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Tom Gath

Kampf mit Resthoffnung: Interview mit Fridays for Future

Die kriegsbedingte Energiekrise und die Möglichkeit, die Erderwärmung von 1,5 Grad bereits in den nächsten fünf Jahren zu erreichen, verdeutlichen den klimapolitischen Handlungsbedarf. Über die aktuelle Gemengelage hat Tom Gath mit der Osterholzer Ortsgruppe von Fridays for Future gesprochen.
"Wir wollen nicht einfach nur das Klima schützen. Es geht uns um soziale Gerechtigkeit."

"Wir wollen nicht einfach nur das Klima schützen. Es geht uns um soziale Gerechtigkeit."

Bild: Deposit/bloodua

Die Abhängigkeit von russischen Gas-, Kohle- und Öllieferungen soll ein Ende finden. Wie steht ihr zu diesem Thema?
 
Wir fordern schon seit Jahren den massiven Ausbau von erneuerbaren Energien. Nicht nur wegen der Klimakrise, sondern auch wegen der starken Abhängigkeit von Autokratien und der Finanzierung von Kriegen. Putins Angriffskrieg muss endlich eine Kehrtwende Richtung Ausstieg aus fossilen Energien herbeiführen. Auch eine Hinwendung zu anderen autoritären fossilen Energielieferant:innen wie Katar kann nicht die Lösung sein. Was es außerdem nicht geben darf, ist der weitere Ausbau von fossiler Infrastruktur, wie zum Beispiel LNG-Terminals (Flüssiggas).
 
Aber welche kurzfristigen Alternativen seht ihr zur Sicherstellung der deutschen Energieversorgung?
 
Da unsere Forderungen bisher auf taube Ohren gestoßen sind, müssen wir kurzfristig tatsächlich auf alternative Energielieferanten zurückgreifen. Hier wäre aber die Frage, ob es noch andere und etwas demokratischere Anbieter:innen auf dem Weltmarkt gibt als Katar. Dennoch muss der Fokus nun mehr denn je auf die Förderung von erneuerbaren Energien gelenkt werden. Energieeinsparungen sind natürlich ebenfalls eine notwendige Maßnahme. Gleichzeitig müssen aber ärmere Menschen bei den Energiekosten entlastet werden. Strom nur für die, die es sich leisten können ist keine sozial gerechte Lösung.
 
Vor kurzem haben der Weltklimarat IPCC und die Weltorganisation für Meteorologie (WMO) ihre aktuellen Berichte vorgestellt. Was ist aus eurer Sicht das zentrale Ergebnis dieser Berichte?
 
Wir können das 1,5-Grad-Ziel schaffen. Das ist das Fazit und das macht Hoffnung. Und diese Möglichkeit ist nicht nur hypothetisch, sondern die Lösungswege liegen auf dem Tisch. Der IPCC hat konkrete Maßnahmen und Einsparmöglichkeiten in jedem einzelnen Sektor aufgezeigt. Wir haben alle Technologien, die wir brauchen. Woran es jetzt fehlt, ist der politische Wille.
 
Eine Technologie, die im Bericht erwähnt wurde, ist die Rückkehr zur Atomenergie.
 
Bei den Forderungen nach Kernkraft wird leider vergessen, dass auch der Uranabbau alle anderes als CO2-frei ist und die Umwelt zerstört. Und auch den Energieaufwand zur langfristigen Endlagerung des Atommülls kann aktuell niemand vorhersehen.
 
Auf dem letzten großen Klimastreik habt ihr die Losung ausgegeben: „People Not Profit“.Was genau meint ihr damit?
 
Menschliche Bedürfnisse müssen über den Profitinteressen Einzelner stehen. Bei unserer letzten Demo in Lützerath haben Menschen gesprochen, die enteignet wurden und ihr zu Hause verloren haben, damit RWE weiter nach Kohle baggern kann. Generell sollte Energie keine Ware sein, sondern demokratisch kontrolliert werden. Noch gravierender sind aber die Auswirkungen für die Menschen im globalen Süden, die durch die Erderwärmung zu Tode kommen. Wir unterstützen daher die Kämpfe von Indigenen und MAPA (Most Affected People and Areas) nach weltweiter Klimagerechtigkeit.
 
Ist denn eine Begrenzung von Profiten innerhalb des Kapitalismus überhaupt denkbar?
 
Diese Frage ist auch innerhalb von Fridays for Future Deutschland umstritten. Unsere Ortsgruppe glaubt aber nicht, dass Klimagerechtigkeit innerhalb des Kapitalismus möglich ist. Ein Kapitalismus ohne Wachstum würde seinen eigenen Grundlagen widersprechen.
 
Warum richtet ihr eure Forderungen dann trotzdem an die Regierungen von kapitalistischen Staaten?
 
Die politisch und wirtschaftlich Verantwortlichen der Länder im globalen Norden haben sehr viel Geld mit fossiler Energie und kolonialistischer Ausbeutung verdient. Insofern sind diese Gruppen nun auch dafür zuständig, die Konsequenzen ihres Handelns zu bezahlen und Verantwortung. Wir sind nicht der Meinung, dass einzelne Konsument:innen die Macht haben, die Klimakrise zu bewältigen. Wir bitten die Regierungen und Konzerne auch nicht um etwas, sondern sind bereit für unsere Ziele zu kämpfen. Und schließlich bleibt auch eine Resthoffnung auf Einsicht. Wenn die Welt vor die Hunde geht, kann man damit schließlich auch kein Geld mehr verdienen.
 
Eure Position zum Wirtschaftssystem ist deutlich geworden. Aber wie steht ihr zum Staat und seinen politischen Institutionen?
 
Wir in Osterholz sehen uns eher als außerparlamentarische Opposition. Dennoch haben einige bei FFF die Entscheidung getroffen, den Weg durch die Institutionen zu gehen. Und auch das ist eine gute Sache. Wir denken, dass wir eine zweigleisige Strategie fahren müssen. Wichtig ist uns aber, dass wir uns gerade wegen unserer antikapitalistischen Position als demokratische Organisation verstehen.
 
Deshalb habt ihr auch bei der Bundestagswahl dazu aufgerufen, grün zu wählen?
 
Damit war keinesfalls die Partei Die Grünen gemeint. Uns wurde fälschlicherweise vorgeworfen, dass wir eine Vorfeldorganisation dieser Partei seien. Das sind wir definitiv nicht. Keine im Bundestag vertretene Partei erfüllt die Bedingungen zur Erreichung des 1,5 Grad Ziels. Wir sind der Meinung, dass wir eigene Macht - etwa in Gewerkschaften oder als Bewegung auf der Straße – aufbauen müssen.
 
Wie stark seid ihr denn unter Osterholzer Jugendlichen verankert?
 
Bei unseren letzten Demonstrationen kamen mehrfach über 600 Leute. Das waren teilweise die größten Demonstrationen, die je in Osterholz stattgefunden haben. Aber natürlich sind wir nicht an allen Schulen gleich gut vernetzt. Das Gymnasium Osterholz-Scharmbeck verbietet seinen Schüler:innen unter Androhung von Strafe die Teilnahme an unseren Demonstrationen. Das ist ein total großes Problem. Mit anderen Schulen läuft die Kommunikation deutlich besser.
 
Welche Herausforderungen seht ihr sonst in der näheren Zukunft auf euch zukommen?
 
In Zukunft werden wir neue Aktionsformen ausprobieren, um damit ein breiteres Publikum zu erreichen. Wir streben beispielsweise noch engere Bündnisse und einen Ausbau unserer Zusammenarbeit mit Gewerkschaften, Glaubenseinrichtungen und anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen an. Wichtig ist uns bei dieser Bündnispolitik aber, unseren Grundwerten treu zu bleiben. Wir wollen nicht einfach nur das Klima schützen. Es geht uns um soziale Gerechtigkeit.
 
Vielen Dank für das Gespräch.
  


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