Kultur- und Krisengespräche
Zuerst hat Kevin Kühnert die Moormetropole Gnarrenburg besucht. Am vergangenen Sonntag, bevor er am Montag in Worpswede eintraf. Nach Gnarrenburg eingeladen hatte ihn der niedersächsische Landtagsabgeordnete Bernd Wölbern. Nach Worpswede kam er auf Einladung von Landtagskandidat Frederik Burdorf. Beide kennen sich aus ihrer Zeit bei den Jusos.
Beim Besuch in Gnarrenburg diskutierten Mitglieder der Gnarrenburger Ortsverbände vom Sozialverband, der Arbeiterwohlfahrt sowie der SPD mit dem schlagfertigen Generalsekretär im Gnarrenburger Bürgerhaus. In einer gut neunzigminütigen Gesprächsrunde trugen die Anwesenden ihre politischen Anliegen, Wünsche und Probleme an Kühnert heran.
Der Kampf mit den Liberalen
Die Themen würden auf dem Tisch liegen, so Kühnert. In diesem Fall sogar buchstäblich. Denn Wölbern hatte alle Zuhörenden gebeten, ihre Fragen niederzuschreiben und Kühnert beantworte sie alle. Er erklärte u. a., dass er bis zum Ende des Monats mit der SPD das dritte Entlastungspaket auf den Weg bringen möchte. Einige Komponenten würden bereits jetzt feststehen. Weiterhin begrüße Kühnert den Vorschlag, „etwas“ bei der Einkommenssteuer zu machen, jedoch nicht in dem Sinne, wie der FDP-Vorsitzende und Bundesfinanzminister Christian Lindner ihn eingebracht habe.
Bei seinen Ausführungen traf der Generalsekretär der SPD nicht nur auf interessierte Zuhörende, sondern er erntete mit seinen Statements obendrein einige Lacher: „Herr Lindner ist zwar ein Liberaler, aber er ist ja nicht doof. Er hat sehr gut verstanden, wenn er in Euro und Cent ausrechnet, herauskommt, wie viel Entlastung für wen herausspringt“ und das sehe dann ein wenig peinlich für ihn aus. „Also hat er sein Einkommenssteuer-Entlastungsmodell nach Prozenten gemacht“, frotzelte der 33jährige Politiker.
Bei den Reformen könne die SPD jedoch nicht allein darüber entscheiden, wie diese aussehen könnten, sondern müsste in die Auseinandersetzung mit den Koalitionspartnern gehen. Daher möchte der Bundestagsabgeordnete jetzt nicht zu viel Erwartung ins Schaufenster stellen, die er am Ende dann vielleicht nicht einlösen könne. Klar sei jedoch, dass ein Heizkostenzuschuss dauerhaft im Wohngeld implementiert werden wird. Darüber habe man sich mit den Koalitionspartnern bereits geeinigt.
Worpswedes Zeitenwende
Um die Unterschiede zum liberalen Koalitionspartner ging es auch beim Besuch in Worpswede - aber erst zum Schluss.
Zunächst besuchte Kühnert zusammen mit Frederik Burdorf, Michael Harjes und den Worpsweder Gemeinderäten Gesa Wetegrove und Andreas Uphoff die Große Kunstschau, um sich den Teil der 150 Jahre Vogeler Ausstellung anzuschauen, in dem Werke des Worpsweder Künstlers mit Gegenwartskunst in einen Dialog gebracht werden.
Die gemeinsame Klammer der alten und neuen Werke ist der Begriff soziale Gerechtigkeit - kritische Impulse für eine Zeit im Umbruch zu setzen, ist der Anspruch der Ausstellung, die in dem größeren Rahmen „Zeitenwende“ läuft.
Als Kühnert von diesem Namen des in den nächsten fünf Jahren laufenden Projekts (wir haben berichtet) erfuhr, konnte er es sich erneut nicht nehmen lassen, einen Lacher zu platzieren: „Also hier hat der Kanzler sich das abgeguckt“.
Soziale Gerechtigkeit
Nicht ab - sondern angeguckt hat sich Kühnert aber nicht nur Kunstwerke, sondern auch die Klima- und Filteranlage der Großen Kunstschau, wodurch schnell die Energiekosten zum Gegenstand der Unterhaltung wurden.
Die belaufen sich auf ca. 60.000 Euro für Strom und 18.000 Euro für Gas, Normalerweise. Die nächste Abrechnung werde deutlich höher ausfallen, wie Arne Segelken, der Geschäftsführer der Kulturstiftung Landkreis Osterholz und damit des Trägers der vier großen Worpsweder Museen, deutlich machte. Entsprechend müsse man schauen, wie man die Krise bewältigen könne. Vielleicht mit Schließungen im Winter. Denn realistisch betrachtet stünden die Worpsweder Museen nicht ganz oben auf der Prioritätenliste der Bundesregierung - Es ist ein bitterer Widerspruch: Man lauft durch eine Ausstellung mit Werken eines Künstlers, der sich eine Welt befreit vom Kapitalismus wünschte und doch muss man über Geld reden. Vor allem darüber, dass es zu wenig ist. Ästhetischer Eskapismus fällt schwer dieser Tage.
So sprach man auch beim Abschlussgespräch nur in dem Sinne über Kultur, dass es kleine Kulturstätten beim Verteilungskampf um Mittel in der Krise nicht leicht haben werden. Doch Kühnert werde - wie Wetegrove es sich von ihm wünscht - in Berlin ein gutes Wort für Worpswede ein legen.
Das werde Kühnert auch für die tun, für die auch Vogeler einstand: für die Einkommensschwachen, für die arbeitende Bevölkerung. Denn wie für Vogeler sei der Begriff soziale Gerechtigkeit auch für Kühnert zentral und einer, für den man gerade in der Krise einzustehen habe - vor allem „als Sozi“, wie er einer sei.
Das sei in der Koalition mit den Liberalen zwar nicht einfach, da sie andere Vorstellungen von Gerechtigkeit hätten. Aber Kühnert werde sich mit Nachdruck für sein Verständnis sozialer Gerechtigkeit einsetzen, nach welchem z. B. auch eine „Übergewinnsteuer“ möglich wäre, so Kühnert.