Patrick Viol

Kommentar: Die außenpolitische Umnachtung der Linken muss enden

Die linke Forderung, keine schweren Waffen an die Ukraine zu liefern, übergeht die Interessen der dort kämpfenden Menschen, kritisiert Patrick Viol.
Antiimperialismus läuft stets auf einen freundlichen Umgang mit diktatorischen Verbrechern hinaus.

Antiimperialismus läuft stets auf einen freundlichen Umgang mit diktatorischen Verbrechern hinaus.

Bild: Wiki commons

Nun also doch: Der Bundestag hat für eine Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine gestimmt. Mit einer großen Mehrheit von 586 Stimmen. Olaf Scholz, der noch vor einer Woche im Spiegel-Interview beteuerte, es würden keine schweren Waffen geliefert, scheint also zur Vernunft gekommen zu sein. Wenn auch bloß zu instrumenteller, aber nichtsdestotrotz gebotener. Denn - um es klar zu sagen - Waffen können an sich nie vernünftige Mittel im emphatischen Sinne sein. Im Gegenteil. Waffen - und Kriege - sind Ausdruck herrschender Unvernunft; davon, dass die Welt in kapitalistische Staaten unterteilt ist, die ihre Substanz im Gewaltmonopol haben, welches sich über die permanente, mit der Existenz von Staaten gegebenen Möglichkeit von Kriegen legitimiert. Aber: Es gibt geschichtliche Augenblicke, in denen Diplomatie und die Waffen der Kritik nicht mehr ausreichen und um die Kritik der Waffen erweitert werden müssen. Eine solche Situation haben wir jetzt.
Jenen Gedanken formuliert hat niemand Geringeres als Karl Marx. Und recht geben ihm - so dialektisch ist der Weltlauf - die USA und jene Staaten, die die Ukraine in ihrem Abwehrkampf gegen Putins autokratisches Russland mit schweren Waffen beliefern. Und nicht mehr bloß, um sich zu verteidigen, sondern damit Russlands Kampfressourcen erschöpft werden und es diesen Krieg verliert. Einen Siegfrieden Russlands darf es nicht geben. Dann wäre in Europa wirklich niemand mehr sicher.
Wer Marxens Gedanken hingegen völlig ignoriert, das sind deutsche Linke - in der Bundestagsfraktion und der Friedensbewegung auf der Straße - von Berlin über Hamburg bis nach Osterholz-Scharmbeck. So fordert Dietmar Bartsch am Donnerstag im Bundestag allen Ernstes, man müsse, statt Waffen zu liefern, mehr Diplomatie betreiben. So wie der Generalsekretär der Vereinten Nationen António Guterres es diese Woche beim Besuch in Moskau getan habe. Dabei beweist gerade dieses Treffen, dass die Diplomatie am Ende ist. Es hätte nur dann noch ergebnisloser ausgehen können, wenn Guterres zu Hause geblieben wäre. Was Bartsch nicht verrät: wie Putin zu Zusagen bewegt werden soll. Sein Schweigen darüber verrät hingegen den hinter seiner Diplomatieforderung stehenden Glauben, hinter der harten Schale eines Kriegsverbrechers verberge sich ein weicher, lediglich Sicherheitsinteressen verfolgender Kern. An den glauben auch die Friedensbewegten der Straße. Man muss nur die vor Antiamerikanismus nur so strotzenden Flyer lesen, die auf den Ostermärschen verteilt wurden: Deutschland dürfe nicht zum „Vasallen der USA“ werden und mediale Hetze gegen Russland hätte zur Eskalation beigetragen und Russland bedroht. Gefordert werden ein Ende der Sanktionen und der Waffenlieferungen, also Straffreiheit für Kriegsverbrechen und der Sieg Russlands über die Ukraine. Denn nichts anderes hieße es, den Ukrainer:innen schwere Waffen zu verweigern - was auch Osterholzer Friedensfreundinnen fordern.
Daran zeigt sich erstens, dass es Waffenlieferungen verweigernden Friedensbewegten bei ihren Forderungen nicht um die Menschen in der Ukraine geht. Es geht ihnen um die Aufrechterhaltung ihres Antiimperialismus, der das größte Übel der Welt in den USA und der NATO sieht und sich blind macht gegen die Mobilmachung der internationalen Reaktion durch Russland, China, Syrien und Iran. Sonst würden die Friedensfreundinnen die kämpfenden Ukrainer:innen als politisches Subjekt und ihren Wunsch, nicht unter russischer Knute, sondern westlich leben zu wollen, ernst nehmen. Dass deutsche Linke das nicht tun, kritisiert auch die ukranische Marxistin Yuliya Yurchenko. Und es beweist zweitens, dass friedensbewegte deutsche Linke nicht für Frieden, sondern - als Resultat ihres Antiimperialismus - für einen friedlichen Umgang mit diktatorischen Verbrechern einstehen. Was drittens darlegt, dass man - gerade aus emanzipatorischer Perspektive - in der friedensbewegten Linken im Hinblick auf außenpolitische Fragen nicht mehr sehen kann als ein Sammelbecken stahlbetonköpfiger Vernunft- und Realitätsverweiger:innen, denen Menschen - ebenso wie Putin - weniger wert sind als die Aufrechterhaltung einer Ideologie, in der nicht einmal ein wahrer Kern steckt. Im Gegensatz zum Glücksversprechen der bürgerlichen Freiheit, für die die Ukrainer:innen kämpfen. So wäre eine an einer besseren Welt interessierte Forderung zum diesjährigen 1. Mai, dass die Linke endlich aufräumt mit ihrem Antiimperialismus und zu Außenpolitik schweigt, bis sie das getan hat.


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