„Killers of the Flower Moon“ - Eine Art filmisches Denkmal
Die Filme von Martin Scorcese waren schon oftmals recht lang, aber sein letzter, „Killers of the Flower Moon“, will es mit dreieinhalb Stunden Laufzeit wirklich wissen. Zumal sich das Geschehen nun nicht gerade in Hochgeschwindigkeit entfaltet. Der Vorgänger „The Irishman“ brachte es grob auf die gleiche Länge. Und in beiden Fällen verlangt der Erzählfluss dem Publikum doch einiges ab.
Dabei würde sich der Plot für eine schnell erzählte Pulp-Geschichte anbieten: Der Stamm der Osage-Indianer hat in seinem Reservat Erdöl entdeckt und wird in kurzer Zeit sehr, sehr reich. Das geht nicht lange unbesehen gut. Und als der von Anfang an sehr halbseidene Ernest Burkhart (von Leonardo DiCaprio mit bedrohlicher Einfältigkeit gespielt) nach seiner Rückkehr aus dem Ersten Weltkrieg zu seinem Onkel William „King“ Hale (Robert de Niro, mit Film Nummer zehn der zweite Hausschauspieler Scoceses in „Killers of the Flower Moon“) zieht, beginnt langsam, sehr langsam die feindliche Übernahme des akkumulierten Reichtums der Ureinwohner:innen. Onkel und Neffe organisieren ein kompliziertes Geflecht aus Heirat, Mord und Erbschaftsregelungen (ergänzt durch Einschüchterung und Raub), das dazu dient, das Kapital von der einen Gruppe zur anderen zu überführen. Ernest und die Osage-Frau Mollie heiraten, bald sterben die ersten Mitglieder der Familie Mollies, die viele Förderrechte besitzt.
Schrittweise Entfaltung
„Killers of the Flower Moon“ ist von einer bewusst drückenden Schwere. Martin Scorcese hat in seinem Spätwerk, anders noch als in Zeiten von „Good Fellas“ und „Casino“, kein großes Interesse oder gar Freude mehr an Crowdpleaser-Szenen und -Momenten. Das Geschehen entfaltet sich Schritt für Schritt, das Komplott der Weißen gegen die Native Americans ist nicht minutiös geplant, sondern entsteht sozusagen im Laufen. Und da die Verschwörer und Mörder nicht eben die Hellsten sind, entwickeln sie zwar im Verlauf enorme kriminelle Energie, brauchen aber eine Zeit, bis ihnen klar wird, wohin damit. Erst im letzten Drittel präsentiert der Film Eskalationsmomente, wie man sie aus früheren Scrocese-Filmen kennt: spektakuläre Kamerabewegungen, Schocks und Sequenzen, die ganz der Expressivität seiner Schauspieler:innen gewidmet sind.
Ein filmisches Denkmal
Das Durchhalten aber lohnt sich. „Killers of the Flower Moon“ blickt auf ein selten im Kino auftauchendes Sujet, und das tut er wie durch ein Brennglas: das Leben der Ureinwohner nach ihrer weitgehenden Auslöschung. Dieses Leben wird hier als Kriminalgeschichte erzählt, die als Bild für eine fortdauernde Ausbeutung noch der letzten Ressourcen fungiert, die mit denen verbunden sind, die im Zuge der Geschichte der Staatsgründung der USA sterben mussten. Martin Scorcese blickt hier, anders als in seinen Gangsterfilmen, nicht als ein Involvierter auf das Geschehen, sondern lässt die Kamera wie einen Zeugen agieren, der zwischen Ernüchterung und Entsetzen agiert. Damit erinnert er nicht nur an einen realen Kriminalfall, sondern setzt auch den amerikanischen Ureinwohner:innen eine Art filmisches Denkmal setzt.
Es gäbe noch viel weiteres Positives über dieses eigensinnige Alterswerk zu sagen. „Killers of the Flower Moon“ ist ein sehr besonderer Mix aus True Crime, Gangsterfilm und Western. Und in all dieser Hybridität spürbar ein Herzensprojekt. Sicherlich nicht Martin Scorceses bester Film, aber doch ein weiteres Zeichen dafür, dass ein Filmemacher hier in – wenn man sich das vergleichsweise hohe Budget vor Augen führt – weitgehender künstlerischer Freiheit agieren kann.
„Killers of the Flower Moon läuft am Dienstag, 4. Juni, um 19 Uhr im Filmpalast Schwanewede.