

Der Ortsverband Bremervörde von Bündins90/Die Grünen beklagt in einer Pressemitteilung eine angeblich drohende „Vernichtung“ der Bevölkerung im Gazastreifen. Die vorgebrachten Argumente überzeugen dabei nicht – illustrieren aber die deutschen Projektionen im jüdischen Überlebenskampf und entlarven das selbstgerechte Theater deutscher Erinnerungspolitik, kommentiert Jooris Mettler.
Geht es in Deutschland um Israel, sind bedeutungsschwangere Phrasen und gönnerhafter Habitus meist nicht weit. Man hat so sehr aus der Geschichte gelernt, dass man vielleicht solidarisch mit den Menschen in Israel ist, aber doch auf keinen Fall mit der ultrarechten, rechtsnationalen, rechtsextremen, rechtsreligiösen Regierung Netanyahu. Rechts sind schließlich die Nazis. Das haben auch ihre historischen und prospektiven Opfer zu verstehen.
Richtschnur dieses deutschen Empfindens sind Völker- und Menschenrecht: Staaten die auf Krieg verzichten, das Ziel - nicht weniger als der Weltfrieden.
Es scheint der radikale Gegenentwurf zum nationalsozialistischen Traum von Lebensraumerweiterung und Endsieg, als dessen erstes Opfer man sich erinnert und dessen Bürde man trägt. Und auf die große Last folgt große Verantwortung: „unsere historische Verantwortung bedeutet nicht, dass wir schweigen dürfen, wenn grundlegende Menschenrechte verletzt werden. […] Gerade aus unserer Geschichte heraus tragen wir eine besondere Verantwortung für den Schutz von Menschenrechten“, lässt der Ortsverband Bremervörde wissen.
Deutsche Phraseologie
Wer bei solch hohen Ansprüchen nun eine gründliche Analyse oder gar Kritik jener Zustände, die der Verwirklichung des utopischen Gehalts der Menschenrechte entgegenstehen, erwartet, übersieht die Schutzfunktion dieser Phrasen. Sie werden nicht vorgetragen, weil sie Ausdruck von Reflexion auf Geschichte sind, die ihr Wirken in der Gegenwart festhält. Solche Phrasen werden vorgetragen, weil sie die von der Geschichte herangetragene Schuld für den antisemitischen Affekt aus der Gegenwart verbannen sollen. Der Affekt bleibt den deutschen Phraseologen schuldlos erhalten, verkleidet sich dabei aber als Widerstand gegen das historische Unrecht. So kommt es dann, dass die Kämpfer „für den Schutz von Menschenrechten“ ihre Verbündeten für eine „dauerhafte Lösung des Palästinakonflikts“ in den menschenrechtlichen Vorbildstaaten „Saudi Arabien, Ägypten, Jordanien und auch Quatar [sic]“ sehen und sich die Forderungen der antisemitischen BDS-Kampagne (etwa Boykott, Investitionsabzug, Sanktionen) zu eigen machen.
Zum Äußersten schreiten
Das Pogrom des 7. Oktobers 2023, als tausende palästinensische Terroristen und Zivilisten unter Federführung der Hamas in Israel einfielen, tausendfach mordeten und Hunderte in die Terrortunnel von Gaza entführten, wird ihnen zur Randnotiz. Für den Ortsverband Bremervörde rechtfertigt dieser ohnehin „nicht die jetzt schon jahrelange Dauer der Kriegsführung“, die man freilich als „gegen die Menschen im Gaza-Streifen“ imaginiert. Während der israelischen Regierung vorgeworfen wird „die Befreiung der Geiseln steh[e] nicht mehr im Mittelpunkt“, fordert der Ortsverband an dieser Stelle noch nicht einmal ihre Freilassung. Dabei war es diese israelische Regierung die, nach dem Versagen vom 7. Oktober, den Krieg an weiteren fünf, fast gleichzeitig von islamischen Antisemiten eröffneten Fronten gewonnen hat.
Ebenso hat sie durch Diplomatie, militärischen Druck und geheimdienstliche Präzision 202 der 251 Verschleppten befreien können. Gegen die unterstellten sinistren Absichten haben Fakten aber keine Chance. Unter Zuhilfenahme von Propaganda der Hamas, wie etwa Schätzungen von Opferzahlen aus Gaza, bei denen nicht zwischen Kämpfern und Zivilisten unterschieden wird, zeichnet das antisemitische Bewusstsein eine Notwehrsituation, in dem es zum Äußersten schreiten darf.
Pogramm zum Pogrom
Die Forderungen des Ortsverbands sind offenkundig nicht geeignet, das von der Hamas und ihren journalistischen Zuarbeitern – von Al-Dschazira bis zur Zeit – mit fragwürdigen Bildern mobilisierte Leid der Bevölkerung im Gazastreifen zu lindern. Ausgerechnet die Vereinten Nationen sollen sich um Lieferung und Verteilung von Medikamenten und Lebensmitteln kümmern. Verschwiegen wird die dutzendfache Unterwanderung durch und Kooperation mit Terrororganisationen, die antiisraelische Obsession ihrer Institutionen sowie ihr Scheitern an der Verteilung von Gütern, die in den Lagern der Hamas und anderer Terrorgruppen sowie auf Märkten zu überhöhten Preisen landen, statt wie vorgesehen kostenlos in den Händen von Bedürftigen. Statt zu Fordern, dass Zivilisten aus Kriegsgebieten zu evakuieren sind, sollen sie mit aller Gewalt im Kriegsgebiet verbleiben. Es ist damit nur eine vermeintliche Blauäugigkeit, mit der man sich die Endlösung der Palästinafrage unter Aufsicht islamischer Racketstaaten herbeisehnt und darauf drängt, Israel zum Pariastaat zu erklären.
Stimmt man in Deutschland in den Chor der antisemitischen Internationalen ein, so zumeist noch unter dem Vorwand historischer Verantwortung. „Zweistaatenlösung“ lautet das deutsche Mantra, während die dafür vorgesehenen Partner die arabisch-islamische Einstaatenlösung organisieren. Völker- und Menschenrecht werden betont, während man mit Staaten kooperiert, welche die Scharia fordern. Was sich nach Außen wie ein Widerspruch darstellt, ist innere Konsequenz des deutschen Bewusstseins. Der antisemitische Affekt verkleidet sich gegenüber seinen Trägern, die ihrerseits durch Phrasen die eigene Gedankenwelt desinfizieren. Die zitierte Verantwortung entpuppt sich damit als deutsches Programm zum Pogrom.