbeiterpelz“, für das Kiehlmann zahlreiche ArbeiterInnenhandschuhe zusammennäht, hinterfragt sie ebendiese Gesellschaftsnorm. „Mir geht es darum, was es bedeutet sich mit fremder Arbeit – der investierten Anstrengung anderer Menschen - zu schmücken“, sagt Kiehlmann.

Durch das Stipendium beschäftigt sich die junge Frau erstmals mit dem Leben und Schaffen Hoetgers. Dennoch werde sie die intensive Arbeit in Worpswede auch künftig begleiten, sagt Kiehlmann, da Hoetger künstlerisch auch viele gute Entscheidungen getroffen habe. „Einerseits hat er seinen Architekt:innen viele Freiheiten bei ihrer Arbeit gelassen, sich aber dennoch nicht schützend vor die damals verfolgten Menschen gestellt.“, erklärt die Stipendiatin. Man gelange so immer wieder zu der Frage, ob man die Kunst vom Menschen trennen kann. „An dieser Stelle wird einmal mehr deutlich, wie Julia es schafft, zum Nachdenken anzuregen, ohne dabei zu verharmlosen“, bemerkt Philine Griem.


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