Martin Luther: Die antisemitischen Fantasien des großen Reformators
An diesem Wochenende wird überall dort, wo der evangelische Konfession verbreitet ist, der Reformationstag gefeiert. Die Geschichte dazu ist bekannt: Martin Luther, ein Priester und Theologieprofessor, der zuvor die Bibel übersetzte, schlug seine 95 Thesen gegen den Ablasshandel an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg. Doch neben dieser allgemein bekannten Position Luthers existiert eine weitere, weniger bekannte oder gern verdrängte: Der Begründer des evangelischen Glaubens war Antisemit durch und durch.
Schon vor Luthers Zeit war die christliche Kirche und mit ihr die mittelalterliche deutsche Gesellschaft antisemitisch geprägt. Papst Leo VII. erklärte Jüdinnen und Juden bereits im zehnten Jahrhundert zu „Feinden des Herrn“. Spätestens mit der Pest, für die Jüdinnen und Juden in der abstrusen Verschwörungstheorie, sie seien Brunnenvergifter, verantwortlich gemacht wurden, hatte sich eine antijudaistische Haltung in der Gesellschaft verbreitet. Gegen sie kam es immer wieder zu Progromen.
Antisemitismus als Glaubensgrundsatz
Durch die Verbreitung des protestantischen Glaubens samt dessen rigoroser lustfeindlicher Arbeitsethik in den deutschen Staaten nahm der Antisemitismus eine neue Form an. Er wurde durch Luthers Schriften und Vorstellungen zu einem Grundsatz des Glaubens und somit auch des alltäglichen Lebens.
Immer wieder bezeichnet Luther die Jüdinnen und Juden als „Wucherer“ und bezichtigte sie, die christliche Mehrheitsgesellschaft gezielt auszunutzen. Sie seien „faule Junker“, „giftige, bittere Würmer, keiner Arbeit gewöhnt“ und „fressen, saufen, leben sanft und wohl von unserem erarbeitetem Gut.“ Durch solche Formulierungen befeuert Luther bestehende, christlich geprägte Vorurteile. Waren es doch die Christen, die die Juden zwangen, nur Geldverleih auszuüben.
Schließlich ruft Luther explizit dazu auf, Jüdinnen und Juden zu vertreiben: „Drum immer weg mit Ihnen“. Auch an ihrer Religionsausübung sollen sie gehindert werden. Ums das zu erleichtern, sollen ihre Häuser angezündet und ihr Besitz konfisziert werden. So schreibt Luther: Wenn „Moses (...) jetzt lebte, so würde er der erste sein, der der Juden Schulen und Häuser ansteckt.“
Neben der Bevölkerung prägte Luther aber auch die Ansichten der herrschenden Fürsten und Könige, was zu einer Reihe von antijudaistischen Gesetzen und Regelungen führte, die offiziell die Vertreibung von Jüdinnen und Juden ermöglichte, wie der Historiker Klaus Thörner darlegt.
Luther und Hitler
Doch nicht nur zu seiner Zeit, auch viel später prägte Luther noch antisemitische Ideologien und daraus resultierende Handlungen. Der Antisemitismus der Nationalsozialisten bezieht sich zu großen Teilen auf das, was im Mittelalter und der Neuzeit bereits geprägt wurde. Der Judenstern hat zum Beispiel einen Erlass aus dem Heiligen Römischen Reich als Vorbild, durch den Juden sich mit einer gelben Markierung immer zu erkennen geben mussten. Luthers Schriften wurden während der Herrschaft der NSDAP immer wieder zitiert und als Belege und Begründungen benutzt. Er war sogar eines der größten, wenn nicht sogar das größte Vorbild. Luther wurde so unter anderem als „deutscher Revolutionär“ bezeichnet, dessen Werk Hitler nun vervollständigen würde.
So erklärte der Bundesdirektor des Evangelischen Bundes Fahrenhorst auf dem Eislebener Luthertag am 20. August 1933: „Wahrhaftig. Sie gehören zusammen, Martin Luther und Adolf Hitler, die Reformation 1517 und die deutsche Erneuerung von 1933. (...) Damals wie heute sandte Gott einen Mann als Retter - damals den Bergmannssohn aus Eisleben, den Volkskanzler des Dritten Reiches heute.“
Die nationalsozialistische Regierung hatte sich dementsprechend auch nie von der christlichen Religion losgesagt. Hier hatte sie durch Luther eine ideologische Basis für ihren Antisemitismus. Auch die bekennende Kirche, die als Gegenspieler der deutschen Christen, also der nationalsozialistischen Kirche, auftrat, bekannte sich aus diesem Grund kaum gegen Hitlers Antisemitismus.
In der jüngeren Vergangenheit gibt es zwar vermehrt Distanzierungen zu Luther seitens der Kirche, diese fallen jedoch oft schwerfällig aus und relativieren Luther auf die eine oder andere Weise. So distanzierte sich die Synode der evangelischen Kirche Deutschlands 2015 von seinen Aussagen, verurteilte ihn dennoch nicht vollends.
Zitate aus: Klaus Thörner: „Die Reformation oder: Wie der Judenhass zum deutschen Beruf wurde.“