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Patrick Viol

Zärtlichkeit und Schrecken: Mutterschaft diesseits ihrer Verklärung

Die Rollenaufteilung in der Pandemie zeigt: Noch immer werden Frauen mit Fürsorge identifiziert. Teil an dieser Identifikation hat ein kulturell erzeugtes Tabu auf der Verhandlung der negativen Seiten von Mutterschaft.

„Es ist die Mütterlichkeit, die jeder Frau innewohnt, die ihre Gefühle lenkt und ihr ganzes Wesen bestimmt.“ Die „Urbestimmung der Frau (ist) die Liebe“ und ihre Wesenszüge ergeben in „ihrer Gesamtheit den Begriff der Mütterlichkeit.“ Und diese „zutiefst weiblichen Wesenszüge sind es ja auch, welche die Frau für bestimmte Berufe (...) befähigen“, in denen sie sich um andere kümmert. Mutterschaft - das ist die „natürliche Berufung der Frau“. „In der naturgegebenen Veranlagung der Frau“ liegt es, für andere da zu sein. So wird eine kinderlose Frau „irgendwie ‚unausgefüllt‘ bleiben: Das ist die uralte Sehnsucht nach dem Kind. Denn ein Kind ist das Lebenswerk einer Frau, wie es für den berufenen Künstler seine Schöpfungen sind “. - Diese Ansichten klingen heute veraltet, oder? Zumindest entstammen sie dem Buch „Das goldene Buch der Frau“ von 1956. Das interessanterweise zu 90 Prozent von promovierten Frauen geschrieben wurde.
 
Veränderte Sprache, ähnliche Realität
 
Und auch wenn man heute, zumindest in der politischen, zivilen und kulturellen Öffentlichkeit nicht mehr davon sprechen würde, das Wesen von Frauen bestehe in einer „naturgegeben“ Mütterlichkeit, so zeigt nicht zuletzt die Coronapandemie in krasser Eindeutigkeit, dass, wenn es um Fürsorge, Kindererziehung und Verzicht auf selbstbezügliche Ziele geht, die Frau „naturhaft“ einspringt oder einzuspringen hat.
Dass sich die alte Vorstellung darüber, wer sich zu kümmern hat, in neuer Form durchhält, mag zum einen daraus resultieren, dass Männer mehr verdienen und die wenigsten Familien vom Gehalt einer Frau leben könnten. Zum anderen aber scheint sich - entgegen der veränderten Sprache von gleichen Rechten und Fähigkeiten - ideologisch die mal mehr mal weniger bewusste Vorstellung durchzuhalten, Frauen seien irgendwie „natürlicherweise“ mehr für die Fürsorge gemacht. Immerhin sind sie von der Natur zum Kinderkriegen befähigt worden, oder?
Dass das aber nicht so ist - dass sich aus dem bloßen Vorhandensein eines Uterus nicht - wie aus einem Samen die Blüte - „Mütterlichkeit“ einfach und ungestört entwickelt, das verrät sich übrigens bereits im „Goldenen Buch“ selbst. Denn wenn dort mit einem Goethezitat geschrieben wird, der Auftrag des Buches liege darin, „Mädchen zu Müttern“ zu „erziehen“, damit es „überall wohl stehen“ werde, dann kann es mit der „Natürlichkeit“ der Mütterlichkeit und der scheinbar nur von „Harmonie“ charakterisierten Mutterschaft nicht allzu weit her sein. Denn der Begriff Erziehung verweist einerseits sowohl auf Widerstand als auch auf natürliche Mangelhaftigkeit des zu erziehenden Menschen und andrerseits nicht auf Natur - sondern auf Gesellschaft.
 
Die Ideologie der glücklichen Familie
 
Dass eine Frau nach wie vor mit Fürsorge und ihr Glück mit Kindern identifiziert wird, liegt u. a. darin begründet, dass stets noch ein gesellschaftliches Tabu darauf liegt, die negative Seite der Mutterschaft offen zu verhandeln. Gesellschaftlich gibt es ein großes Ausschweigen über die Konflikte und Ambivalenzen, die Überforderungen und Unannehmlichkeiten, die Ängste und Reueempfindungen, die Wut und Verzweiflung, die Trauer und Resignation, die Mütter ereilen kann - erst recht, wenn sie mit der Carearbeit allein gelassen werden. Von Schwangerschaftsabbrüchen ganz zu schweigen.
Miterzeugt wird dieses Tabu nicht zuletzt von kultureller Seite. Ein Blick auf beispielsweise die Kunstgeschichte seit dem 18. Jahrhundert bis heute zeigt: Die Bilderwelt der bürgerlichen Gesellschaft ist überfüllt von Werken, die Mütter lediglich als Symbol von reiner Zärtlichkeit darstellen. Alle gleichen sie motivisch Werken wie dem Selbstporträt der Künstlerin Elisabeth Louise Vigée-Lebrun von 1787, deren Bild von Marie Antoinette mit ihren drei Kindern oder dem Werk „Madame Mitoire und ihre Kinder“ (1783) von Adélaide Labille-Guiard: In keinem erblickt man Konflikte - nur Zärtlichkeit und bloße Glückseligkeit in Verbundenheit, dasselbe Phantasma also wie im „Goldenen Buch“ - nur auf Leinwänden. Diese Verschmelzung von Frau, Mutter und Glück - diese Ideologie der glücklichen Familie hatte stets auch bevölkerungspolitische Gründe. So wurden Künstlerinnen, die sie malten, zwar in Frankreich staatlich gefördert, man gewährte ihnen aber keinen Zugang zu Kunstakademien. Das Motiv der glücklichen Mutter war vielfach der einzige Weg, sich als Künstlerin einen Namen zu machen.
 
Enttabuisierende Werke
 
Stammen die angesprochenen Bilder auch aus dem 18. Jahrhundert - künstlerische Produktionen, die sich enttabuisierend der Mutterschaft in ihrer ganzen Konflikthaftigkeit annehmen, um letztlich Frauen das Gefühl des persönlichen Scheiterns zu nehmen, sollten sie nicht nur Glück in ihrer Rolle empfinden, sind nach wie vor rar. Umso mehr lohnt es sich - und die Offenkundigkeit der Ausbeutung von Frauen durch die Vorstellung eines naturgegeben Mutterglücks durch die Pandemie verleiht dem Nachdruck - sich mit den Werken, die es gibt, zu beschäftigen.
Meret Oppenheims Votivbild (Würgeengel) von 1931 z. B., das sie mit 18 malte, ist zwar drastisch, doch lässt sich an der dargestellten Grausamkeit - eine Frau, die ein Kind hält, aus dessen Hals Blut auf den Boden strömt - gut verhandeln, wie viel Gewalt in der Erziehung von „Mädchen zu Müttern“ liegt und wie ambivalent die Beziehung zum Kinderkriegen für Frauen sein kann.
Einen anderen Blick auf Mutterschaft wirft die neun Meter hohe Spinnenskulptur „Maman“ von Louise Bourgeois von 1999. Sie zeigt zum einen die Mutter als fleißige Arbeiterin und zum anderen - aus dem Blick des Kindes - als eine unheimliche Überwältigerin. Dadurch stellt Bourgeois der mütterlichen Zärtlichkeit ein Schrecken an die Seite, den jede Mutter ihrem Kind unbewusst bereiten kann, weil der Schrecken über ihre eigene Ohnmacht in ihr selbst vorherrscht.
Vor dem Hintergrund der Pandemie und der gezeigten künstlerisch ausgearbeiteten Konflikte, die jede Mutter ereilt, könnte man der eigenen und der Kinder betreuenden Partnerin vielleicht dieses Jahr nicht nur Blumen, sondern auch das Gefühl schenken, dass man Verständnis dafür hat und ihr gern zuhörte, wenn sie sich Luft über ihre Überforderung, ihre Wut und Situation machen möchte - um im besten Fall gemeinsam etwas zu ändern.
 


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