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Versorger in misslicher Lage

Die Proteste gegen die Agrarpolitik der Ampel sind das Thema der Stunde. Doch worum geht es dabei eigentlich? Zahlen und Fakten zur Landwirtschaft.

Traktoren sah man in jüngster Zeit vermehrt auf Straßen. Foto: freepik

Traktoren sah man in jüngster Zeit vermehrt auf Straßen. Foto: freepik

Der Agrarsektor ist auch in einem hoch entwickelten Industriestaat wie der Bundesrepublik in doppelter Funktion wichtig: Einerseits produziert er Lebensmittel und gewährleistet damit die Versorgungssicherheit der Bevölkerung. Und auch wenn es auf den ersten Blick nicht so aussieht, ist die Landwirtschaft eine bedeutende Größe in der Volkswirtschaft.

 

Zahl der Beschäftigten

 

Aus dem Situationsbericht des Deutschen Bauernverbandes (DBV) für das Jahr 2022 geht hervor, dass 557.000 Personen ihre überwiegende Erwerbstätigkeit in der Land-, Forstwirtschaft und Fischerei ausübten - davon waren rund 36 % selbstständig. Insgesamt arbeiten also etwa 1 % der Erwerbstätigen in Deutschland in diesem Bereich. Die Zahl der Beschäftigten ist im Vergleich verschwindend gering - im Dienstleistungssektor arbeiten rund drei Viertel aller Erwerbstätigen.

Schätzungen des Bauernverbandes gehen jedoch davon aus, dass jeder zehnte Arbeitsplatz in Deutschland mit der Landwirtschaft in Verbindung steht. Denn Landwirte sind auch Kunden (ihre produktionsbedingten Ausgaben summierten sich 2022 auf fast 56 Milliarden Euro), außerdem können andere Branchen auf ihre Produkte nicht verzichten. Besonders kleinere und mittlere Betriebe aus Handel, Handwerk und Gewerbe seien stark mit dem Agrarsektor verflochten. Die gesamte Lebensmittelkette inklusive der Gastronomie wird unter dem Begriff „Agribusiness“ zusammengefasst - der mit 4,6 Millionen Erwerbstätigen im Jahr 2022 einen Anteil von etwa 11 Prozent ausmachte.

 

Die Lebensmittelversorgung

 

Die Versorgungssicherheit wurde nach dem russischen Überfall auf die Ukraine zum wichtigen Thema. Ein Blick auf den Selbstversorgungsgrad verschiedener landwirtschaftlicher Erzeugnisse zeigt: Die deutsche Landwirtschaft produziert in den meisten Bereichen genügend Lebensmittel, um den heimischen Markt zu versorgen. Beim Getreide werden insgesamt 101 Prozent des deutschen Bedarfs gedeckt - die Bilanz fällt für einzelne Sorten jedoch sehr unterschiedlich aus. So wird etwa deutlich mehr Weichweizen geerntet, als im Inland verbraucht wird. Hartweizen hingegen stammt nur zu 15 Prozent aus Deutschland. Schweinefleisch wird weit über den inländischen Bedarf hinaus produziert, Rind und Geflügel haben einen Selbstversorgungsgrad von 98 % bzw. 97 %.

Milch und Kartoffeln gibt es ebenfalls mehr, als wir verbrauchen. Lediglich Obst und Gemüse werden zu großen Teilen importiert. Die deutschen Betriebe decken nur rund ein Drittel des Gemüsebedarfs und ein Fünftel des Obstbedarfs.

 

Wie viel verdienen Landwirte?

 

Grundsätzlich schwankt der Umsatz landwirtschaftlicher Betriebe deutlich stärker als in anderen Branchen. Dafür sind wechselhafte Marktpreise ebenso verantwortlich wie gute oder schlechte Ernteergebnisse. Die Art des Hofes ist natürlich auch entscheidend: Läuft es für Milchbetriebe besonders schlecht, muss das im selben Zeitraum nicht auch für den Ackerbau gelten.

In den letzten zwei Jahren sind die Preise für viele landwirtschaftliche Produkte stark gestiegen - entsprechend haben sich auch die Gewinne der Betriebe erhöht. Gleichzeitig sind die Produktionskosten, getrieben durch die Energiepreise, heute ebenfalls höher als vor Beginn des Ukraine-Krieges. Im Wirtschaftsjahr 2022/23 hat der BDV auf Basis von mehreren tausend Buchführungsabschlüssen einen durchschnittlichen Gewinn von 115.393 Euro in Haupterwerbsbetrieben ermittelt. Das sind 45 % mehr als im Vorjahr. In Niedersachsen haben die Haupterwerbsbetriebe sogar 60 % mehr verdient, als im Vorjahr. Das ist natürlich nur ein Durchschnittswert: Es gibt große Betriebe, die mehrere Millionen Euro Umsatz im Jahr machen und kleine Höfe, die weit unter dem angegebenen Wert liegen.

Im Ackerbau haben größere Betriebe höhere Gewinnsteigerungen verzeichnet, bei den Veredelungsbetrieben war das Gegenteil der Fall: In den kleinsten Betrieben fiel der Zuwachs am höchsten aus. Doch nicht alle Landwirte haben gewonnen. Weinbauern - kleine, mittlere und große - mussten im letzten Wirtschaftsjahr Verluste hinnehmen.

 

Vergleiche kaum möglich

 

Während bei den Angestellten eindeutige Zahlen vorliegen, lässt sich das Einkommen selbstständiger landwirtschaftlicher Haushalte nur schwer beziffern und mit anderen Berufsgruppen vergleichen. Angestellte in der Landwirtschaft verdienen in Deutschland etwa die Hälfte des Durchschnittsgehalts. Laut Statistischem Bundesamt lag der durchschnittliche Bruttolohn für Angestellte 2021 bei 38.198 Euro, in der Landwirtschaft waren es 18.509 Euro.

Bei selbstständigen Einzelpersonen oder Personengesellschaften - die in der Landwirtschaft üblich sind - wird es kompliziert. Personal- und Produktionskosten werden in der Bilanz von Betrieben, die durch juristische Personen (wie z.B. eine Genossenschaft) geführt werden, vom Gewinn abgezogen - bei den meisten Landwirten nicht, weil sie als Einzelpersonen selbstständig sind. In diesem Fall müssen Kosten für Produktionsfaktoren wie Boden, Arbeit und Kapital sowie Investitionen vom Gewinn gedeckt werden. Lediglich Fremdlöhne werden vorher berücksichtigt. Zudem sind oft Familienmitglieder unentgeltlich im Betrieb tätig.

Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft hat einen Vergleichslohn errechnet, der diese Umstände berücksichtigen soll. Für das Wirtschaftsjahr 2021/22 wird das durchschnittliche Jahreseinkommen eines Landwirts mit 43.500 Euro pro Arbeitskraft angegeben. Die Zahl ist nicht besonders aussagekräftig, weil alle Rechts- und Betriebsformen (auch nebenerwerbliche) in die Berechnung einfließen. Zudem erzielen viele Betriebe auch Einkommen aus nicht-landwirtschaftlichen Tätigkeiten wie der Vermietung von Ferienwohnungen oder der Energieerzeugung durch Photovoltaikanlagen. Diese werden nicht berücksichtigt.

 

Subventionen

 

Die Landwirtschaft wird seit Jahrzehnten massiv subventioniert - in Europa vor allem durch Direktzahlungen der Europäischen Union, die sogenannten Flächenprämien. Sie machen etwa 70 % der ausgeschütteten Fördergelder aus. Die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) ist der am stärksten vergemeinschaftete Politikbereich in der Europäischen Union, die Subventionen werden fast vollständig aus dem EU-Haushalt finanziert. Mit ihnen sollen die Versorgungssicherheit gewährleistet und die jährlich schwankenden Einnahmen der Landwirte ausgeglichen werden.

Die meisten Betriebe könnten ohne staatliche Hilfen nicht bestehen. Im Schnitt machen Subventionen 48,5 % ihres Einkommens aus. Bei Haupterwerbsbetrieben ist der Anteil tendenziell etwas niedriger, bei Nebenserwerbsbetrieben hingegen besteht fast das gesamte Einkommen aus staatlichen Zahlungen: Im Wirtschaftsjahr 2021/22 lag der Anteil bei 97,4 %. Der Agrardiesel, der in den letzten Tagen viel diskutiert wurde, macht etwa 5 % der gesamten Subventionen aus. Etwa 2800 Euro kassierte ein durchschnittlicher Haupterwerbsbetrieb 2021/22 aus diesem Topf. Bei größeren Betrieben mit mehr Fahrzeugen fließen natürlich auch höhere Summen. Die Sparpläne der Ampel wurden schnell als Beschleuniger des Höfesterbens dargestellt. Agrarökonomen sind sich unterdessen einig, dass eine Streichung des Agrardiesels für die wenigsten Betriebe existenzgefährdend sein würde.

 

Kleine Betriebe können nicht wachsen und geben auf

 

An der Agrarpolitik mit ihren Subventionen gibt es viel Kritik. In der Landwirtschaft vollzieht sich seit Jahrzehnten ein Strukturwandel: Die Zahl der Höfe schrumpft jedes Jahr enorm, seit der Jahrtausendwende hat sie sich mehr als halbiert. Davon sind überproportional häufig kleinere Betriebe betroffen. Kritiker machen die Flächenprämien dafür mit verantwortlich. Sie helfen vor allem großen Unternehmen, denn wer mehr Land besitzt, bekommt mehr Geld von der EU. Das gilt auch für Nicht-Landwirte, die entsprechende Flächen besitzen - ein weiterer Kritikpunkt. Aldi und Lidl sind zum Beispiel vorne dabei. Viel Geld fließt auch an Ministerien, Landesbetriebe, Landesämter, Erzeugergemeinschaften oder außerlandwirtschaftliche Investoren. Auf der Liste der größten Subventionsempfänger stehen auf den obersten Plätzen nicht die Landwirte selbst.

Diejenigen, die überhaupt noch mithalten können, sehen sich einem enormen Wachstumsdruck und starker Konkurrenz um die vorhandenen Flächen (die wegen Umweltauflagen ohnehin schrumpfen) ausgesetzt. Kleinere Betriebe können sich die steigenden Bodenpreise nicht leisten und werden noch schneller verdrängt. In ihrer ohnehin prekären Wirtschaftslage sind sie darüber hinaus oft nicht im Stande, Investitionen zu tätigen, um neue Standards zu erfüllen. So kommen sie wiederum nicht in den Genuss weiterer Fördergelder, die an ebendiese Standards gekoppelt sind - und die Abwärtsspirale nimmt ihren Lauf.

 

Lobby gegen Landwirte?

 

Obwohl die Hilfsleistungen der EU bereits an gewisse Bedingungen und Umweltstandards geknüpft sind, wird das Subventionssystem von Umweltschutzverbänden auch dafür verantwortlich gemacht, dass der ökologische Umbau der Landwirtschaft keine Fortschritte mache. Für den Erhalt des Status quo setze sich vor allem eine gut vernetzte Lobby ein: Eine vom NABU in Auftrag gegebene Studie aus dem Jahr 2019 befasste sich mit Netzwerkstrukturen in der deutschen und europäischen Agrarpolitik. Im Fazit heißt es, „eine[r] geringe[n] Anzahl an Schlüsselakteuren“ sei es gelungen, die wichtigsten Führungspositionen in Aufsichts- und Kontrollgremien sowie weiteren strategisch wichtigen Netzwerkknoten zu besetzen. Dreh- und Angelpunkt sei der Deutsche Bauernverband.

Neben ihrer Aufgabe als Interessenvertreter der Landwirtschaft hätten die genannten Akteure Funktionen in weiteren Branchen, etwa der Finanz- oder Ernährungswirtschaft übernommen. Die Autoren der Studie vermuten hier Interessenskonflikte. Es sei „kaum nachvollziehbar, wie die unternehmerischen Zielsetzungen und Interessen der Agrar- und Ernährungswirtschaft mit der Vertretung der Interessen der Landwirte und -wirtinnen in Einklang zu bringen sind.“ Erstere seien um eine Weltmarktorientierung und größtmöglichen Absatz an Betriebsmitteln wie Dünge- und Pflanzenschutzmitteln bemüht. Der Erhalt einer bäuerlichen und nachhaltigen Landwirtschaft und eine umweltschonende Produktionsweise seien nachrangig. Dies stehe nicht nur im Widerspruch zum wissenschaftlichen Konsens in Sachen Klimaschutz, sondern schade letztendlich auch den Landwirten selbst.


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