Patrick Viol

„Man hält mit allen Menschen zusammen“: Interview mit Fridays For Future Osterholz

Landkreis Osterholz: Der ANZEIGER sprach mit der Fridays For Future Gruppe Osterholz über ihre Kritik an der deutschen und europäischen Migrationspolitik.
 
Friday For Future Osterholz kämpft für Klimagerechtigkeit. Das schließt für sie ebenso ein Engagement für Schutz suchende Menschen ein.

Friday For Future Osterholz kämpft für Klimagerechtigkeit. Das schließt für sie ebenso ein Engagement für Schutz suchende Menschen ein.

Seit Monaten wird in den Medien über die unwürdigen Bedingungen in den Flüchtlingscamps auf den griechischen Inseln gesprochen. Doch bisher blieb die EU nahezu untätig. Von den geplanten 1600 Schutzsuchenden wurden bisher 62 Kinder aufgenommen. Darüber und noch mehr sprachen mit dem ANZEIGER Marvin, Jerik, Hanna und Sven.
 
ANZEIGER: Sie kritisieren die griechische Asylpolitik, warum?
 
FFF: Weil die griechische Regierung das Asylrecht (teilweise) ausgesetzt hat, aber Menschen ein Recht auf Asyl haben. Außerdem werden die griechischen Inseln mit der Flut von Menschen alleine gelassen. Wir kritisieren aber nicht nur die Flüchtlingspolitik von Griechenland, sondern sehen auch die gesamte Europäische Union in der Verantwortung. Es geht hier immer noch um Menschen und die muss man mit aller Macht, die man zur Verfügung hat, schützen. Deswegen gibt es ja das Asylrecht. Wir sind dagegen, wenn aufgrund von Unstimmigkeiten Politik auf Kosten von Menschen gemacht wird.
 
ANZEIGER: Was denken Sie, warum Deutschland sich in dieser Flüchtlingskrise so zurückhält?
 
FFF: Das liegt vor allem daran, dass Deutschland sich einen Alleingang nicht traut. Es wird versucht, das möglichst viele Länder in Europa zusammen machen zu lassen. Da es in Europa gerade überhaupt nicht funktioniert, eine gemeinsame Lösung mit Kontingenten zu finden, passiert da eigentlich gar nichts. Deutschland müsste sagen: Wenn es zusammen nicht klappt, müssen wir den ersten Schritt machen.
Die Bundesregierung hat ein bisschen Angst, wieder so vorzupreschen wie 2015. Auch wegen der AfD. Ohne die Flüchtlingspolitik der Regierung würde die AfD heute nicht so stark dastehen. Weil so viele Menschen mit der Flüchtlingspolitik unzufrieden sind.
 
ANZEIGER: Macht die Regierung damit nicht Zugeständnisse an die Rechtspopulisten?
 
FFF: Natürlich knickt die Regierung in gewisser Hinsicht gegenüber rechten Parteien ein. Man sieht ja, wie sich das politische Feld aufgrund der Flüchtlingskrise in anderen Nationen der Europäischen Union verändert hat. Anstatt jetzt Flagge gegen rechts zu zeigen und zu sagen: „Wir haben aus den Fehlern in 2015 gelernt und jetzt können wir uns besser europäisch koordinieren und Flüchtlinge unter menschenwürdigen Bedingungen unterbringen, ohne Chaos“, riskiert man eine humanitäre Katastrophe. Denn da stehen Menschenleben auf dem Spiel. 20.000 Menschen sind unter unmenschlichen Bedingungen auf Moria eingesperrt. Sollte sich das Coronavirus dort ausbreiten, führt das zu einer Katastrophe. Da jetzt nicht nichts machen, weil man Angst hat vor den Rechten hat ...
 
ANZEIGER: Luxemburg hat nun 12 Kinder aufgenommen, Deutschland will 50 aufnehmen. Ist das schlechte Symbolpolitik oder ein gutes Signal?
 
FFF: Schwierig. Schön, dass Luxemburg, obwohl es so ein kleines Land ist und ebenfalls von Corona betroffen ist, diesen Schritt trotzdem geht. 12 Kinder von 20.000 Menschen ist aber ein Tropfen auf den heißen Stein. Vielleicht aber ein guter erster Schritt.
 
ANZEIGER: Wie sind die Zustände in den Camps derzeit?
 
FFF: Die Camps waren für 6.000 Menschen gedacht. Jetzt sind da fast 43.000. Was auch zu Konflikten mit der angrenzenden Bevölkerung führt. Zudem ist die gesundheitliche Lage sehr schlecht: Geringe Wasserversorgung, schlechte hygienische Bedingungen. Man wohnt in Zelten, ohne Heizquelle in den Nächten. Auch sind nur wenige Ärzte vor Ort. Wenn das Coronavirus in diesen Lagern ausbricht, wird sich das aufgrund der nicht möglichen Einhaltung von Abständen rasend schnell ausbreiten und Hunderte Tote mit sich bringen.
Und die Einwohner auf Lesbos fühlen sich allein gelassen mit dieser Situation: Sie sehen das Grauen täglich und sehen auch, dass sich nichts ändert. Es kommt uz Konflikten, die leider nicht immer friedlich sind. Armut und Verzweiflung führen zu einem gewissen Misstrauen der Bevölkerung gegenüber den Flüchtlingen.
 
ANZEIGER: Auf Instagram fordern sie eine Ende des asylpolitischen EU-Türkei Deals. Was ist ihre Kritik an dem Deal?
 
FFF: Die EU lässt sich mit diesem Deal von der Türkei erpressen. Mit dieser Politik wird mit Menschenleben gespielt und nicht auf Menschen in ihrer Notsituation geschaut. Menschen werden wie politische Schachfiguren behandelt.
Die türkische Innenpolitik, die nicht unbedingt demokratisch und freiheitlich ist, wird mit einem solchen Deal indirekt von der EU unterstützt.
 
ANZEIGER: Wie sollte europäische Migrationspolitik Ihrer Meinung nach aussehen?
 
FFF: Die Länder der EU sollten deutlich mehr zusammenarbeiten. Nicht nur in der Migrationspolitik, sondern auch in der Klimapolitik. So könnte mehr erreicht werden. Die europäische Asylpolitik sollte auf Gerechtigkeit beruhen. Flüchtlinge sollten nicht Asylanträge in dem Land stellen müssen, das sie zuerst betreten. Dann sind Länder an den Außengrenzen total überfordert und können die Menge an Asylanträgen gar nicht bearbeiten. Zudem werden sichere Fluchtwege und ein gerechter Verteilmechanismus der Flüchtlinge unter den Ländern benötigt. Damit es nicht zu einer solchen Situation wie derzeit in Griechenland kommen kann.
 
ANZEIGER: Fridays For Future ist eine Bewegung für Klimagerechtigkeit. Wie hängt damit Ihr Engagement für Schutzsuchende zusammen?
 
FFF: Neben einer konsequenten Klimapolitik muss es soziale Gerechtigkeit unter den Menschen geben. Wenn nur Konzerne bestimmen, wie unser Leben in der Zukunft aussehen soll, folgt eine zerstörte Welt. Industriestaaten sind hauptsächlich verantwortlich für den Klimawandel, aber arme Länder bekommen das meiste davon ab. Was das Leben dort verschlechtert und neue Fluchtursachen schafft. Wir fordern dagegen die Durchsetzung weltweiter Gerechtigkeit. Das heißt auch, dass allen Menschen in allen Not und Krisensituationen Unterstützung zu leisten ist. Man hält mit allen Menschen zusammen.
Am 24. April wären weltweit Menschen für das Klima auf die Straße gegangen. Nun wird die Demonstration ins Netz verlegt. Beim Livestream for Future können alle mitmachen. Die Osterholzer Gruppe startet um 16 Uhr einen Livestream auf Instagram (fridaysforfuture_osterholz) und Youtube. Hier gibt es verschiedene Redebeiträge zu sehen und zu hören. Die Gruppe ruft aber auch zur Beteiligung mit kreativen Beiträgen auf. Melden kann man sich dazu unter E-Mail: fff.ohz2019@gmail.com. Wer möchte kann ebenso Plakate mit Forderungen zur Klimagerechtigkeit ins Fenster oder an Zäune hängen.


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