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Patrick Viol

Kommentar: Wenn Rechtsextremisten ihren Wahn wahr werden lassen

Unserer Redakteur hält in seinem Kommentar fest, warum der Wahn der Antisemiten sie zur Tat schreiten lässt und was die AfD damit zu tun hat. 

Es passierte in Hanau, einer Stadt in Hessen, am 19. Februar: ein Anschlag auf zwei Shishabars, in denen der rechtsextreme Terrorist Tobias R. insgesamt neun Menschen ermordete. Sein Motiv speiste sich aus Verfolgungswahn, Verschwörungstheorien und rassistischem Hass auf Menschen, die für ihn keine Deutschen sind. Die Tat von Tobias R. ist damit der schwerste rechtsterroristische Anschlag seit der Mordserie des „Nationalsozialistischen Untergrunds“.
Auch wenn der Anschlag in Hessen stattfand: Er geht alle an. Auch die Menschen im Landkreis Osterholz. Nicht nur in der Stadt, sondern bis zur kleinsten Milchkanne. Weil dieser Mordanschlag auch ein Angriff auf eine liberale und demokratische Lebensweise ist. Aber vor allem, weil er ein Ausdruck dessen ist, was in unserer Gesellschaft nicht mehr bloß schiefläuft, sondern kaputt ist.
Der Täter hat vor seiner Tat ein Video gedreht und es auf seiner Homepage veröffentlicht, dazu so etwas wie ein Manifest. In beidem legte er seine Beweggründe für seinen Anschlag dar.
Tobias R. hätte „eine Botschaft an das gesamte deutsche Volk“. Darin erzählte von seiner Kindheit, über ihn verfolgende Geheimdienste, darüber, keine Frau an seiner Seite zu haben, über „Ausländerkriminalität“, über Migranten, deren Dasein „an sich ein grundsätzlicher Fehler ist“ und über Völker, die nicht leistungsfähig seien und „vernichtet werden müssen“.
Wenn es dazu lediglich heißt, dies sei eine krude Mischung aus Biografie, Wahn und Bekennerschreiben, dann übersieht man, dass diese Mischung dafür steht, dass Rechtsextreme noch den unbedeutendsten Aspekt ihres Charakters als entscheidend für den Weltlauf begreifen. Ihre persönliche Misere können sie nur als Weltmisere begreifen. Sie blähen ihr Ich ins Unermessliche auf.
Dafür steht auch der Verfolgungswahn von Tobias R.. Klar, man kann ihn so deuten, wie Gauland es tut: dass das ein Beweis dafür wäre, dass Tobias R. krank gewesen sei und die Hass-Reden der AfD nicht im Geringsten etwas mit seiner Tat zu tun hätten. Oder aber man begreift, dass dieser Verfolgungswahn Ausdruck eines unbändigen Wunsch eines kleinen, trüben Lichts nach Bedeutung von Weltrang ist. R.s Vorstellung, er würde von Geheimdiensten überwacht, heißt doch nur, dass er sich wünschte, die Bedeutung zu haben, dass er der Überwachung wert sei.
Und so lässt sich argumentieren, dass der Wahn nicht als Argument dafür dienen kann, eine Distanz zur AfD zu behaupten, sondern - im Gegenteil zu Gauland - für die Nähe von Tobias R. und die AfD steht. Diese Partei bediente seinen Wunsch nach Größe und weltpolitischer Bedeutung, indem sie ihm die passende Ideologie und deren Opfer lieferte. Denn wer nur Irre ist und töten will, ermordet nicht gezielt nur Menschen mit Migrationshintergrund.
Indem die AfD permanent die von ihr als „Fremde“ Bezeichneten herabwürdigt, indem sie also das, was in rechten Internetforen läuft, in gemäßigter Form auf die politische Bühne bringt, bekam Tobias R. eine öffentliche Bestätigung für seinen Wahn, sich als etwas Besserers und Erhabenes zu fühlen. Aber weil diese Ideologie eine Lüge ist, weil sie brüchig ist: Weil niemand weniger wert ist als jemand anderes, mobilisierte die Ideologie Tobias R. dazu, seinen Wahn wahr machen zu wollen. Das heißt, zu morden. Denn erst wenn diejenigen, die der Antisemit und der Rassist hassen, ihnen als Leichen zu Füßen liegen, fühlen sie sich wirklich in ihrem Größenwahn bestätigt.
Zum Schluss noch ein Wort zum Blödsinn der vermeintlich ausgewogen Argumentierenden: Man kann es und man muss es anscheinend immer wieder wiederholen: Menschen werden von Rechten aus antisemitischem und rassistischem Hass getötet. In Hanau, während sie sich als Privatpersonen an einem ihrer Lieblingsorte aufhielten und gemeinsam Spaß hatten.
Wer diesbezüglich so stumpfsinnig wie ressentimenthaft, so undifferenziert wie letztlich verharmlosend davon spricht, Extremismus sei immer schlimm, egal ob links oder rechts; wer randalierende „linke Chaoten“ anführen muss, wenn es allein darum ginge, einen rechten Mord zu verurteilen - wie Sigmar Gabriel in seinem Tweet von gestern - der setzt gezielte, rassistische Morde mit brennenden Autos gleich. Wer Menschen aber mit Sachen gleichsetzt, trägt nichts zur Lösung unserer Probleme bei. Er ist Teil des Problems.


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