

Osterholz-Scharmbeck/Bremervörde. Museen gelten als still, manchmal verstaubt und selten als Publikumsmagnet. Doch in einer Zeit, in der die Gesellschaft durch multiple Krisen unter Spannung steht, rückt eine ihrer zentralen Funktionen wieder stärker ins öffentliche Bewusstsein: die des Verstehens – durch historische Kenntnis und kritische Selbstreflexion.
Nicht zuletzt offenbart sich in den Debatten über den Ukraine- oder Gaza-Krieg, wie schlecht es um ein kritisches Geschichts- und Selbstbewusstsein bestellt ist. Museen und Galerien können dem etwas entgegensetzen: Sie ordnen ein, aber auch neu. Sie erinnern und stellen neue Bezüge her. Indem sie Selbstverständliches wie Selbstverständnisse infrage stellen, öffnen sie Räume für Debatten, die nicht in bloßen Standpunktproklamationen enden, sondern vor allem Fragen aufwerfen. Ob Klimawandel, Pandemien, Produktionsverhältnisse, Fluchtbewegungen, soziale Polarisierung oder digitale Umbrüche – die großen Fragen unserer Zeit lassen sich nicht allein durch politische Programme oder Experten beantworten. Sie verlangen historische und künstlerische Perspektiven, kulturelle Vergewisserung, öffentliche Auseinandersetzung – und nicht zuletzt: Deutung. Museen bieten all das. Sie sind Orte kollektiver Selbstreflexion jenseits tagespolitischer Aufgeregtheit.
Neues Selbstverständnis
„The Future of Museums in Rapidly Changing Communities“ – so lautet das Motto des diesjährigen Internationalen Museumstags, ausgerufen vom International Council of Museums (ICOM). Gemeint ist eine fundamentale Neuausrichtung: Nicht nur bewahren, sondern vermitteln – niedrigschwellig, pluralistisch und auf gesellschaftliche Erkenntnis und Solidarität bedacht.
Die Geschichte und Kultur kennen, um die Gegenwart zu begreifen – ein Credo, dem sich auch die Museen im Elbe-Weser-Dreieck umso mehr verschrieben haben, je stärker die Gegenwart von Krisen erschüttert wird. Ein Credo, das seinen Bildungsauftrag aus den gesellschaftlichen Herausforderungen ableitet.
Gegenwart verstehen
Das Bachmann-Museum in Bremervörde versteht sich als Regionalmuseum für das zentrale Elbe-Weser-Dreieck – mit einem breiten historischen Bogen von der Erdgeschichte bis zur Gegenwart. „Damit leisten wir als Museum einen wichtigen Beitrag für die heutige Gesellschaft, denn wir möchten die Menschen einladen, sich mit Geschichte auseinanderzusetzen und damit die Gegenwart besser zu verstehen“, so Ellen Horstrup, die Leiterin des Museums.
Krisenerfahrung
Auch in Worpswede veränderten die Krisen der Gegenwart die Arbeit des Museumsverbundes nachhaltig. Mit den Lockdowns der Pandemie „sahen wir eine Zeit von Wandel, Disruption und Krisen auf uns zukommen. Aus dieser Einschätzung heraus entwickelten wir für die Worpsweder Museen für die Jahre 2022 bis 2027 ein Langzeitprojekt mit dem Titel ZEITENWENDE. Kunst im Aufbruch in einer Welt im Umbruch. Wir konnten aber nicht ahnen, dass sich schon wenig später krisenhafte Ereignisse in immer schnellerer Folge überschlagen würden“, so Matthias Jäger, Geschäftsführer des Worpsweder Museumsverbundes.
Auch wenn die Aktualität des Konzepts „Zeitenwende“ kein Grund zur Freude sei, sei man froh, innerhalb dieses Rahmens auf weltpolitische, gesellschaftliche und ökologische Ereignisse kritisch und über sie hinausgehend reagieren zu können. Die Worpsweder Museen verstehen ihre Arbeit als Teil eines gesamtgesellschaftlichen Diskurses darüber, „wie wir in Zukunft leben wollen und wie wir den gewaltigen Herausforderungen, mit denen wir aktuell konfrontiert sind, begegnen können“, erklärt Jäger.
Subjekt werden
Politik und Kirchen hätten in den vergangenen Jahren viel Vertrauen verloren – und auch verspielt. Umso wichtiger seien heute Kultur und Bildung. Denn Kultur vermittle keine normativen Werte, sondern stelle Fragen, überschreite Grenzen, öffne Horizonte und ermögliche lebendige Erfahrungen. Sie schule „die Fähigkeit, das eigene Leben und die persönlichen Erfahrungen zu reflektieren und einen eigenen Wertekompass zu entwickeln. Sie machen uns zum Subjekt unserer eigenen Geschichte und zeigen uns, dass und wie wir unsere persönliche, soziale und politische Lebenswirklichkeit mitgestalten können“, so Jäger weiter.
Und abschließend hält er fest: „Kunst und Kultur stärken genau jene Kompetenzen, die wir in Zeiten von Konflikt, Umbruch und Krise am dringendsten brauchen: Initiative, Selbstwirksamkeit und Resilienz. Hier liegt die große gesellschaftliche Aufgabe der Kulturarbeit heute – und dies macht Kultur zu einer unverzichtbaren gesellschaftlichen Instanz.“
Der Anspruch und seine Grenzen
Doch der praktischen Umsetzung dieses kritischen Anspruchs stehen Hindernisse im Weg: sinkende Haushaltsmittel, Personalmangel und politische Vereinnahmung gefährden die Unabhängigkeit vieler Einrichtungen. Umso mehr müsse man die „Systemrelevanz der Kultur, von der während und nach der Corona-Pandemie viel gesprochen wurde“, durch die eigene Arbeit unter Beweis stellen.
Von dieser Arbeit können sich die Menschen an diesem Wochenende überzeugen – nicht nur in Worpswede, sondern auch in Bremervörde. Zwar bleiben die Ausstellungsräume dort wegen Sanierung geschlossen, doch auf dem Außengelände finden eine kostenlose Führung zur Geschichte des Bremervörder Schlosses sowie ein Programm zum Leben in der Mittelsteinzeit statt. Darüber hinaus beteiligen sich in Niedersachsen mehr als 300 Häuser am Museumstag – darunter auch viele kleinere Initiativen, die sich verstärkt Fragen der Inklusion, Barrierefreiheit und Diversität widmen.