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Patrick Viol

Kommentar: Zeit zum Dagegenhalten

Unser Chefredakteur zu den rassistischen Risiken und antisemitischen Nebenwirkungen der Corona-Pandemie.
Gegenhalten, wenn Ideologen die Pandemie nutzen, um ihren Hass zu verbreiten.  Foto: El Lissitzky/wikicommons

Gegenhalten, wenn Ideologen die Pandemie nutzen, um ihren Hass zu verbreiten. Foto: El Lissitzky/wikicommons

Haben Sie auch schon Zwiebeln aufgeschnitten und in der ganzen Wohnung ausgelegt, weil sie irgendwo gelesen haben, dass Zwiebelhälften dem Coronovirus einen Lebensraum bieten und es somit gebunden werden könnte?
Oder sind Sie, weil sie einen trockenen Husten bemerkten, vielleicht auf die nächste Kuhwiese gerannt und haben sich die Brust mit Kuhdung eingeschmiert, weil das eine indische und der Schulmedizin - sagen wir mal - skeptisch gegenüberstehende Politikerin auf Twitter als Therapie gegen Corona empfiehlt? Oder haben sie bereits versucht, sofern sie Fieber haben sollten, es mit den besten Hits von Modern Talking zu erschrecken, sodass es Ihnen ad hoc aus dem Kopf springt?
Zugegeben, das letzte Beispiel habe ich mir gerade ausgedacht. Aber obwohl die anderen auch ausgedacht sind, werden sie massenhaft von Leuten geglaubt. Denn was sich derzeit vielleicht gar schneller als Covid-19 ausbreitet, das sind die Verschörungstheorien über das Virus. Und die sind bei Weitem nicht so unterhaltsam wie die genannten. Diese sind zwar auch gefährlich, weil sie, sofern sie geglaubt werden, Menschen von einer ernsthaften Therapie abhalten. Was wiederum wieder andere gefährdet.
Aber die weltweit verbreiteten Verschwörungstheorien, die das Virus entweder als absolut ungefährlich oder aber als eine biologische Waffe verklären, sind nicht nur wahnwitzig und gesundheitsgefährend, sondern schüren Hass. Auf die üblichen Verdächtigen. Auf die, die es immer trift, wenn die Welt von Katastrophen heimgesucht wird: auf die Juden und Israel.
Nicht nur im Iran, der vom Coronovirus hart gebeutelt ist, wird die Lüge verbreitet, das Virus sei Teil einer biologischen Kriegsführung der „Zionisten“. Überall auf der Welt verbreiten derzeit Rechtsradikalie, Antisemit*innen und Rassist*innen unterschiedlichster Coleur im Internet die Lüge, das Virus sei ein amerikanisch-jüdischer Komplott, eine Verschwörung einer geheimen Weltregierung, zur Versklavung und Dezimierung der Menschheit. Aber nicht nur explizite (Neo-)Nazis verbreiten diesen Müll. Ebenso Esoteriker und rechte Ökobauern, oder zuletzt: ein durchgeknalltes Mitglied der Hamburger Linkspartei. Nur weniger explitzit antisemitisch. Es bediente mit seiner Rede von einer amerikanischen Erfindung des Virus aber dieselben antisemitischen Muster.
Mit dieser Vorstellung geheimer amerikanisch-jüdischer Mächte, die über die Welt Böses bringen wollen, befeuerten bereits die Nationalsozialist*innen den Hass auf Juden und Jüdinnen, um sie zu vernichten.
So ist es für Gläubige eines solchen menschenverachtenden Dünnschisses nur konsequent, wenn sie in rechten Telegram-Gruppen dazu aufzurufen, sich anzustecken und soviele Juden wie möglich zu infizieren. Denn als weißer Herrenmensch imaginiert man sich als unverwüstlich stark und alle anderen als schwach und damit als dem Virus tödlich ausgesetzt.
Dieses Wochenende laufen die internationalen Wochen gegen Rassismus und Antisemitismus aus. Die sind in der Pandemie-Berichterstattung nicht nur untergangen. Die sind meiner Meinung nach - in Anbetracht dieses anhaltenden Wahnsinns, der Menschen immer wieder zu Massenmorden animiert - viel zu wenig. Am 15. März jährte sich das Massaker von Christchurch, dessen Täter an die Verschwörung vom großen Austausch glaubte, wovon die Coronatheorien nur eine Abwandlung sind.
In Anbetracht dieser Gefahr des verschwörungsideologischen Wahnsinns sind nicht nur zwei, sondern 52 Wochen Engagement gegen Antisemitismus und Rassismus notwendig. Das heißt, dass Solidarität in dieser Zeit nicht nur Zuhausebleiben und Klatschen bedeutet, sondern ebenso, Widerrede zu leisten, wenn Menschen die Krise nutzen, um ihren Hass auf andere Menschen loszulassen. Einfach mal dagegenhalten, wenn Ideologen auf Facebook, Youtube oder Instagram ihren Mist abladen. Man hat ja jetzt Zeit dafür.


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