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„Nicht berührt zu werden, ist eine Qual“

Landkreis (lst/pvio). "Ich kenne niemanden, der an Corona erkrankt ist" - Nun wir schon. Interview mit Patrick Viol über seine Corona-Infektion

Auf den letzten Metern des Jahres hat es unseren Chefredakteur erwischt: Seit zwei Wochen ist er an Covid erkrankt und entsprechend in seinem WG-Zimmer eingesperrt. Nun, fünf Tage vor seiner Entlassung aus der Quarantäne, haben wir mit ihm darüber gesprochen, wie es ihm ergangen ist.
 
Wie hast Du gemerkt, dass Du an Corona erkrankt sein könntest?
 
Als ich auf einmal anfing, husten zu müssen, habe ich es in Betracht gezogen, obwohl niemand in meinem Umfeld erkrankt war. An einem Donnerstagabend zuvor hatte ich leichtes Halskratzen, redete mir aber ein, das käme davon, zu viel Staub beim Löcherbohren eingeatmet zu haben. Man kann halt in der Pandemie leben und immer noch denken: Ach, das trifft mich schon nicht und erfindet dann erst einmal viele Gründe, warum Halskratzen kein Symptom des Virus sein kann. Was zu tun, offenkundig Quatsch ist.
 
Was hast Du getan, als Du zu husten anfingst?
 
Ich habe meinen Mitbewohnern Bescheid gegeben. Die haben dann ihre Freunde kontaktiert, die sie zwei Tage vor meinem ersten Symptom gesehen hatten. Und ich bin vorsichtshalber in Quarantäne gegangen. Mit der Absicht, am Montag in die Coronasprechstunde meines Hausarztes zu gehen, sollten die Symptome nicht zurückgehen. Ich hoffte natürlich, nicht Corona zu haben. Aber am Sonntagmorgen schmeckte der Kaffee bereits nach dickem Wasser und Deo konnte ich auch nicht mehr riechen, obwohl ich es mir auf die Nase sprühte.
 
Was hast Du gedacht, als Dir klar wurde, dass Du Covid hast?
 
Hoffentlich habe ich niemanden angesteckt und hoffentlich haben meine neuen Mitbewohner nicht bereits nach vier Tagen keine Lust mehr auf das Zusammenwohnen mit mir.
 
Und hast Du jemanden angesteckt?
 
Ja, einen meiner Mitbewohner.
 
Wie fühlst Du dich mit dem Wissen, jemanden angesteckt zu haben?
 
Anfänglich fühlte ich mich total schlecht. Ich hatte ein arges Schuldgefühl, obwohl ich ja weder fahrlässig noch unachtsam war - die Ansteckung muss über eine asymptomatisch erkrankte Person erfolgt sein. Aber ich mag es nicht, Menschen zum Nachteil zu gereichen. Nun hatte ich einen mit Covid infiziert, wodurch sich natürlich seine Freundin auch ansteckte, und zudem meine beiden anderen Mitbewohner für zwei Wochen in Quarantäne verfrachtet. Wobei einer früher raus durfte. Er war nur ein K2-Kontakt. War alles elend. Vor allem hatte ich Angst vor einem schweren Verlauf bei meinem Mitbewohner. Aber alles ist gut ausgegangen. Alle sind übern Berg.
 
Und wie war Dein Verlauf?
 
Mild. Die ersten Tage war harte Grippe angesagt, aber zum Glück kein Fieber. Und dann ging es bergauf. Nun kommen langsam Geruch und Geschmack zurück. Nur das Atmen fühlt sich noch nicht nach Originalzustand an.
 
Wie haben Deine Mitbewohner auf Dein positives Testergebnis reagiert?
 
Zum Glück total entspannt. Ist halt gerade so, dass das passieren kann. Dann fühlte ich mich besser. Und auch mein infizierter Mitbewohner nahm es locker. Dass wir nun wohl für die nächsten Monate immun sind, hat ja auch Vorteile, so unsere positive Wendung der Misere.
 
Fühlst Du dich vom Gesundheitsamt gut betreut?
 
Sagen wir so: Für eine Behörde kamen die Antworten auf Mails recht schnell. Aber mein Hausarzt ist top.
 
Welchen Geschmack/Geruch vermisst Du am meisten?
 
Kaffee. Ich meine, ich stehe in erster Linie auf wegen des Zeugs.
 
Du bist die meiste Zeit alleine im Zimmer. Welche Gedanken beschäftigen Dich bezogen auf Deine Situation?
 
Wie verdammt beschissen es ist, allein eingesperrt zu sein. Dabei geht es nicht um Langeweile. Sondern darum, dass dieses Bedürfnis nach Austausch mit physisch präsenten Menschen unfassbar groß wird. Da hilft auch kein Telefonieren. Da fehlt das somatische Moment, das einen das Gespräch mit einem Freund oder einer Freundin erleben und genießen lässt.
Wir sind halt gegenständliche, leibliche Wesen, die am Leib anderer teilhaben wollen und die sich selbst nur dann ganz erfahren, wenn sie leibhaftig angesprochen werden oder wenn andere durch Berührung der eigenen Haut an einem teilhaben. Sowieso: Nicht berührt zu werden, ist eine Qual. Da wird einem noch einmal klar, dass Isolationshaft eine Form der Barbarei und Folter ist.
 
Und womit hast Du dir die Zeit vertrieben?
 
Lesen. Ich hatte noch einen ganzen Stapel ungelesener Comics und Sibylle Bergs 600-Seiten-Roman GRM, an dem ich schon seit 2019 knapse. Noch 50 Seiten to go. Endlich.
 
Gibt es etwas Positives an der Quarantäne?
 
Klar, die Unterbrechung der Infektionskette.
 
Was mach du als Erstes, wenn Du wieder raus darfst?
 
Einen Kasten Bier kaufen.
 
Na dann Prost!


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